Gewonnen hat der «Trump-Gegner»
von Dianne Feeley*
Zwei Drittel der Menschen, die Joe Biden zum nächsten Präsidenten gewählt haben, taten dies, weil sie Trumps Niederlage wollten.
Was die Reporter nach den Wahlen vom 3.November jedoch überraschte, war die Tatsache, dass Bidens schlussendlicher Sieg den Kandidaten der Demokratischen Partei für den US-Senat und das Repräsentantenhaus, selbst für die Legislative in den Bundesstaaten nicht geholfen hat.
Die Demokraten wollten die Mehrheit im US-Senat erringen, aber selbst wenn sie in der Stichwahl im Bundesstaat Georgia Anfang Januar beide Sitze gewinnen, gibt es im Senat nur ein Unentschieden. Dies würde es der gewählten Vizepräsidentin Kamala Harris ermöglichen, ihre Stimme als die ausschlaggebende in die Waagschale zu werfen und damit Gesetze zu verabschieden, die andernfalls abgeschmettert würden. Das ist zwar nicht unmöglich, aber beide Sitze zu gewinnen ist sehr ehrgeizig.
In keinem einzigen Bundesstaat verschieben sich mit den jetzigen Wahlen die Mehrheitsverhältnisse zugunsten der Demokraten – ein großer Rückschlag, wenn man bedenkt, dass die Organe der Legislative die Wahlbezirke für öffentliche Ämter auf Landes- und Bundesebene auf der Grundlage der Volkszählung von 2020 neu zuschneiden werden. Angesichts der Tatsache, dass die jeweils stärkere Partei die Grenzen der Wahlbezirke zu ihren Gunsten ziehen wird, damit sie für das nächste Jahrzehnt die Macht behält, wird der daraus resultierende Flickenteppich die Republikaner begünstigen.
Obwohl die beiden Parteien von verschiedenen Fraktionen der Wirtschaftselite unterstützt werden – und im wesentlichen die gleiche Außenpolitik verfolgen –, gilt die Demokratische Partei seit den Tagen der Präsidentschaft von Franklin D. Roosevelt als den Interessen der Lohnabhängigen gewogener, wohingegen die Republikaner die Geschäftswelt vertreten würden.
Angesichts der jahrelangen neoliberalen Politik, die sowohl von den Demokraten als auch von den Republikanern betrieben wurde, betrachten viele Lohnabhängige die Demokraten nicht mehr als Vertreter ihrer Interessen. 2016 waren es auf beiden Seiten die Außenseiter – Bernie Sanders und Donald Trump –, die alternative Visionen anboten. Nachdem Sanders in der Vorwahl der Demokraten ausgeschieden war, gewann Trump genügend Stimmen, um das Wahlmännerkollegium zu übernehmen.
Wer ist Joe Biden?
Biden gewann die Wahlen und das Wahlmännerkollegium mit 5 Millionen Stimmen Vorsprung, doch Trump konnte seine Basis im Vergleich zu 2016 um 9,5 Millionen Stimmen ausbauen. Viele Kommentatoren fragen sich, ob dies die Republikaner ermuntern wird, ihre Wählerschaft noch weiter rechts auszubauen, selbst um den Preis, dass dies auf der Basis einer rassistischen «American-First»-Wirtschaft passiert.
Biden ist seit einem halben Jahrhundert ein Mainstream-Politiker – einer der Washingtoner Insider, die Trump so lautstark denunziert hat. Biden gewann seinen Senatssitz 1973 und diente sechs Amtsperioden hindurch, danach war er zwei Amtsperioden lang Vizepräsident Obamas.
Während seiner ersten Amtszeit als Senator, als Gerichte versuchten, Schulen in eine nach Ethnien getrennte Gesellschaft zu integrieren, indem sie Kinder in Bussen befördern ließen, profilierte sich Biden als Champion gegen den Bustransfer. Er wurde für seine parteiübergreifende Arbeit bekannt und arbeitete mit den Senatoren Jesse Helms und Strom Thurmond zusammen, die die Rassentrennung befürworteten.
Als Biden 1991 den Vorsitz bei den Anhörungen zur Nominierung des erzkonservativen Clarence Thomas für den Obersten Gerichtshof der USA führte, erniedrigte er Anita Hill, die gegen Thomas den Vorwurf der sexuellen Belästigung erhoben hatte, und weigerte sich, andere Frauen als Zeugen zu laden, die den Vorwurf hätten bekräftigen können.
Als loyaler demokratischer Senator und mit Hilfe der National Association of Police Organizations entwarf er die Senatsversion des Verbrechensgesetzes von 1994, das die hohen Inhaftierungsraten noch weiter in die Höhe trieb. Häufig beschrieb er Sozialhilfeempfänger in rassistischen Stereotypen als Leute, die «einen Lebensstil führen, der die Reichen und Berühmten nachahmt» (offensichtlich im Gegensatz zu den hart arbeitenden Weißen), und unterstützte Bill Clintons Gesetzentwurf zur Reform der Sozialhilfe.
Biden hat sich seither für einige seiner Entscheidungen entschuldigt (wenn auch nicht direkt bei Anita Hill).
Vergeblich hat Sanders versucht, Biden dazu zu bewegen, Obamas Programm «Medicare für alle» zu übernehmen, einen «Green New Deal» auf den Weg zu bringen, die Schulden der Studierenden zu streichen und einen Mindestlohn von 15 Dollar pro Stunde einzuführen; er bleibt ein neoliberaler Demokrat.
Viele, die fürBiden gestimmt haben, erinnern sich nicht an seine vergangenen Taten, andere hoffen, dass er angesichts der Wirtschafts-, Gesundheits- und Klimakrise, in der wir uns befinden, gezwungen sein wird, eine fortschrittlichere Agenda umzusetzen. Angesichts der möglichen Pattsituation im Kongress könnte die Wirtschaftselite diese Situation als das beste aller möglichen Ergebnisse betrachten.
*Die Autorin war früher Automobilarbeiterin bei General Motors und ist Redakteurin von Against the Current (https://againstthecurrent.org).
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