Im Porträt: George Poe Williams
Gespräch mit George Poe Williams
Weil er für gute Pflege in Liberia kämpft, kann er nicht zurück nach Hause
Der Liberianer George Poe Williams ist Gewerkschaftsvorsitzender und Pfleger. Nach einjährigem Studium in Kassel kann er nun nicht nach Liberia zurück – dort droht ihm große Gefahr. Mit George Poe Williams sprachen für die SoZ Violetta Bock und Angela Huemer.
George wirkt auf den ersten Blick wie ein ruhiger Typ. Als ich den Aufnahmeknopf drücke und die erste Frage stelle, ist er sofort hoch konzentriert. Er beugt sich vor zum Gerät und spricht in klarem Englisch Satz für Satz. Man merkt, dass er es gewohnt ist, genau und fokussiert zu sein, nicht mal eben daneben zu hauen, sondern seine Worte und Taten bewusst zu setzen. Er kann mit hoher Arbeitsbelastung umgehen, er ist es gewohnt, in einem unterfinanzierten Krankenhaus Patienten in Katastrophensituationen zu pflegen und davor und danach intensive Gewerkschaftsarbeit zu machen – im ständigen Kontakt mit (Gewerkschafts-)KollegInnen aus Liberia und der ganzen Welt. Er kämpft um die Anerkennung seiner Gewerkschaft. Er und seine Mitstreiter sind großem Druck ausgesetzt, die Polizei wird bei Demonstrationen auf der Straße schon mal gewalttätig.
Doch nun steht er seiner wohl größten Herausforderung gegenüber – im pandemiegeprägten Deutschland. Der Pfleger, Gewerkschafter, Vater, Ehemann sitzt aktuell in einer Wohngemeinschaft in einem kleinen Reihenhaus in Kassel. Er kann die Hühner der Nachbarn sehen, das erinnert ihn an zuhause. Dort kann er im Moment nicht hin. Das ist schwer. Besonders wenn die kleine Tochter krank wird und er nicht bei ihr sein kann, ihr beistehen, sie pflegen.
Denn die Regierung Liberias beschimpft ihn als unvernünftigen Politiker und Aufrührer, und seine Bekannten in der Heimat haben ihn gewarnt, er solle lieber noch nicht zurückzukommen, weil bereits nach ihm gesucht wird. Vier staatliche Finanzkontrolleure sind plötzlich verschwunden oder unter seltsamen Umständen gestorben. Dabei will er doch nur eins: Dass die Bedingungen im Gesundheitssektor so sind, dass Menschen gesund werden.
Vor eineinhalb Jahren, da war er bereits Generalsekretär der National Health Workers Union of Liberia, entschied er sich für den internationalen Masterstudiengang LPG (Labor Policies and Globalization). In diesem Studiengang werden in Kassel und (vor Corona) in Berlin ein Jahr lang GewerkschafterInnen ausbildet, um sie mit neuem Rüstzeug auszustatten, damit sie in ihren Ländern die Gewerkschaftsbewegung weiter aufbauen können. Unter normalen Umständen wäre er im September nach Monrovia, der Hauptstadt von Liberia, zurückgekehrt, wo rund ein Fünftel der Bevölkerung lebt. Dort leben seine Frau und seine zwei kleinen Kinder, ein Mädchen und ein Junge. Stattdessen ist er nun in Kassel gestrandet.
Überall werden Pfleger gesucht, aber er kann weder dort noch hier seine Fähigkeiten einbringen. So nahm er sich sehr gern lange Zeit für ein Gespräch. Er erzählte von seiner Motivation, sich so intensiv für die Arbeiterbewegung zu engagieren, von den Problemen Liberias, die Strategien seiner Gewerkschaft und die Möglichkeiten für den Aufbau internationaler Solidarität.
Vom Pfleger zum General Secretary
«Als Teenager bewunderte ich meine Tante, die im Gesundheitssektor arbeitete», erzählt George, als ich ihn frage, warum er sich für den Gesundheitssektor entschieden hat. «Sie war ausnehmend höflich und kam mit allen gut aus – ich wollte so ein Mensch werden. Ich entwickelte sogar den Ehrgeiz, später einmal Arzt zu werden. Doch der Bürgerkrieg behinderte unsere Schulausbildung und letztendlich war ich nach dem Krieg zu alt, um noch ein Medizinstudium anzufangen. Deshalb ging ich in die Krankenpflegeschule. Nach meiner Ausbildung 2005 hatte ich Glück, ich konnte für den spanischen Zweig von «Ärzte ohne Grenzen» arbeiten. Ich arbeitete auf der Kinderintensivstation. Das war kurz nach dem Bürgerkrieg.
