Massenproteste gegen eine Flut repressiver Gesetze
von Bernard Schmid
Der zunehmenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung, u.a. mit der Art, wie die französische Regierung auf die Pandemie reagiert, will diese nun mit dem Knüppel begegnen. Der Nationalversammlung und dem Senat liegt eine Vielzahl repressiver Gesetze vor, die einen Marsch in den autoritären Staat ankündigen.
Eine Demonstration als Wanderkessel, mit fast 150 Festnahmen, ohne dass es zu ernsthaften Sachschäden gekommen wäre: Am Samstag, dem 12.Dezember demonstrierte die französische Staatsmacht ihre Härte, Entschlossenheit und ihre nunmehr klar zu Tage tretende autoritäre Tendenz.
An diesem Tag protestierten erneut Zehntausende in Paris und in weiteren französischen Städten sowohl gegen das geplante künftige Polizeigesetz, genannt Loi de sécurité globale (Gesetz zur umfassenden Sicherheit), als auch gegen den am 9.Dezember vorgelegten Entwurf für das sog. «Anti-Separatismus-Gesetz» (offiziell inzwischen umbenannt in «Gesetz zur Bestärkung republikanischer Grundsätze»). Letzteres richtet sich, möchte man es kurz auf einen Punkt bringen, gegen bestimmte, als gefährlich dargestellte islamische Einflüsse. Gegen das geplante Polizeigesetz wurde bereits zum fünften Mal in Folge demonstriert – nach dem 17.November, dem 21. und 28.November, dem Tag der bislang massivsten Mobilisierung mit landesweit bis zu einer halben Million Menschen, und dem 5.Dezember nun eben am 12.12.
Die Regierung schürt Angst
In Paris, wo die Regierung im Vorfeld in martialischem Ton befürchtete Ausschreitungen und ein hartes Durchgreifen der Polizei angekündigt und damit massiv Angst geschürt hatte, sprang ein Teil der VeranstalterInnen wie die altehrwürdige Liga für Menschenrechte (LDH) deswegen im Vorfeld ab.
Die LDH, aber auch die Mehrzahl der etablierten Gewerkschaften und der linkssozialdemokratische Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon – er hat seine Bewerbung zur Präsidentschaftswahl 2022 bereits erklärt – riefen dazu auf, nicht in Paris, wohl aber in den Regionalhauptstädten auf die Straße zu gehen. Die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) hatte daraufhin die Anmeldung übernommen, die keine der größeren Organisationen vornehmen mochte.
Auf 5000 Demonstrierende – so die Zahlen des Innenministeriums in Paris, das landesweit von gut 26000 sprach – kamen, wiederum nach Angaben des Ministeriums, allein in der Hauptstadt 3000 eingesetzte Polizisten, Polizistinnen und Gendarmen. Die VeranstalterInnen sprachen in Bezug auf Paris von 10000 Teilnehmenden.
Am Abend wurden 142 bestätigte Festnahmen vermeldet (insgesamt 164 frankreichweit), obwohl der vielfach angekündigte «schwarze Block» gar nicht wirklich in Aktion getreten war. Zu den Festgenommenen zählen laut ersten Erkenntnissen auch Personen, die lediglich den Protestzug ohne Genehmigung zu verlassen versuchten und darüber mit eingesetzten Polizisten in Streit gerieten.
Zu ihnen gehört Ahamada Siby vom Kollektiv der Sans Papiers (um ihren Aufenthaltsstatus kämpfende, migrantische Arbeiter) in Montreuil bei Paris, der noch am Sonntag in Polizeigewahrsam blieb. Er hatte sich zuvor laut Zeugenaussagen sogar geweigert, verbal aggressive, von manchen Umstehenden aufgegriffene Parolen gegen die Polizei mit anzustimmen, und lediglich mehrfach um die Möglichkeit gebeten, die Demonstration zu verlassen, weil er sich zu einem früheren Zeitpunkt eine Knieverletzung zugezogen hatte. LDH-Anwalt Ariel Alimi sprach in Twittermeldungen davon, in Polizeigewahrsam genommenen Personen sei rechtswidrig die freie Anwaltswahl verweigert und ausschließlich ein Pflichtverteidiger «gewährt» worden.
Die französische Staatsmacht setzt also ganz offenkundig auf autoritäres Durchregieren. Zu ihm zählt, jedenfalls laut Auffassung der Teilnehmenden und UnterstützerInnen des Protests, neben dem umstrittenen «Sicherheitsgesetz» auch der jetzt vorgelegte Entwurf zum Umgang mit dem Islam.
Schwur auf die «republikanischen Werte»
Der Entwurf zum Islamgesetz stärkt vor allem die administrativen Befugnisse des Staates gegenüber den Associations, also Bürgerinitiativen und Sozial-, Kultur- und Freizeitvereinigungen. Letztere müssen sich demnach künftig gegenüber den Behörden vertraglich, und unter Kontrolle, auf die «Einhaltung republikanischer Werte» verpflichten.
