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Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2021

Eine Replik von Kim Moody auf Jane McAlevey
von Violetta Bock

Anfang November veröffentlichte Kim Moody, unter anderem Mitbegründer von Labor Notes in den USA, eine Replik auf Jane McAleveys Modell des Organizing.

In einer solidarischen Kritik verweist er auf kritische Punkte, wie etwa die überdimensionierte Herausstellung hauptamtlicher Organizer. Sie sei nicht zuletzt eine Folge davon, dass McAlevey bei der Suche nach den Gründen des Niedergangs der Gewerkschaften einen wichtigen Aspekt vergisst: die Gewerkschaftsbürokratie.

Im folgenden geben wir einen Überblick über die 22 Seiten und wollen vor allem eins: Reaktionen. Es ist Zeit für eine Bilanz, wie weit wir mit organisierender Arbeit hierzulande gekommen sind und was dabei noch bremst.
In einem ersten Abschnitt fasst Moody den Ansatz von McAlevey zusammen. In den letzten beiden Jahren haben über 4000 Menschen weltweit an Online-Veranstaltungen teilgenommen. Sie sind begierig, sich Werkzeuge anzueignen, wie die Macht der ArbeiterInnen gestärkt werden kann. McAlevey ist Gewerkschafts-Organizerin, Akademikerin und Gewerkschaftberaterin. Überaus nützlich ist ihre Unterscheidung zwischen arbeitsrechtlicher Interessensvertretung, etwa durch Nichregierungsorganisationen, Mobilisierung (das punktuelle Zusammentrommeln bei einem Streik) zur Stärkung der Verhandlungsführer und Organizing als nachhaltige und Macht verschiebende Organisierung des Arbeitsplatzes. Zentrale Bestandteile für den Aufbau von Macht sind die Identifizierung und Ausbildung von organischen Schlüsselpersonen, die Kartierung des Arbeitsplatzes und Strukturtests. Origineller ist, dass McAlevey auch die Phase der Verhandlungen offensiv einbezieht, für offene Verhandlungen plädiert und beschreibt, wie dies die Machtverhältnisse zugunsten der ArbeiterInnen verschiebt.
Ihr Blick auf die Gewerkschaftslandschaft hat dabei die überbetriebliche Machtverschiebung im Fokus. Dafür müsse man Branchen strategisch auswählen, wie etwa die Dienstleistungsbranche, die nicht schnell ausgelagert werden kann. Darin zeigt sich bereits ihre «Betonung der Dominanz von professionellen OrganizerInnen bei Vertretungswahlen, Tarifkampagnen und sogar Streiks». Auch wenn Moody deren wichtige Rolle anerkennt, kritisiert er, dass McAleveys Darstellung die «Initiative zahlloser ‹ungeschulter› Organizer am Arbeitsplatz» ignoriert und gar betriebliche Kerne, die den Boden für große Kampagnen bereiten, wie etwa bei den LehrerInnen in Chicago, unsichtbar werden lässt. Die Wiederbelebung der Arbeiterbewegung kann jedoch nicht allein durch die Initiative professioneller Organizer erfolgen, sondern benötigt die tagtägliche Basisinitiative. Sie kann nicht allein von der Zustimmung der Gewerkschaftsspitzen abhängen.

«Wer tötete die Gewerkschaften?»
McAlevey sieht die Wurzeln des gewerkschaftlichen Niedergangs in den letzten 50 Jahren vor allem in drei Faktoren: «(1) Taft-Hartley verschafft dem Chef einen rechtlichen Vorteil, (2) die Gewerkschaftszerstörer sorgen für den nötigen Druck und die Einschüchterung, während (3) die Globalisierung es den Unternehmern ermöglicht, mit der Abwanderung ins Ausland zu drohen und ihre Betriebe zu schließen.»
All dies hat zweifelsohne wesentlich zur Schwächung beigetragen. Nicht genannt wird jedoch die oberste Führung der Gewerkschaftsbürokratie. Dabei geht es Moody keineswegs um ein vereinfachtes Bild à la gute Basis – böse Führung. Er beschreibt, wie sich die gewerkschaftliche Praxis in den USA entwickelt und die Organisierung am Arbeitsplatz zunehmend aus dem Blick verloren, sich stattdessen auf Löhne, Sozialleistungen und Kompromisse mit dem Management konzentriert hat. «Der Kampf um die Arbeitsbedingungen und die Fähigkeit ihrer Mitglieder durch direkte Aktionen Widerstand zu leisten, wurde aufgegeben.»
Als Konsequenz daraus, wurde Rassismus im Betrieb gewerkschaftlich nicht angegangen und als es, inspiriert von der Bürgerrechtsbewegung in den 60er/70er Jahre, zu Arbeiterrevolten kam, stellte sich die Gewerkschaftsführung dagegen. Es folgte die Zeit der Zugeständnisse.
Moody weist auf die Widersprüchlichkeit gewerkschaftlicher Organisationen als Institution und zugleich soziale Bewegung mit einer Tendenz zur Bürokratisierung hin. Hauptamtliche Organizer sind dieser Bürokratie rechenschaftspflichtig. Dies muss man sich bewusst machen um dem entgegenzuwirken, durch Gewerkschaftsdemokratie und Basisbewegungen. Moody findet ihr «Organizing-Modell» nicht falsch, dringt aber darauf, dass es allein nicht ausreicht. Die führende Rolle kam, nicht nur bei der Entstehung des Gewerkschaftsbunds CIO, sondern auch bei den Lehrerstreiks 2018–20, ehrenamtlichen ArbeiterführerInnen zu. Damit dreht er ihr Modell um und beschreibt weitere aktuelle Beispiele zunehmender Selbsttätigkeit, von Black Lives Matter über Amazon bis zu den zahlreichen Kämpfen um Schutzausrüstung in der COVID-19-Pandemie.

Der Text erschien im Journal Spectre unter dem Titel «Reversing the ‹Model›. Thoughts on Jane McAlevey’s plan for union power». Eine vollständige deutsche Übersetzung findet sich auf der Seite von OKG, www.organisieren-gewinnen.de.

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