Zu dem Zeitpunkt waren die Nichtregierungsoganisationen noch im Land und ich konnte sehen, was im Gesundheitswesen möglich war: die Ausstattung, die Anzahl der PflegerInnen pro Patient, das genaue Arbeiten, die Pünktlichkeit usw.» Diese zunächst gute Entwicklung nach dem Ende des Bürgerkriegs 2003 hielt jedoch nicht an: «Als ‹Ärzte ohne Grenzen› das Land verließ (im Jahr 2010), die Einrichtung umgewandelt und an die Regierung übergeben wurde, geriet alles in Unordnung. Wenn man wusste, wozu die Belegschaft fähig war, sah, wie sie unterdurchschnittliche Leistungen erbrachte, nur weil das, was sie brauchte um zu tun, was sie sollte, nicht verfügbar war – die Lücke aufgrund mangelhafter Ressourcen war so offensichtlich. So habe ich begonnen mich zu engagieren.»
Nicht nur Ressourcen fehlten. Obwohl vereinbart worden war, dass die Mitarbeiter der Einrichtung von «Ärzte ohne Grenzen» vom Staat übernommen werden, erfolgte dies de facto erst nach rund einem Jahr und sehr viel Bemühungen – um die Anstellungen durchzusetzen, hatte man sogar die Staatspräsidentin, die Friedensnobelpreisträgerin Ellen Johnson Sirleaf kontaktiert. Sie kam, um die lebenswichtige Arbeit der Pfleger in Augenschein zu nehmen. Bis die Anstellungen durchgesetzt wurden, arbeiteten sieben von zehn Beschäftigten ehrenamtlich in der Hoffnung, irgendwann entlohnt zu werden – die Programme des Internationalen Währungsfonds machten das erforderlich.
Vorsitzender wider Willen
George Poe Williams ist bescheiden, eigentlich wollte er nie Vorsitzender von irgendwas werden. Doch schon als er im Krankenhaus von «Ärzte ohne Grenzen» tätig war, auf der Kinderintensivstation, wurde die Notwendigkeit eines Mittelmannes zwischen Beschäftigten und Managern von «Ärzte ohne Grenzen» deutlich. Ohne dass er an irgendwelchen Sitzungen teilgenommen hätte, wählten seine Kollegen George, nach der Wahl erfuhr er per Telefon davon. Und nahm die Herausforderung an. Weil er das so gut und so gerne tat, wurde er auf nationaler Ebene aktiv – noch zu einer Zeit, als er für «Ärzte ohne Grenzen» arbeitete. Als der Vorsitzende der Vereinigung der Gesundheitsbeschäftigten zurücktrat, weil es ihm zu heiß wurde, suchten sie nach einem Neuen, und George übernahm schliesslich die Aufgabe mit allen anderen als Beratern um ihn herum.
Kampf für bessere Arbeitsbedingungen
Wie sehr George Poe Williams in seine Rolle als Gewerkschaftsführer hineingefunden hat, zeigt sein klares, selbstbewusstes Plädoyer für die Rolle der Beschäftigten im Gesundheitssektor, das er in einem Artikel für die britische Tageszeitung The Guardian im Mai 2020 kundtat: «Wir GesundheitsarbeiterInnen sind keine Helden. Und wir sollten auch nicht zu Märtyrern werden im Rahmen unserer Arbeit. Wir sind Profis. Wir brauchen Sicherheitsausrüstung, damit wir gesund bleiben, wenn wir Menschenleben retten. Wir brauchen genug Personal und gut ausgestattete Gesundheitseinrichtungen. Wir brauchen ausreichend Finanzierung von Seiten der Regierung.»
Doch anders als «Ärzte ohne Grenzen» hörte die Regierung nicht auf die Appelle der GesundheitsarbeiterInnen. Im Gegenteil, sie wurden von Regierungsverantwortlichen diskreditiert. «Es gab immer Schwierigkeiten, aber wir blieben dran. Ab einem gewissen Zeitpunkt weigerten sich die Regierungsoberen sogar, sich mit uns zu treffen», erzählt George, «weil wir ja keine Gewerkschaft, sondern nur eine Vereinigung waren.» Das führte zu einem wichtigen Entschluss: «Das motivierte uns dazu, zu einer Gewerkschaft zu werden.»
