Bundeswehrinlandseinsatz historischer Dimension
von Martin Kirsch*
Vor über zehn Monaten, im Januar 2020, wurde die erste Person in Deutschland positiv auf das neue Corona-Virus getestet. Die Auswertung des Tests fand in einem Labor der Bundeswehr in München statt, das auf die Erkennung von biologischen und chemischen Kampfstoffen spezialisiert ist und zu den ersten hierzulande gehörte, das die Testverfahren beherrschte.
Seit dem ist die Bundeswehr in die staatliche Pandemiebekämpfung eingebunden.
Das im April aufgestellte Einsatzkontingent «Hilfeleistung Corona» wurde im November von ursprünglich 15000 auf jetzt 20000 SoldatInnen aufgestockt. Im Frühjahr lag der Schwerpunkt ihrer Aktivitäten auf der Beschaffung, Lagerung und Verteilung von Masken und Desinfektionsmitteln in Fieberambulanzen, Teststationen, Pflege- und Geflüchtetenheimen, sowie beim Aufbau von Notkliniken; im Herbst hat sich der Einsatzschwerpunkt verschoben. Anfang Dezember waren rund 7000 der aktuell gut 9000 tatsächlich aktivierten SoldatInnen zur Unterstützung in 300 von insgesamt 375 staatlichen Gesundheitsämtern eingesetzt. Hinzu kommen weitere Einsätze in Teststationen, Plegeheimen und Krankenhäusern.
Ein Großaufgebot
Schon jetzt lässt sich resümieren, dass es sich beim Corona-Einsatz um einen der größten Inlandseinsätze in der 65jährigen Geschichte der Bundeswehr handelt. Eine größere Anzahl an SoldatInnen wurde bisher nur bei den sog. Jahrhunderthochwassern 2002 (rund 45000) und 2013 (über 20000) mobilisiert. Diese Einsätze blieben regional und zeitlich klar begrenzt. In den Jahren 2015 und 2016 wurden erstmals, im Rahmen des langen Sommers der Migration, SoldatInnen gleichzeitig in allen 16 Bundesländern eingesetzt – das war der bis dahin längste Inlandseinsatz.
Im gesamten Jahr 2015 erreichten die Bundeswehr 880 Anträge auf sogenannte Amtshilfe aus den Kommunen und Ländern. Dieser bisherige Höchstwert wird sich mit vermutlich mehr als 2500 Anträgen bis Ende 2020 verdreifacht haben. Laut dem für Inlandseinsätze zuständigen General Martin Schelleis wurden bis zum 3.Dezember 2020 bereits 2254 Anträge auf Amtshilfe bei der Bundeswehr gestellt, von denen 2152 einen direkten Corona-Bezug aufweisen. Schelleis rechnet bis Jahresende täglich mit neuen Anträgen im zweistelligen Bereich. Vergleicht man diesen Wert mit dem eher durchschnittlichen Jahr 2019, in dem 249 Anträge auf Unterstützung bei der Bundeswehr eingingen, handelt es sich um eine Verzehnfachung.
Teil der Impfstrategie
Nach diesem unrühmlichen Rekordjahr 2020 wird für Januar 2021 bereits mit einer weiteren Aufstockung gerechnet. Während die Aufgaben in Gesundheitsämtern, Teststationen, Pflegeheimen und Krankenhäusern vorerst nicht weniger werden, verkündeten die Streitkräfte am 2.Dezember auf ihrer Webseite: «Bundeswehr ist Teil der Impfstrategie.» Mittlerweile hat das Bundesgesundheitsministerium beantragt, Kasernengelände als zentrale Lagerstätten für Impfstoffvorräte zu nutzen. Zudem wird davon ausgegangen, dass die Impfstoffdosen zum Teil auch von SoldatInnen mit Bundeswehr-Lkw zu den Impfzentren ausgeliefert werden. Darüber hinaus hat Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer bereits angekündigt, dass die Bundeswehr 26 eigene Impfzentren aufbauen wird. Dort sollen nicht nur SoldatInnen und Zivilangestellten der Armee, sondern – als Unterstützungsleistung für die zuständigen Bundesländer – auch ZivilistInnen geimpft werden. Weitere eigene 26 mobile Impfteams hält die Bundeswehr auf Anfrage der Länder für Impfungen in dünn besiedelten, ländlichen Regionen bereit. Für diese neuen Aufgaben wird mit dem Einsatz von zusätzlich 3000–7000 SoldatInnen gerechnet.
Um nicht in den Verdacht zu geraten, die Bundeswehr könnte hoheitliche Aufgaben übernehmen, die ihr, mit wenigen Ausnahmen, im Rahmen von Inlandseinsätzen untersagt sind, ist daran gedacht, dass sie von den Polizeikräften und privaten Sicherheitsdiensten den Schutz von Impfzentren, Vorräten und Transporten sowie die Zugangskontrolle in den Zentren übernimmt. Ob diese Ankündigungen eingehalten werden, bleibt offen. Bereits beim Einsatz in den Gesundheitsämtern werden rechtliche Grauzonen und Schlupflöcher genutzt. Eine Person aufgrund einer Infektion oder des Kontakts mit einem infizierten Mitmenschen verpflichtend in Quarantäne zu schicken und damit in die Grundrechte der Betroffenen einzugreifen, bleibt rechtlich der Amtsärztin, dem Amtsarzt, sowie qualifizierten MitarbeiterInnen des Gesundheitsamts vorbehalten. Deshalb weisen die SoldatInnen im Rahmen der Kontaktnachverfolgung nach der telefonischen Verkündung des Testergebnisses oder des Kontaktstatus lediglich auf die geltenden Quarantänebestimmungen hin – ein Weg, um die klaren rechtlichen Hürden pragmatisch zu umschiffen.
*Der Autor ist Mitarbeiter der Informationsstelle Militarisierung
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