«…kurz gesagt, ein Jahr zum Vergessen»
von Manfred Dietenberger
Wie kein anderer Konzern wäre ZF-Friedrichshafen dazu prädestiniert, den Vorreiter in der Mobilitätswende zu geben. Man sollte meinen, die Tatsache, dass er der paritätischen Mitbestimmung unterliegt, würde die Sache erleichtern. Dem ist aber nicht so. Nachstehend Folge 6 unserer Serie über ZF-Friedrichshafen.
IG-Metall-Chef Jörg Hofmann nennt die ZF-F ein schillerndes Beispiel dafür, «wie die Transformation gelingen kann». Damit trifft er den Nagel – im Guten wie im Schlechten – auf den Kopf. Zwar ist der Konzern entwicklungstechnisch top aufgestellt, doch es rasselt mächtig im Getriebe, denn die Refinanzierung stottert. Um den Laden für den globalen Konkurrenzkampf fit zu halten, ist ein radikaler Konzernumbau notwendig. Die dafür erforderlichen Kosten zahlen die Beschäftigten.
Nach der Androhung von konzernweit 15000 Entlassungen (davon 7500 allein in Deutschland), einigte sich die Geschäftsleitung mit dem Gesamtbetriebsrat und der örtlichen IG Metall – Roman Zitzelsberger ist stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzender von ZF und Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg – auf einen «Tarifvertrag Transformation» (siehe SoZ 12/2020). Der gilt (oder auch nicht) bis Ende 2022 nur für die rund 5000 Tarifbeschäftigten in Deutschland. Er enthält vor allem die Möglichkeit, zugunsten der Unternehmensführung vom Tarifvertrag nach unten abzuweichen, etwa durch Verzicht auf die einmalige Sonderzahlung in Höhe von 400 Euro.
Der «Tarifvertrag Transformation» enthält außerdem die hoch toxische Option, gemeinsam während der Laufzeit für jeden Standort «ein Beschäftigung sicherndes Zukunftsbild» zu entwickeln. Wo das wegen des Strukturwandels in der Automobilindustrie nicht gelingt, werden Arbeitsplätze und ganze Standorte vernichtet.
Wie geht’s nun weiter bei der ZF-F?
So richtig Mut macht das, was der ZF-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Achim Dietrich Mitte November berichtete nicht: «Wir sind mit den Lieferungen im Hintertreffen.» Trotz Krise würden die Montagebänder in Friedrichshafen wieder auf vollen Touren laufen. Das stimmt natürlich nicht ganz, es gilt nur für die Getriebemontage für Last- und Nutzfahrzeugmotoren. Die derzeit wieder boomenden Aufträge bringen mächtig Überstunden in die «Zackenbude» am Standort Friedrichshafen. Die für den chinesischen Markt produzierten Nutzfahrzeuggetriebe werden normalerweise auf dem Seeweg exportiert. Doch derzeit ist der Bestelldruck aus China so stark, dass ZF-F seine Getriebe in ein Flugzeug packen muss, um pünktlich liefern zu können.
Während ein Teil der Belegschaft also Überstunden kloppt, berät und verhandelt der Betriebsrat hinter verschlossen Türen mit dem ZF-Vorstand. Worüber, schweigen sich bislang alle Seiten aus. Auch auf der digitalen Betriebsversammlung mit 5000 Beschäftigten der Anfang Dezember 2020 erfuhren die KollegInnen auffallend wenig.
Achim Dietrich zog da Bilanz und erklärte, das Jahr 2020 sei «kurz gesagt, ein Jahr zum Vergessen». Seit März habe sich die ZF vor allem mit «Katastrophenschutz und den wirtschaftlichen Auswirkungen von Corona beschäftigen müssen … Alles, was man sich so vorgenommen hat, wurde zerschossen. Aber wir haben auch viel dazugelernt: Dachte man zunächst noch, dass das Hände waschen reicht und es sich bei diesem Virus um eine Art Grippe handelt, so stiegen wir kurze Zeit später in die Maskenproduktion ein, weil die Nachlieferungen stagnierten.»
Kritiklos, ja fast stolz erklärte er, wie kreativ doch der Betriebsrat in dieser Zeit handelte: «Schnell dienten Pappkartons [oh du armer ZF-Konzern!, MD] zur Abtrennung zwischen Plätzen. Im Frühjahr dachten wir schon, dass bald alles wieder vorbei ist, doch Abtrennungen zwischen Tischen und auch alles andere wird wohl noch eine Weile unseren Alltag beherrschen … Insgesamt hatten wir hier bisher keine Ansteckungsketten. Gab es einen Verdacht, wurde immer großflächig nach Hause geschickt. Das war und ist sicher richtig.»
