Hrsg. Nele Austermann u.a., Frankfurt/M.: S.Fischer, 2020
von Leni Klaaß
Ob Polen oder Ungarn – dort wo rechte Regierungen an der Macht sind, wird die Unabhängigkeit der Justiz eingeschränkt. Aber auch in Deutschland lässt der Aufschwung rechter Politik die Rechtsprechung nicht unberührt.
In Anlehnung an den Grundrechte-Report, der seit 1997 jährlich herausgegeben wird, haben nun 47 JuristInnen und JournalistInnen den ersten «Recht gegen Rechts Report» geschrieben. Er beschäftigt sich vor allem mit rechtspolitischen Fällen und soll künftig jedes Jahr erscheinen. Im aktuellen Band geht es um Racial Profiling, Hitlergruß im Klassenzimmer, den AfD-Gründer Bernd Lucke an der Universität Hamburg, den NSU-Prozess und viele weitere Fälle, die Justiz und Behörden im Jahr 2020 beschäftigt haben.
Das Problem beginnt nicht erst mit den Taten von Rechtsextremen. Diese werden begünstigt durch institutionelle und gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Rechte sind sehr gut vernetzt, sie sitzen in Behörden, Gerichten und Universitäten. «RechtsextremistInnen verstehen das Recht als Arena ihrer politischen Kämpfe», so die HerausgeberInnen des Reports, sie «versuchen, es für ihre Zwecke auszunutzen». Rechte interpretieren Meinungsfreiheit in ihrem Sinne, verzerren und missbrauchen den Begriff der Rechtsstaatlichkeit. Um so fataler, dass juristische Fakultäten es versäumen, JuristInnen für dieses Problem kritisch zu schulen.
Maximilian Steinbeis, Jurist, Autor und Begründer des Verfassungsblogs, warnt in seinem Kapitel «Wie sturmfest ist unser Grundgesetz?» vor der Gefahr, «dass rechtspopulistische MandatsträgerInnen über eine einfache Mehrheit im Bundestag den verfassungsrechtlichen Rahmen des demokratischen Wettbewerbs zu ihren eigenen Gunsten manipulieren … können, ohne dafür auch nur einen Buchstaben des Grundgesetzes ändern zu müssen». Als Schlüssel für solche schwerwiegenden Veränderungen sieht Steinbeis das Bundesverfassungsgerichtsgesetz, das nur selten im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht.
Steinbeis schafft es, auch für NichtjuristInnen strukturiert und einfach nachvollziehbar darzustellen, welche Schwachstellen unsere Verfassung aufweist. Auch die anderen AutorInnen bringen fundierte und starke Aspekte ein, erörtern Gegenargumente der Rechten, die sie gekonnt demontieren. Dass Recht und Moral dabei nicht immer identisch sind, bringen sie den LeserInnen näher.
Das Buch geht auch mit dem Verfassungsschutz ins Gericht: Der setze Kapitalismuskritik mit dem Willen zur «Zerschlagung» von «Demokratie und Rechtstaat» gleich. Die Hetze der Rechten gegen das Asylrecht betrachte das Bundesamt für Verfassungsschutz hingegen als «nachvollziehbar, wenn nicht sogar berechtigt». Peer Stolle, Fachanwalt für Strafrecht, analysiert in seinem Kapitel «Hauptsache, die Sozialisten sind weg!» die Publikationen des Verfassungsschutzes. Beim Verfassungsschutz geht es eben nicht wie bei JuristInnen um fehlende Sensibilisierung, sondern um eine Strategie, die linke Organisationen zu Verfassungsfeinden erklärt und rechte Propaganda verharmlost.
Der Report macht hellhörig. Rechte tarnen ihr Vorgehen mit der Behauptung, sie würden lediglich den Rechtstaat verteidigen. Die schiere Anzahl der Justizfälle zeigt, wie ernst die Bedrohung ist, und dass die Justiz oft nicht dagegen vorgeht. Jedes einzelne Kapitel öffnet und schult das eigene Auge für rechte Strategien und rechtspolitische Probleme. Es geht nicht um bloße Meinungsmache oder darum, sich über Politik, Justiz und Recht zu echauffieren, sondern um die Darstellung und Warnung vor realen Gefahren und Einflüssen von rechts. Der Report «Recht gegen Rechts 2020» ist ein wichtiger Aufklärungbeitrag, nicht nur für JuristInnen.
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