Eine Delle für die Autogesellschaft
von Moritz Binzer*
Die Baumhäuser im Dannenröder Wald gegen den Ausbau der A49 wurden geräumt. Aber die Besetzung war nur der Anfang, denn der Kampf gegen das Modell des fossilen Individualverkehrs nimmt gerade erst Fahrt auf.
Am 6.12., frühmorgens, 5.30 Uhr, in tiefster Dunkelheit: Nach einer nächtlichen Wanderung durch den Wald kommen etwa sechzig Personen in der letzten noch verbliebenen Baumhausnachbarschaft «Oben» an. Es waren mal dreizehn Baumhaussiedlungen. Rundherum ragen nur noch Baumstümpfe aus dem Boden, «Oben» ist nur noch eine kleine Insel auf der Rodungstrasse. Begrenzt wird ihr «Barrio», so nennen es die BewohnerInnen, durch Baumstämme und Äste, die sie zu einer Barrikade aufgeschichtet haben.
Direkt dahinter folgt eine weitere Barriere – Bauzäune mit NATO-Stacheldraht, die vor den Räumpanzern, Wasserwerfern, Baggern und Hebebühnen der Gegenseite errichtet wurden. Das ganze Szenario wird taghell mit Flutlicht beleuchtet. Es dauert nicht lange, da kreist eine Polizeidrohne über den Köpfen der UnterstützerInnengruppe. Hektik bricht aus, «Cops im Barrio» ruft jemand aus einem der Baumhäuser. Sekunden später stürmen behelmte Polizisten von verschiedenen Seiten durch die Baumhausnachbarschaft. Menschen rennen durcheinander und versuchen, möglichst schnell auf einen Baum oder ein Bauwerk zu kommen, um sich in Sicherheit zu bringen und die Fällung der Bäume möglichst lange hinauszuzögern. Das gelingt auch vorübergehend.
Aber allem Widerstand zum Trotz – zwei Tage später fällt der letzte Baum in der Siedlung «Oben». Die Räumung des Dannenröder Waldes, die am 1.10.2020 ihren Anfang genommen hatte, ist beendet. Über ein Jahr lang war der Wald in Mittelhessen besetzt, um den Ausbau der A49 zu verhindern, die durch den artenreichen Mischwald führen soll. Erfahrene WaldbesetzerInnen hatten auf einen Aufruf der lokalen BürgerInneninitiative reagiert, ihren bereits 40 Jahre andauernden Kampf gegen den Autobahnausbau zu unterstützen.
Kristallisationspunkt für die Klimabewegung
Wie schnell die radikale Klimabewegung gewachsen ist, wird an der Geschwindigkeit der Entwicklungen im Danni deutlich. Während im Hambacher Wald über Jahre hinweg Aufbauarbeit geleistet wurde und AktivistInnen auch lange Durststrecken mit Minimalbesetzung durchlebten, entfaltete sich im Danni eine rasante Dynamik innerhalb eines Jahres.
Um das Ausmaß zu verdeutlichen: Es gab eine Kücheninfrastruktur, die über Monate hinweg täglich hunderte Menschen versorgte; Baumhausnachbarschaften, die an Größe und Ausstattung den Hambacher Wald übertrafen; ein Pressecamp in der angrenzenden Ortschaft; eine Vielzahl an Barrikaden, die bei Räumung über Nacht erneuert wurden, und eine enge Vernetzung zwischen lokalen Initiativen und den BesetzerInnen.
All dies konnte auch dann noch aufrechterhalten werden, als die Temperaturen fielen und aufgrund der Pandemie kaum die Möglichkeit bestand, sich in warmen Räumen aufzuhalten. Auffällig war auch, dass sich viele junge Menschen der Besetzung anschlossen und im Wald ein vielfältiger Austausch- und Erfahrungsraum entstand. Schon der Hambacher Wald wurde von AktivistInnen oft mit einem Augenzwinkern als «Durchlauferhitzer» bezeichnet, ein Schmelztiegel für radikale Ideen. Ein Phänomen, das sich im Danni multipliziert haben dürfte.
Polizei außer Rand und Band
Die hessischen Grünen unternahmen nichts, um den Polizeigroßeinsatz zu unterbinden oder während der Corona-Pandemie auszusetzen. Auch die Nachrichten über Abstürze und zum Teil schwerverletzte WaldbesetzerInnen entlockten den hessischen Grünen kein Wort der Kritik am Landesinnenminister Beuth (CDU).
Gründe dafür hätte es jede Menge gegeben: Mehrere AktivistInnen wurden während der Räumung in Lebensgefahr gebracht und/oder verletzt. Eine Aktivistin fiel aus über vier Meter Höhe von einem Tripod, nachdem ein Polizist ein Seil durchgeschnitten hatte. Sie musste mit mehreren Wirbelbrüchen ins Krankenhaus gebracht werden. Auch bei zwei weiteren Abstürzen hatten sich Polizisten kurz davor an tragenden Seilen zu schaffen gemacht, obwohl BesetzerInnen sie durch Zurufe davor gewarnt hatten. Eine Person war zusätzlich gesichert und hatte Glück, dass beim Pendelsturz am Sicherungsseil kein Baum im Weg war.
Eine andere Aktivistin musste, ebenfalls schwerverletzt, ins Krankenhaus eingeliefert werden. Bei einer Räumung in zwanzig Metern Höhe setzte die Polizei einen Elektroschocker ein, um durch Schmerzen die Umarmung von zwei Personen auf einer Plattform zu lösen. Mehrere AktivistInnen sitzen nach wie vor in Untersuchungshaft, eine Form der Gefangenschaft, die normalerweise schwere Straftaten voraussetzt. Die Liste der Zwischenfälle und Zumutungen könnte noch lange weitergeführt werden. Der Polizeieinsatz war manchmal geprägt von maßloser Überforderung, häufig aber getrieben von systematischer Abschreckung. Die WaldbewohnerInnen sollten in Angst und Schrecken versetzt werden.