Die Hürden für die Anerkennung
Die Bemühungen, eine Gewerkschaft zu bilden, begannen 2013. Eine Schwierigkeit dabei war, dass es in Liberia unterschiedliche Gesetze für den privaten und den öffentlichen Arbeitssektor gibt. Die Gesetze für den öffentlichen Sektor äußern sich nicht zu Gewerkschaften – ein Grund für die Politik daraus zu schließen, dass es im öffentlichen Sektor kein Recht auf gewerkschaftliche Organisierung gibt. Daher gab es auch auf ILO-Ebene stets nur Delegationen von Beschäftigten der Privatwirtschaft.
«Wir waren der Ansicht, dass das so nicht weiter gehen kann. Unsere Stimmen sollten überall gehört werden, sowohl zuhause als auch auf internationaler Ebene.» Beschäftigte im Gesundheitsbereich begannen also mit dem Aufbau der Struktur, formierten Ortsverbände, sammelten Mitglieder, bildeten sie aus. Die Gewerkschaft funktioniert komplett ehrenamtlich und erhebt keine Beiträge. «Es ist sehr herausfordernd, aber unsere Demokratie geht von unten nach oben, und weil die Leute selbst entscheiden, was angegangen wird, sind sie auch bei der Umsetzung dabei. Wir haben gute Strukturen aufgebaut. Wenn KollegInnen an Punkt A Informationen bekommen, wissen sie, dass sie sie an Punkt B weitergeben müssen, und so haben wir ein Informationsnetzwerk im ganzen Land. Als wir zum Streik aufriefen, beteiligten sich 15 der 17 Bezirke.»
2017 wurden sie zur National Health Workers Union. Das war auch Ergebnis einer Neustrukturierung der Gewerkschaftslandschaft unter der gewerkschaftsfeindlichen Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf. Doch die neue Regierung verweigerte erneut die offizielle Anerkennung.
Strategiewechsel
«Wir begannen nun, Social Media zu nutzen», erzählt George. «Das war die beste Art, um Informationen zu verbreiten, denn wenn man Pressekonferenzen organisiert, muss man auch für den Transport der Journalisten sorgen» – ein schwieriges Unterfangen in einem Land wie Liberia, wo es kaum asphaltierte Straßen gibt.
Die Gewerkschaft leitete einen Strategiewechsel ein. Sie wartete nun nicht mehr darauf, dass die Regierung an den Tisch kommt, oder begnügt sich mit Straßenprotesten. Denn wenn die Leute auf die Straße gehen, schickt die Regierung die Polizei, «und die ist mitunter gewalttätig». Sie konzentrierte sich stattdessen auf die ausländischen Partner der Regierung wie die EU, die USA, die UN. «Wir versammelten uns friedlich vor den jeweiligen Botschaften», die Petitionen wurden jeweils freundlich aufgenommen. Die Hoffnung ist, dass die Diplomaten diese Informationen mit dem vergleichen, was sie von der Regierung erfahren. Und dass sie den Schluss ziehen, dass die Gewerkschaft einbezogen werden soll. Das hat die Regierung hart getroffen. «Denn es gibt eine Lücke zwischen den Konzepten und der Umsetzung, es passiert nicht das, was passieren soll, und wir sind direkt vor Ort und können Fakten liefern.»
Darüber hinaus wünscht sich George mehr Unterstützung von KollegInnen aus dem Norden. Seine Gewerkschaft bemüht sich um mehr Bündnisse. Sie kooperieren bereits mit Public Services International, die ja sein Studium ermöglicht haben. Er wünscht sich auch Zusammenarbeit mit deutschen Gewerkschaftern. «Deutschland hat große Gewerkschaften und die Regierung hört auf sie», sagt George. «Unsere deutschen Kollegen können mit unserer Regierung sprechen und Druck auf sie ausüben.»
«Die Regierung ist nicht glücklich mit mir»
Doch im Moment plagen George Poe Williams ganz andere Sorgen. Eigentlich wollte er zurückkehren, als eine weitere Streikwelle einsetzte, um Schutzausrüstung angesichts der COVID-19-Pandemie zu fordern. Die Regierung machte ihn für die Streikwelle verantwortlich. Als er erfuhr, dass Sicherheitskräfte nach ihm suchen, und er viele Anrufe «von besorgten Gewerkschaftsangehörigen und noch sorgenvolleren Familienmitgliedern» erhielt, entschied er erstmal, in Deutschland zu bleiben. Es geht ihm nicht gut. «Ich habe ja meine Familie zurückgelassen. Ich schlafe schlecht, habe wenig Appetit. Ich rede zwar mit Leuten, da ist aber immer ein Bildschirm dazwischen», sagt er gegen Ende unseres Gesprächs. «Menschen sollten doch direkten Kontakt miteinander haben.»
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