Die Frage wird lauten, was man darunter fassen kann. Zählt man dazu ausschließlich Grundsätze wie den Schutz der Menschenwürde, könnte man daran zunächst keinen Anstoß nehmen. Die Befürchtung lautet jedoch, dass Regierung und Behörden auch andere, viel weitergehende Vorstellungen mit darunter packen, die darauf hinauslaufen würden, zivilgesellschaftliche Strukturen auf Staatstreue einzuschwören.
Zum Vergleich: Im französischen Arbeitsrecht sind Gewerkschaften seit dem Tarifgesetz vom 20.August 2008 zum «Respekt republikanischer Werte» verpflichtet. Prompt kam es vor Arbeitsgerichten zu Versuchen, etwa von Arbeitgeberseite, linke Basisgewerkschaften wie SUD, die eine Art von Selbstverwaltungssozialismus anstreben, oder die kleinere anarcho-syndikalistische CNT mit dem Vorwurf mangelnder Republiktreue zu disqualifizieren und dadurch vom Verhandlungstisch zu verbannen. Bislang drangen solche Versuche auf juristischer Ebene nicht durch. Nichts garantiert jedoch, dass nicht eine weitaus autoritärere Auffassung vom Respekt republikanischer Werte die Oberhand gewinnt und zum Ausgrenzungsinstrument wird.
Einen Präzedenzfall bildet das im November 2020 von Innenminister Gérald Darmanin verfügte Verbot der vor allem juristisch aktiven, vor Gericht gegen tatsächliche oder vermeintliche Diskriminierung von Muslimen vorgehenden Gruppe CCIF (Kollektiv gegen Islamophobie in Frankreich). Die Begründung dafür lieferte Darmanin die Tatsache, dass der islamistische Agitator Brahim Chnina sich eigenen Angaben zufolge an das CCIF gewandt hatte, um gegen Unterrichtsinhalte des Lehrers Samuel Paty zu polemisieren – Paty wurde am 16.Oktober von einem jungen Tschetschenen mit jihadistischer Ideologie ermordet. Der Mörder wiederum hatte im Internet Videofilme von Chnina angesehen. Das CCIF hatte demnach weder aus der Nähe noch aus der Ferne irgend etwas mit dem Mordfall zu tun. Eine Gruppe von Rechtsberatern wegen solcher, von der Regierung behaupteter, indirekter Kontaktschuld zu verbieten, schafft einen äußerst gefährlichen Präzedenzfall, und es ist vollkommen egal, wie man in der Vergangenheit zu den vom CCIF signalisierten Vorfällen und zu seiner Definition von antimuslimischer Diskriminierung stehen mag.
Gesinnungsschnüffelei und anderes mehr
Zur derzeitigen repressiven Offensive der Regierung zählen jedoch auch noch drei Regierungsdekrete vom 4.Dezember 2020 – die Dekrete Nummer 1510, 1511 und 1512. Sie erlauben es den Polizeidiensten, Informationen über die politische Haltung sowie «gewerkschaftliche, weltanschauliche oder religiöse Zugehörigkeit» von Personen, «die geeignet sind, die öffentliche Sicherheit zu stören», zu speichern. Damit kann die Polizei ab sofort Nachrichten über Gesinnung, und nicht allein über vorgeblich oder tatsächlich strafrechtlich relevantes Verhalten, speichern.
Unter Emmanuel Macrons Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy musste 2008 ein vergleichbares Projekt in Gestalt der damals geplanten Datei EDWIGE noch zurückgezogen bzw. erheblich entschärft und unter einen anderen Namen gestellt werden.
Die drei Dekrete sind Bestandteil einer repressiven Generaloffensive, die daneben noch mehrere weitere Gesetzestexte umfasst. Dazu zählt auch eine Maßnahme, die in Artikel 20 des soeben zur Verabschiedung vorgelegten Gesetzes zu Hochschule und Forschung (LPR) enthalten ist und dort in allerletzter Minute, nämlich im Vermittlungsausschuss zwischen den beiden Parlamentskammern nach der Debatte in der Nationalversammlung und im Senat am 9.November auf Initiative des Hochschulministeriums eingefügt wurde.
Er sieht die Möglichkeit vor, studentische Besetzungen in Universitätsgebäuden zu kriminalisieren und droht dafür Strafen bis zu drei Jahren Haft an. Die zuständige Ministerin Frédérique Vidal beeilte sich zwar zu versichern, es gehe ausschließlich um das Eindringen universitätsfremder Personen in Hochschulräume, da die Formulierung im Artikel sich auf Individuen «ohne Aufenthaltsrecht auf dem Universitätsgelände» bezieht. Es genügt jedoch, dass die Hausordnung etwa protestierenden Angestellten oder Studierenden im Falle eines Verlassens ihrer Unterrichtsräume den Aufenthalt untersagt, und schon können sie unter die Strafbestimmung fallen. Proteste von Lehrenden und Studierenden fanden seit November statt, verhallten jedoch bislang.
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