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Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2021

Ein Instrument zur Zerstörung sozialer Strukturen?
von Rolf Euler

Seit einigen Jahren hat die SoZ ihren Facebook-Auftritt, im sozialen Netzwerk der Massen. Wir versuchen, neben dem Internetauftritt unsere Inhalte breiter zu verteilen als bloß über die gedruckte Zeitung. Um welchen Preis?

Steven Levy: Facebook – Weltmacht am Abgrund. München: Droemer-Knaur, 2020

Über zwanzig Millionen NutzerInnen allein in Deutschland. Whatsapp mit dabei. Oculus, die Augmented-Reality-Brille, Instagram, die Fototeilen-App – alles und noch mehr gibts bei Facebook. Vor allem Whatsapp wird weltweit von Milliarden Menschen genutzt, es ist wirklich ziemlich «praktisch», und ein Smartphone haben bald alle.
Und dann kommt ein Buch heraus, in dem zum Beispiel ehemalige Manager von Facebook öffentlich kritisieren, dass dieser Konzern mit seiner Strategie soziale Strukturen zerstört: «Delete Facebook!» («Entfernt Facebook!») schickt einer von ihnen eine Mail in die Runde – er hat seinen Kindern verboten «sich bei diesem Mist anzumelden»!
Das Buch ist geschrieben von dem investigativen US-amerikanischen Journalisten Steven Levy, der seit Gründung von Facebook viele Gespräche mit Mark Zuckerberg oder leitenden Angestellten und Konkurrenten geführt und Unmengen von Materialien gesichtet hat. Fast 650 Seiten Text, Anmerkungen, Literaturliste – gerade richtig für die Corona-Zeit am Schreibtisch.
Levy schildert den Aufstieg des Facebook-Konzerns von einer Studentenbude zum Glaspalast in Kaliforniens Silicon Valley. Er schildert, wie ein ehrgeiziger, verschrobener Student namens Mark Zuckerberg mit sehr guten Programmierkenntnissen aus einer Studentenverbindungs-Plattform einen weltweiten milliardenschweren Konzern formt, der unter dem Motto steht: Move fast and break things!
Er schildert die rüden Methoden, mit denen Ideen abgekupfert werden, Menschen geheuert und gefeuert werden, Millionen in den Sand gesetzt und noch mehr Millionen aufgehäuft werden. Und das Buch nimmt sich die riesigen «Fehlleistungen» von Zuckerberg und Facebook vor. Die Datensammelwut. Die Profilbildung der Nutzer­Innen über die Grenzen des eigenen Programms hinaus. Die Unfähigkeit, sich auf Kultur und Arbeitsweise in anderen Kontinenten einzustellen – Hauptsache, die Massen benutzen sein Produkt. Die verspäteten und halbherzigen Maßnahmen, gefährliche, faschistische, gewaltverherrlichende Inhalte zu bekämpfen. Den absoluten Abgrund bei der Affäre mit Cambridge Analytica bei den US-Präsidentenwahlen von 2016.
Facebook steht inzwischen unter Druck, sowohl Politik wie auch Wettbewerbsbehörden wollen den Medienkonzern in die Schranken weisen. Dazu kommen immer mehr Berichte über antisemitische, rassistische und antifeministische Posts, die Facebook trotz der Proteste von Zehntausenden von Contentprüfern nicht löscht. Und bei den diesmaligen Präsidentenwahlen wurden immer mehr Drohungen und Vorabberichte über angeblich von den Demokraten geplante Wahlfälschungen verbreitet – das konnte zwar in dem Buch noch nicht berücksichtigt werden, aber aktuelle Zeitungsberichte schreiben darüber.
Das Buch von Steven Levy ist voll von Geschichten über die beteiligten Personen, Intrigen und Konkurrenzkampf. Leider fehlt eine genauere Darstellung, wie Facebook es schafft, hunderte Milliarden Umsatz und Gewinn zu machen. Dass es mit Werbung und dem Verkauf von Daten passiert, ist klar, aber wie die schiere ökonomische Größenordnung dieses «sozialen» Netzwerks entstehen konnte, bleibt in einiger Hinsicht im Unklaren.
Das alles muss vielleicht kein Grund sein, persönliche Accounts zu löschen – wahrscheinlich kann eine politische Zeitung wie die SoZ sich nicht dem Sog der Tatsachen entziehen. Man kann aber auch ohne Whatsapp und Facebook gut leben. Die Entwicklung sowohl der Gesichtserkennungssoftware als auch der künstlichen Intelligenz, mit der Milliarden von Daten durchforstet, Profile erstellt, ausgewertet und im Zweifel den Geheimdiensten zur Verfügung gestellt werden, rechtfertigen jegliche Distanz zu diesem Konzern.

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