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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2021

Wenn dein Bier an der Türe läutet, werden Menschen ausgebeutet
von Alina Fuchs*

Vor ungefähr zwei Jahren prangerte der Satiriker Jan Böhmermann in seiner Sendung die unmenschlichen Zustände an, unter denen Paketkuriere und Angestellte von Lieferdiensten arbeiten müssen.

Zu dieser Zeit war ein Bereich der Branche noch vergleichsweise klein und kam daher nicht vor: Lieferanten, die auf Getränke spezialisiert sind.

Dieser Bereich hat zunehmend an Bedeutung gewonnen. 2012 wurde das Unternehmen «Flaschenpost» gegründet. Durch die Corona-Krise konnte das Startup Gewinne in Millionenhöhe einfahren und wurde für den Konkurrenten «Durstexpress» der Oetker-Gruppe eine ernstzunehmende Bedrohung, sodass «Flaschenpost» am 30.Oktober von der Oetker-Gruppe übernommen wurde.
Die Arbeitsbedingungen sind den Angestellten zufolge ähnlich prekär wie bei anderen bekannten Lieferdiensten. In einem Schreiben an die Geschäftsführung, das der Redaktion vorliegt, klagen die Beschäftigten unhaltbare Zustände und ein Klima der Einschüchterung an. Es geht so weit, dass die Absender aus Angst vor Entlassung nicht wagten, ihren kurzen Brief an die Redaktion zu namentlich zu unterzeichnen.
Das Schreiben gewährt einen tieferen Einblick in die Situation der Beschäftigten bei «Flaschenpost». Dort ist die Rede von Pseudomaßnahmen im Sinne der Beschäftigten, die jedoch keinerlei echte Verbesserung mit sich brächten, ebenso wie von einem «internen sog. Betriebsrat der Flaschenpost-Muttergesellschaft [beim Firmensitz] in Münster», der zumindest zum Teil mit von der Geschäftsführung selbst ausgewählten Personen besetzt sei.
Bestrebungen der Beschäftigten Anfang des Jahres, einen wirklichen Betriebsrat zu gründen, antwortet die Konzernspitze mit harten Repressalien: Obwohl letzten Endes ein Betriebsrat erfolgreich gewählt werden konnte, hatte selbst dies für nicht wenige Beteiligte die Entlassung zur Folge – «schon während des Betriebsratswahlprozesses und auch fortlaufend danach wurden hieran beteiligte Kollegen und damit missliebige Stimmen aus dem Unternehmen entfernt». Die Konzernführung hat auch versucht, die Wahl des Wahlvorstands per Eilantrag für ungültig erklären zu lassen.
Dem Brief an die Geschäftsführung ist zu entnehmen, dass eine Beschäftigtenvertretung bitter nötig ist. Die Sanitäranlagen seien trotz beginnender Verbesserungen nur ungenügend sauber, die Lieferfahrzeuge nicht mit Klimaanlagen ausgestattet, was besonders angesichts der extremen Hitzewellen im August nicht hinnehmbar sei, und das Liefern größerer Bestellungen höhere Treppen hinauf dürfe nicht zu zweit erledigt werden.
Die von den etablierten Lieferdiensten bekannte Praxis der digitalen Leistungskontrolle verschlimmert den ohnehin hohen Arbeitsdruck. Auch die Entlohnung lässt zu wünschen übrig, während sich die Vorstände die Taschen voll stopfen.
Die Übernahme von «Flaschenpost» durch die Oetker-Gruppe stellt keine Verbesserungen in Aussicht. Laut Hans-Böckler-Stiftung, dem Mitbestimmungs-, Forschungs- und Studienförderungswerk des DGB, sperrt sich auch dort die Führungsetage gegen die Gründung von Betriebsräten. Folglich ist die Stimmung an den Standorten düster, geprägt von Angst vor Arbeitsplatzverlust.
Startups geraten häufiger öffentlich in die Kritik, weil sich deren Geschäftsleitung gegen Betriebsräte wendet. Zumeist geben sie sich, ähnlich wie «Flaschenpost», nach außen hip, modern und jugendlich und spiegeln vor, Beschäftigte und Geschäftsführung seien eher gut Freund als verschiedenen Klassen angehörig. Betriebsräte gehören in ihrer Vorstellung der alten Zeit an, in der es noch eine Klassengesellschaft gab, die heutzutage angeblich nicht mehr existiert.
Die neoliberale Taktik, Klassenunterschiede zu leugnen, um ebendiese zu befeuern, grassiert unter Startups, ist bei Logistikunternehmen jedoch besonders zum Scheitern verurteilt, da Ausbeutung hier so offensichtlich und so extrem ausfällt, dass sie unbestreitbar wird.
«Er ist kein Mensch, er ist kein Tier, nein, er ist Paketkurier», sangen Jan Böhmermann und der Chor der Scheinselbständigen 2018 von den Angestellten bei den bekannten Lieferdiensten. Sie können es heute von «Flaschenpost» und Co. genauso singen.

*Die Autorin leistet derzeit einen Freiwilligendienst und beschäftigt sich v.a. mit der Geschichte der Arbeiterbewegung.

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