Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2020

Marc-Uwe Kling: Qualityland 2.0. Berlin: Ullstein, 2020. 432 Seiten, 19 Euro
von Ravi T. Kühnel

Friedrich Merz kniet ehrfürchtig vor den Statuen von Cowboy Ronald und der eisernen Lady Margaret. Auf einer Tafel daneben stehen die Zehn Gebote, eines davon lautet: «Du sollst keine Steuern zahlen». Leise murmelt er vor sich hin: «…und schütze den freien Markt, denn er wird es richten und alles in den richtigen Bahnen halten.»

So oder so ähnlich könnte es aussehen, wenn Friedrich Merz in QualityLand wäre. Dahin entführt uns Marc-Uwe Kling in seiner Fortsetzung wieder, in ein Land im totalitären digitalen Zeitalter. Es gibt eigentlich für alles eine Maschine und der Kapitalismus ist auf die Spitze getrieben. Der Neoliberalismus ist mittlerweile zur Religion geworden. Privatsphäre? Fehlanzeige.
Marc-Uwe Kling, bekannt für seine Känguru-Reihe, ist neben dem Schreiben auch als Kleinkünstler, Kabarettist und Liedermacher tätig. Mit der QualityLand-Reihe steigt er in die Welt der dystopischen Romane ein. Dennoch geht sein typischer Humor nicht verloren und die Reihe ist zudem politisch hochaktuell. Das Känguru wäre stolz auf ihn.

Erneut begleiten wir Peter Arbeitsloser, Kiki Unbekannt und Martin Vorstand durch ihren Alltag in QualityLand, lernen neue Charaktere wie Aisha Ärztin oder bekannte wie Henryk Ingenieur kennen. Nachdem Peter sich nicht mehr ständig mit dem Delfinvibrator und einem Roboterpräsidenten rumschlagen muss, da dieser bei einem Attentat getötet wurde, kann er endlich seiner Berufung folgen, die des Maschinentherapeuten. Kiki Unbekannt ist währenddessen auf der Suche nach ihrer Vergangenheit und wird vom Puppenspieler und seinem Bot verfolgt. Martin Vorstand hat ein Problem, sein Level sinkt und sinkt, irgendetwas scheint mit den Drohnen nicht zu stimmen. Ach, und der Dritte Weltkrieg bricht auch noch aus, und keiner weiß wieso. Es erwartet uns wieder ein wilder Ritt durch ein Land mit vollständiger Überwachung, autonomen Maschinen und verrückten Geschichten.
Der Schreibstil ist wie bereits im vorherigen Band simpel gehalten und hat viele Dialoge. Statt Werbeunterbrechungen bekommen wir immer mal wieder einen Podcast dazwischengeworfen. Der Reiseführer wird fortgesetzt und klärt uns über Neoliberalismus auf, der in Qualityland Religion ist. Ebenfalls treffen wir zwischen den Kapiteln Julia Nonne mit ihrer Show «Die nackte Wahrheit» wieder. Die Kapitel sind relativ kurzgehalten und wechseln zwischen den einzelnen Handlungssträngen. Im Verlauf des Buches baut sich eine Spannung auf, die am Schluss zu einem Finale kommt. Zum Teil wird das Ende offengehalten, es wäre also Stoff für einen möglichen dritten Band vorhanden.

Marc-Uwe Kling lässt uns nicht nur schmunzeln auf unserer Reise durch QualityLand, er schafft es ebenso, uns zum Nachdenken zu bewegen. Vieles in QualityLand ist abhängig von intelligenten Maschinen, Krieg führen keine Menschen mehr, sondern teil- und vollautonome Maschinen, da diese schneller reagieren können als Menschen. Vielleicht ist es daher auch nicht verwunderlich, dass lange gerätselt wird, wieso der Dritte Weltkrieg ausgebrochen ist, der so schnell wieder vorbei war, dass es kaum einer mitbekommen hat. Und seien wir mal ehrlich, wie weit sind wir noch weg vom fiktiven Unternehmen «TheShop», das weiß, was wir haben möchten, bevor wir es überhaupt wissen. Mit Amazon haben wir bereits heute ein Unternehmen, das beinahe Monopolstatus genießt und dank unserer Daten immer genau weiß, was wir gerne kaufen würden. Und in Amerika liefert Amazon bereits teilweise mit Drohnen aus.
Digitale Überwachung? Haben wir auch jetzt schon, in QualityLand ist sie allerdings auf die Spitze getrieben, bewusst überzeichnet und ins Lächerliche gezogen. Marc-Uwe Kling hält unserer eigenen Gesellschaft den Spiegel vor, und wenn Qualityland unsere Zukunft ist, dann werden wir bald nicht mehr viel zu lachen haben. Das Buch ist vollgestopft mit Kritik, Kritik am Klimawandel, Kritik an Trump, Kritik an der Gesellschaft. Nur halt anders verpackt. Statt in einer Nische mit anderen politischen Büchern zu stehen, steht QualityLand ganz vorne im Laden bei den Bestsellern und den Romanen.
Neben aller Kritik ist Klings neuer Roman zudem hochaktuell und greift diverse politische Geschehnisse der letzten Monate auf: sei es Greta Thunbergs Reise zur Klimakonferenz mit einem Segelboot oder der Handelskrieg mit China. Die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen wird ebenso aufgegriffen wie Gaulands Aussage, dass der zweite Weltkrieg nur ein Vogelschiss der Geschichte war. Nur ist es im Falle von Qualityland ein geschichtlicher Ameisenfurz.
QualityLand 2.0 ist eine tolle Lektüre zum Schmunzeln, mit Charakteren zum Liebhaben und noch liebenswürdigeren Maschinen mit teils absurden Ängsten. Wie zum Beispiel den Knuddel-Bot, der Angst vor körperlicher Nähe hat, oder der Saugroboter, der sich weigert, unterm Bett zu saugen, weil er dort erschreckende Dinge fand. Marc-Uwe Kling hat mit seinem neuesten Werk einen Spagat geschaffen zwischen Unterhaltung und Gesellschaftskritik, zwischen Fiktion und Realität.

Teile diesen Beitrag:
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.