Internationales Filmfestival in Wien
von Kurt Hofmann
Anders als anderswo findet die «Viennale», statt, wenn auch mit strengen COVID-19-Auflagen und verringertem Platzangebot. Es geht weiter und zwar mit gleichbleibendem Qualitätsanspruch. Viennale-Direktorin Eva Sangiorgi hat ein variantenreiches Programm mit hohem Niveau vorgelegt. Anbei einige Highlights der diesjährigen Festivalausgabe.
Tsai Ming-Liangs neuer Film Rizi (Days; Taiwan 2019) kommt ohne Dialoge aus und schildert die auf- wie vergehende Liebe zweier Männer unterschiedlichen Alters und Herkunft. Kang, der Ältere der beiden, lebt in einem großen Haus. Non besitzt eine kleine Stadtwohnung in Bangkok und hat sich auf die Zubereitung traditioneller Speisen spezialisiert. Minutenlang ist zu sehen, wie er in einem großen Behältnis Gemüse wäscht, nicht mehr und nicht weniger. Tsai Ming-Liang nimmt sich Zeit, hält bisweilen sogar das Bild an… In der ersten Begegnung der beiden versucht Non, Kang von seinen chronischen Schmerzen durch Massage zu heilen: Das gelingt, doch je länger die Massage dauert… Weshalb die Beziehung zwischen Kang und Non schließlich scheitert, erfährt man nicht, dass sie gescheitert ist, wird an ihrer Vereinsamung deutlich: Non sitzt mitten in der Metropole Bangkok alleine auf einer Parkbank und starrt vor sich hin, rund um ihn tobt der städtische Verkehr. Und Kangs Mimik lässt erahnen, dass dem körperlichen nun der seelische Schmerz gefolgt ist, sodass er wieder auf sich selbst zurückgeworfen ist…
1820, Oregon: Glücksritter sind unterwegs, um das Neue Land zu erkunden und zu besiedeln. Der Sehnsucht, Gold zu finden, steht der harte Alltag der Trapper entgegen. Immerhin werden Pelztiere gejagt und erlegt. Cookie schlägt sich als Koch durch, wird mehr geduldet als akzeptiert, doch sein kurzfristiges Ziel ist kein anderes als jenes der übrigen Pioniere: über den Tag zu kommen. Das ändert sich, als Cookie auf King Lu, einen chinesischen Einwanderer trifft, den er vor dessen Verfolgern schützt, und in ihm einen Freund findet. Und King Lu, ein pfiffiges Bürschchen, hat eine Idee, wie Cookie seine besonderen Talente optimal nutzen kann: Gemeinsam wollen sie Donuts backen und verkaufen, später vielleicht eine Bäckerei eröffnen. Allerdings brauchen sie dafür Milch. Als sie von einem reichen Engländer, einem Lord, hören, der die erste Kuh in den Westen importiert hat, melken sie diese heimlich im Schutz der Nacht. Doch der Plan der beiden ist nicht so perfekt wie gedacht…
First Cow (USA 2019), der neue Film von Kelly Reichardt, erzählt nicht, «wie es einst begann», aber er ist ehrlicher und authentischer als andere Filme, die das von sich behaupten. Schüsse fallen kaum, und doch ist es unzweifelhaft ein Western. Cookie und King Lu sind, wie die übrigen Glückssucher, zum Verlieren prädestiniert. Warum das so ist, zeigt Kelly Reichardt in jedem ihrer Filme, die vom Oben und Unten im «Land of the Free» handeln. Zum anderen sind zwei wie der begabte Koch Cookie und der kreative Einwanderer King Lu, die gemeinsam austüfteln, wie man Mächtigeren ein Schnippchen schlägt, zumindest dies: diejenigen, auf die es ankommt in einer Gesellschaft, die nicht völlig verrohen will, gestern wie heute.
Ein neuer Film von Alexander Kluge, Orphea (Deutschland 2020), gemeinsam mit dem philippinischen Regisseur Khavn entwickelt, widmet sich dem Orpheus-Mythos, den Kluge einer Geschlechtsumwandlung unterzieht. Orphea, als Engel der Geschichte, will nicht nur «ihren» Toten Euridiko zurückholen, sondern dem Tod den Kampf ansagen. Von den Biokosmisten (ein Unsterblichkeitsprojekt der Sowjets) bis zur Afterlife-Forschung im Silicon Valley, von der Flucht aus dem Totenreich bis zu den Migrationsbewegungen der Gegenwart: der Bogen, auch der musikalische, rund um den Orpheus-Mythos ist wie immer bei Kluge weit gespannt, eine Tour d’horizon, so kenntnis- wie variantenreich.
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