Wie Pflegekräfte die Corona-Krise erleben
aus Lunapark21
Wie erleben Pflegekräfte in ihrem professionellen Alltag die Corona-Krise? Welche Einflüsse belasten sie und gefährden ihre Gesundheit?
Wolfgang Hien und Hubertus von Schwarzkopf haben zwischen Mai und Juli 2020 26 Interviews mit Pflegekräften aus Krankenhäusern und stationären Pflegeeinrichtungen zusammengetragen, die in einem Forschungsbericht des Bremer Forschungsbüros für Arbeit, Gesundheit und Biographie im September 2020 veröffentlicht wurden.* Nachstehend ein Auszug, der auf die Überlastung der Gesundheitsämter und deren Auswirkungen auf die Pflege eingeht.
Auf eine Pandemie war, trotz gewisser politischer Vorgaben, das Gesundheits- und Sozialwesen offensichtlich auf allen Ebenen nicht oder nur unzureichend vorbereitet. Die Corona-Krise deckte die seit Jahren sich kumulierenden Versäumnisse auf.
Forderungen der Seuchenbekämpfung waren mit dem Arbeits- und Gesundheitsschutz «mehr schlecht als recht» verknüpft, Konflikt-Konstellationen vorprogrammiert, wozu die als problematisch empfundene Dreigliederung der Gesundheitsämter zwischen Bund, Land und Kommune beitrug.
Chaos im Gesundheitsamt
Es sind weniger die Ängste vor dem Virus als eher die mangelhaften Abstimmungsprozesse zwischen den zuständigen Behörden und den Leitungskräften, die dem Pflegepersonal ein hohes Maß an psychischen Belastungen aufbürden. Deutlich zugenommen haben Schlafstörungen, Unruhe, Grübeln, weniger Energie und Freude im Alltag und die Befürchtung, den Berufsalltag nicht mehr gut bewältigen zu können.
Erst Mitte April gab es für Altenpflegeheime differenzierte Anweisungen der Gesundheitsämter. Die Corona-Krise brachte die Pflegekräfte an ein emotionales Limit. Fehlende überbetriebliche Unterstützung war Thema in allen Interviews. Es gab, so eine Stationsleiterin, «einen Rückfall in die allernötigste Grundpflege».
Die psychosoziale Seite der Pflege wurde aufgrund der ohnehin schmalen Personaldecke vernachlässigt. Kleinere Einrichtungen konnten über Tage hinweg niemanden beim Gesundheitsamt erreichen. Trat ein Corona-Fall ein, konnte es sein, dass Heimleitung und Stationsleitung überfordert waren. Dann rächte sich die fehlende Arbeitsschutzorganisation:
«Das Traurige war, dass es niemanden vom Gesundheitsamt gab, keinen Arzt, kein Mensch, da, wo wir wirklich jemanden gebraucht hätten, der uns sagt, was wir machen müssen.»
Krisenstäbe gab es im Altenpflegebereich, wenn überhaupt, nur überregional, weit weg.
«Die Sache mit dem Gesundheitsamt, das hat uns echt Probleme gemacht. Wir hatten hier Verdachtsfälle, und das hat Tage gedauert, einmal sogar eine Woche, bis das Ergebnis kam.»
«In meinem Fall, ich war negativ getestet, ich sollte aber trotzdem in häuslicher Quarantäne bleiben – Anweisung vom Gesundheitsamt – und dann kamen ein paar Tage später zwei Herren von Gesundheitsamt und sagten: ‹Nee, das wäre aber nicht nötig gewesen.› Sowas macht mich richtig sauer.»
Die widersprüchlichen und manchmal von Stunde zu Stunde sich ändernden Anweisungen führten zu doppelter Arbeit. Gesundheitsämter, Heimaufsicht, Ordnungsämter, Polizeidienststellen sprachen sich untereinander oft nicht ab und erzeugten paradoxe Situationen.