Der staatlich finanzierte Straßenbau ist nur eine von vielen unsichtbaren Subventionen, die jedes Jahr an die Autoindustrie fließen. 2020 waren dafür neun Milliarden Euro vorgesehen. Das ist allerdings nur ein Bruchteil von dem, was die Aufrechterhaltung des motorisierten Individualverkehrs die Allgemeinheit kostet. «Jedes Jahr pumpen wir unter dem Strich etwa 30 Milliarden Euro in dieses System», sagt Mobilitätsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB).
Subventioniertes Autofahren auch mit den Grünen
Das Bundesland, das sich den Ausbau des Straßennetzes am meisten kosten lässt, ist ausgerechnet das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg. 2020 will es dafür eine Milliarde Euro investiert haben. Dass ein grüner Verkehrsminister in Hessen die A49 durchsetzt, ist also keine Ausnahmeerscheinung. Die Grünen streben nach der Macht – und die ist in Deutschland nicht zu haben, ohne sich mit den Kapitalinteressen der Autobranche zu arrangieren.
Die Klimagerechtigkeitsbewegung hingegen will den Konflikt mit der Autobranche vertiefen. Seit dem Danni ist klar: Mobilität ist ein thematischer Schwerpunkt der Bewegung. Nicht ohne Grund: Das Auto ist ein Produkt, das kapitalistische Uferlosigkeit und Vereinzelung versinnbildlicht. Dem Fakt trotzend, dass die weltweiten Erdölreserven zur Neige gehen, werden Einzelpersonen von Tonnen an Material durch oftmals überfüllte Straßen manövriert. Der Fortbestand dieses Modells wird durch eine enge Verzahnung aus Politik und Wirtschaft abgesichert.
Die Machtverhältnisse in Deutschland legen nahe, dass die Kräfte, die von der Pro-Kohle-Fraktion mobilisiert werden konnten, nur ein seichter Vorgeschmack auf die kommenden Auseinandersetzungen sind. Ein Angriff auf die Autobranche kommt einem Rütteln an den Grundfesten der Schlüsselindustrie des deutschen Kapitalismus gleich.
Obwohl die Machtverhältnisse klar zu sein scheinen, gibt es für eine antikapitalistische Bewegung viele Angriffspunkte und Möglichkeiten, Bündnisse zu bilden. Bei der Frage der Energiegewinnung ist es der Klimagerechtigkeitsbewegung in wenigen Jahren gelungen, ein bis dato kaum beachtetes Thema auf die politische Agenda zu setzen. Heute weiß ein Großteil der Bevölkerung um die Klimazerstörung durch Kohle.
Die Bewegung bleibt am Ball
Das Image der Klimanation Deutschland hat Risse bekommen. Mit dem Auto verhält es sich etwas anders, es ist enger und unmittelbarer im Alltag präsent, prägt unser Leben. Unsere Gesellschaft ist so grundlegend von der Idee der individuellen Freiheit durch das Auto durchdrungen, dass eine Abkehr von dieser Entwicklung kaum möglich erscheint. Es geht also darum, die positiven Assoziationen, die mit dem Auto verknüpft sind, aufzubrechen. Aufgabe der Klimabewegung ist es, ein Narrativ der Lebensfeindlichkeit des Autos zu setzen. Verkehrstote, vorzeitige Todesfälle durch Atemwegserkrankungen, ein immenser Platzverbrauch, Lärm und das Voranschreiten der Klimakrise sind nur einige.
Dass die SUVs tatsächlich auch zur Waffe werden können, zeigte sich erneut in Trier, als ein Amokfahrer mit einem solchen Straßenpanzer durch die Fußgängerzone raste und fünf Menschen in den Tod riss, 18 weitere zum Teil schwer verletzte. Aber auch ohne Vorsatz sterben jedes Jahr in Deutschland tausende Menschen bei Verkehrsunfällen, allein 2019 waren es 3094.
Die Auseinandersetzung um den Danni ist zwar vorerst verloren, die Klimagerechtigkeitsbewegung geht dennoch gestärkt daraus hervor. Schon jetzt gibt es viele Vorschläge und Diskussionen darüber, wie es weitergehen soll. Im Gespräch ist ein Klimacamp am Dannenröder Wald im Frühjahr. Der Hintergrund: Dort sollen noch viele weitere Waldstücke für Zufahrtsstraßen und Parkplätze gerodet werden.
2021 findet außerdem wieder die Internationale Automobilausstellung (IAA) statt, diesmal in München. Es gibt kaum einen Ort, der für uns besser geeignet wäre: Mit einer Massenaktion wollen wir der Automafia die Show stehlen. Denn um für die dort präsentierten Karossen auch weiterhin die besten Voraussetzungen zu schaffen, sollen im Land mit dem dichtesten Straßennetz der Welt noch mehr neue Straßen gebaut werden: Bis 2030 weitere 850 Kilometer Autobahn. «Die politischen und realen Kosten für den Bau von Autobahnen wurden durch den Danni nach oben getrieben», meinte eine Waldbesetzerin dazu. «Jetzt dürfte klar sein, dass zukünftige Projekte auf erbitterten Widerstand stoßen werden.»
*Der Autor ist in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv und gespannt, wo die nächste Waldbesetzung entsteht.
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