Der gewerkschaftliche «Co-Manager» fuhr stolz fort: «Die Belegschaft hat super mitgezogen. In den USA werden nach einer sechswöchigen Schließung Leute gefeuert, wir haben das hier zum Glück nicht durchmachen müssen. Wir wären sonst auch gar nicht hinterhergekommen, denn wir haben nach der Schließung wieder komplett hochgefahren.»
Mit Blick auf die weitere Entwicklung meinte der GBR-Vorsitzende: «Die Kurzarbeit wird wohl auch in 2021 im Angestelltenbereich noch eine Weile bleiben.» «Die E-Mobilität kommt wohl früher, als gedacht, nämlich 2025.» Gegenwärtig werde an der Elektrifizierung von Lkw und Bussen gearbeitet. Gefragt wie groß die Lücke sein werde, die diese Umstellung vom Verbrenner auf die E-Mobilität am Ende reiße, antwortete er ausweichend: «Es wird gerade alles noch geprüft.»
Die betriebliche Alltagserfahrung bei ZF-F und auch anderswo zeigt, dass die im Betriebsverfassungsgesetz verbriefte Mitbestimmung zwar weit mehr als eine modifizierte Schülermitverwaltung für Erwachsene ist, aber als Musterbeispiel für Demokratie nicht wirklich taugt. Im Betrieb herrscht, wenn überhaupt, nur «Demokratie light». Die ermöglicht dem Betriebsrat hie und da manchen kleinen, oft nur zeitweiligen, Sieg im Kleinkrieg «ums tägliche Teewasser». Doch die wesentlichen Interessen der Beschäftigten geraten selbst bei großem Engagement des Betriebsrats ins Hintertreffen.
Mogelpackung Mitbestimmung
Das ist so vom Gesetzgeber so gewollt. Die im Mitbestimmungsgesetz von 1976 behauptete Parität von Kapital und Arbeit ist eine Mogelpackung. Dafür sorgen gleich mehrere gesetzliche Festlegungen. So wenn zum Beispiel verlangt wird, dass mindestens ein Vertreter der Arbeitnehmerseite aus dem Bereich der leitenden Angestellten und damit faktisch aus dem Management kommen muss. Oder wenn der Aufsichtsratsvorsitzende zwingend ein Vertreter der Kapitalseite zu sein hat, dem dazu noch als einzigem ein doppeltes Stimmrecht zukommt. Wen wundert’s, dass auch die Bestimmung der Unternehmensstrategie der Kapitalseite vorbehalten ist? Die Mitbestimmung des Betriebsrats reicht gerade mal dazu, die sozialen Folgen unternehmerischer Entscheidungen etwas sozial abzufedern.
Dabei war und ist der Betriebsrat bei ZF nicht selten sehr erfolgreich – solange es ums Kleingeld geht. Sobald mehr auf dem Spiel steht, ist das Verhandlungszimmer ein untauglicher Austragungsort für soziale Kämpfe. Da die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist, ist von vornherein klar, wer bei diesem ungleichen Duell die Wahl der Waffen hat. In der Krise sind Sozialpartnerschaft, der «ZF-Weg» und die paritätische Mitbestimmung nur noch Makulatur. So ist das nicht nur bei ZF.
Deshalb ist es begrüßenswert, dass der Vorsitzenden der Linkspartei, Bernd Riexinger, Anfang Dezember eine längst fällige öffentliche Debatte um die Ausweitung der unzureichenden Mitbestimmungsrechte für Beschäftigte losgetreten hat. In einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung sagte Riexinger, er unterstütze «die Initiative des Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, Michael Vassiliadis, der (Anfang Oktober 2020) die Ausdehnung der Montanmitbestimmung fordert». Und weiter: «Wir wollen, dass Betriebsräte echte Mitbestimmung bei Standortschließungen, Verlagerungen und Stellenvernichtung im großen Stil erhalten, und wir wollen in den Aufsichtsräten wirkliche paritätische Mitbestimmung.» Seine Partei fordere die Bundesregierung auf, «schnell die betriebliche Mitbestimmung auf wirtschaftliche Grundentscheidungen auszudehnen». Es passe nicht ins 21.Jahrhundert, «dass die Demokratie in wichtigen Fragen vor den Betriebstoren Halt macht».
Der Dank der IG BCE folgte sofort: «Wir begrüßen es, dass die LINKE unsere Initiative für eine nachhaltige Konfliktlösung in Aufsichtsräten großer Kapitalgesellschaften unterstützt … Es ist gut und wichtig, dass das Thema Fahrt aufnimmt.» Bislang geht aber in Sachen Mitbestimmung auch bei ZF-F noch alles seinen alten Gang.
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