Verwaltungsgerichte heben Versammlungsverbote auf
von Peter Vonnahme*
Am 17.November hat das Bayrische Verwaltungsgericht in einem Aufsehen erregenden und wegweisenden Urteil einer Veranstaltung stattgegeben, die sich kritisch mit einem Ratsbeschluss der Stadt München auseinandersetzt.
Die Stadt hatte die Veranstaltung verboten – mit Hinweis auf denselben Ratsbeschluss. Anfang Dezember folgte das Hessische Verwaltungsgericht. Hier ging es um das von der Stadt Frankfurt am Main ausgesprochene Verbot einer Veranstaltung, die sich mit dem Beschluss des Bundestags gegen die gegen die israelische Besatzungspolitik gerichtete BDS-Kampagne (Boycott, Divestment and Sanctions) auseinandersetzen wollte. Die Veranstaltung konnte daraufhin mit einiger Verzögerung stattfinden.
Beides sind wichtige Erfolge im Kampf um die Meinungsfreiheit in diesem Land und werfen die Frage auf, ob der Bundestagsbeschluss gegen BDS Bestand haben kann.
d.Red.
Der VGH hat mit großer Klarheit ausgesprochen, dass der Kläger einen Anspruch auf Überlassung eines städtischen Veranstaltungssaals («öffentliche Einrichtung» im Sinne des Art.21 Abs.1 Satz 1 GO) für eine geplante öffentliche Podiumsdiskussion hat. Als Thema der Veranstaltung war vorgesehen: «Wie sehr schränkt München die Meinungsfreiheit ein? – Der Stadtratsbeschluss vom 13.Dezember 2017 und seine Folgen». Nach diesem Beschluss sollen alle Bewerber, die sich in einer geplanten Veranstaltung «mit den Inhalten, Themen und Zielen der BDS-Kampagne befassen, diese unterstützen, diese verfolgen oder für diese werben» zwingend von der Raumvergabe in städtischen Einrichtungen ausgeschlossen sein.
Die weltweite BDS-Kampagne (Boycott, Divestment and Sanctions) wird von vielen Personen und Organisationen getragen. Sie weist keine festen organisatorischen Strukturen auf. Ihr erklärtes Ziel ist es, mit gewaltfreien Mitteln den Palästinensern zu ihrem Recht zu verhelfen, insbesondere die israelische Besatzung und Kolonialisierung zu beenden.
Der VGH hat nun klargestellt, dass die vom Kläger beantragte Raumüberlassung durch den besagten Stadtratsbeschluss vom 13.Dezember 2017 nicht ausgeschlossen wird. Nach Auffassung des Gerichts verstößt dieser Beschluss gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art.5 Abs.1 Satz 1 GG) und gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art.3 Abs.1 GG). Die Stadt sei nicht befugt, «Bewerbern allein wegen zu erwartender unerwünschter Meinungsäußerungen den Zugang zu ihren öffentlichen Einrichtungen zu verwehren.» Dies hätte nämlich zur Folge, dass zur Streitfrage überhaupt kein Meinungsaustausch mehr stattfinden könne.
Der von der Stadt verfügte, generelle Ausschluss von Veranstaltungen zur BDS-Kampagne sei rechtswidrig, weil nicht erkennbar sei, dass solche Veranstaltungen mit der Gefahr der Begehung von strafbaren Handlungen verbunden seien. Von einer konkreten Rechtsgutgefährdung, die eine staatliche Schutzpflicht auslösen würde, könne bei der BDS-Kampagne nicht gesprochen werden. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Kampagne eine «gezielte Stimmungsmache gegen die jüdische Bevölkerung in Deutschland oder gar ein Aufstacheln zum Hass gegen diese Bevölkerungsgruppe umfassen könnte.» Allein eine nach Einschätzung der Stadt bestehende antisemitische Grundtendenz könne den Zugang zu kommunalen Einrichtungen nicht ausschließen.
Außerdem liege ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor. Werde nämlich eine öffentliche Einrichtung für Veranstaltungen zu allgemeinpolitischen Fragen zur Verfügung gestellt, so dürften nicht nur – nach Art eines Tendenzbetriebs – die vom Einrichtungsträger gebilligten Themen und Meinungen zugelassen werden.
Es ist dem Gericht hoch anzurechnen, dass es der Versuchung widerstanden hat, sich dem politischen Mainstream anzupassen. Bekanntlich hat der Deutsche Bundestag am 17.Mai 2019 einen gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel «BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen» angenommen. Länder, Städte und Gemeinden sowie alle öffentlichen Akteure wurden aufgerufen, sich dieser Haltung anzuschließen. Bereits im Vorfeld hatten zahlreiche Städte beschlossen, der BDS-Kampagne oder Gruppierungen, die deren Ziele verfolgen, jede finanzielle Unterstützung zu entziehen und die Vergabe von kommunalen Räumen zu verweigern.
In dieser politisch aufgeladenen Situation bedarf es eines hohen Maßes an richterlicher Unabhängigkeit, sich sachfremden Einflüssen zu entziehen. Das «Ried-Urteil» zeigt, dass sich der erkennende Senat streng am Recht orientiert hat. Damit hat er das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gestärkt. Insofern ist Urteil wegweisend für andere anstehende Verfahren.
Verwunderlich ist nur, dass das Urteil davon ausgeht, der Kläger habe eine Veranstaltung zum Thema BDS geplant. Der Kläger hat nämlich durchgehend und unmissverständlich betont, dass eine Podiumsdiskussion zur Meinungsfreiheit und zur Problematik des Stadtratsbeschlusses vom 13.Dezember 2017 vorgesehen sei. Diese Veränderung des Sachverhalts (Tatbestand des Urteils) durch das Gericht ist jedoch im Ergebnis unschädlich. Denn wenn es in städtischen Räumen erlaubt ist, sogar über den «heiklen» Streitstoff BDS zu diskutieren, dann gilt das erst recht für eine Diskussion über die vergleichsweise «harmlosen» Themen Meinungsfreiheit und Stadtratsbeschluss.
Es ist befremdlich, dass die Stadt München sofort Revision angekündigt hat, ohne die Urteilsgründe im Detail zu überprüfen […] vor allem deshalb, weil die Erfolgsaussichten einer Revision als gering einzuschätzen sind. […]
[Es] wäre […] ein Zeichen bürgerschaftlichen und demokratischen Denkens, wenn die Stadt ihre Rechthaberei zurückstellt und dem Kläger nach fast drei Jahren des Streitens endlich das gibt, was ihm rechtlich zusteht, einen Raum für eine Veranstaltung. Dies liegt auch im wohlverstandenen Interesse der jüdischen und israelischen Mitbürger Münchens. […]
*Peter Vonnahme ist Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof i.R.
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