«Die Heimaufsicht sagt hüh und das Gesundheitsamt sagt hott, also ob Besuch kommen darf oder nicht, und dann wird gesagt, die Heimleitung soll das entscheiden, und dann aber, wenn was passiert, ist die Heimleitung, ja und letztlich die Pflegedienstleitung verantwortlich.»
Häufig mussten die Pflegekräfte den eigenen Gesundheitsschutz hintanstellen. Gewerbeaufsicht und Unfallversicherungsträger waren in allen untersuchten Fällen abwesend.
Arbeitskultur und -atmosphäre
In Bereichen der Krankenhäuser, in denen schon zuvor ein hierarchisches Verhältnis zwischen Medizin und Pflege bestand, verstärkte sich diese Unwucht.
«Eigentlich müsste man die Hierarchien abbauen, doch gerade werden wieder welche aufgebaut.»
Heimleitungen wie Beschäftigte erlebten die Auflagen und Vorschriften seitens der Ämter als undurchdacht und oft als realitätsuntauglich. Die Isolation alter Menschen wurde von vielen Pflegekräften als unmenschlich angesehen. Die Auflage, nur «bewachten» Besuch in separaten Besuchszimmern zu erlauben, scheiterte nicht selten an mangelnden Räumlichkeiten und konnte aufgrund des Personalmangels kaum realisiert werden. Skurril wurde es, wenn Schlaganfallfolgen mit schweren Schluckstörungen «auf Abstand» und mit doppeltem Mundschutz behandelt werden sollten.
Die Mehrheit der Befragten nahm und nimmt die Corona-Gefährdung ernst. Uns imponierte die hohe Bereitschaft vieler Pflegekräfte, sich zu engagieren, teilweise bis an der Rand der Erschöpfung. Ausschlaggebend für diese Bereitschaft ist eine hausinterne solidarische Atmosphäre. Dem entgegen wirken die mangelnde Gratifikation seitens der Politik und der Organisation.
«Ich glaube, dass Pflegekräfte in einer Krise auch mal bereit sind, alles zu geben, nur muss da auch mal irgendwann was zurückkommen. Es wurden uns ja schon jahrelang Zuschläge versprochen, doch auch jetzt, im fünften Monat dieser Ausnahmensituation, ist nichts passiert, keine Zuschläge, keinen Bonus, kein Nix. Ich muss kein Held sein, aber ich möchte anständig behandelt werden. Wir sind eigentlich ein Super-Team, doch dann stellt sich irgendwann der Frust ein, und das Schlimme ist ja, dass mit dem Frust auch der Teamgeist bröckelt».
Manche Stationsleitungen gaben den Druck, den sie «von oben» bekamen, an ihre Beschäftigten weiter, was die Atmosphäre im Team verschlechterte und das «Einzelkämpfertum» verstärkte. Wo Stationsleitungen eine partizipative Kultur pflegten, ihr Personal in die Entscheidungsprozesse einbezogen, wurde das Team als solidarisch und als Ressource wahrgenommen.
Die Corona-Pandemie hat einmal mehr offenkundig gemacht, dass Politik, Gesellschaft und Organisationen herausgefordert sind, Pflegearbeit die gesellschaftliche Wertschätzung zuzuerkennen, die sie verdient, den Pflegeberuf erkennbar attraktiver zu gestalten und dem Pflegenotstand entgegen zu wirken. Kranken- und Altenpflege erfordern eine andere Rationalität als die der betrieblichen Profitablität.
*Der Auszug basiert auf einer Zusammenfassung der Studie, die in Lunapark21 vom Januar 2021 erschienen ist (www.wolfgang-hien.de/download/Pflege-2020.pdf).
Wolfgang Hien ist Arbeits- und Gesundheitswissenschaftler in Bremen. Hubertus von Schwarzkopf ist Mitglied im Ausschuss für Arbeitsmedizin beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS).
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