Der Autozulieferer ZF legt in Sachen E-Mobilität einen neuen Gang ein
von Manfred Dietenberger
Dem Ingenieur ist nichts zu schwör, zumal dem schwäbischen nicht. Der Autozulieferer ZF hat viele Ideen entwickelt, wie er die Antriebstechnik auf Plug-in-Hybrid umstellen und die Mobilität in Stadt und Land verändern will. Die Folge 7 unserer ZF-Saga gibt einen Einblick in das, was dem Unternehmen technisch möglich erscheint.
Die ZF Friedrichshafen AG mit ihren heute 160000 Beschäftigten und weltweit bekannt als Hersteller von Getrieben, Lenkungen und Dämpfern ist schon seit einiger Zeit auf dem Weg zum Systemhersteller für automatisiertes und vernetztes Fahren. Die Wegmarken verändern sich ständig: Künftig müssen in der EU bspw. Hersteller den durchschnittlichen CO2-Ausstoß einer Flotte neuer Nutzfahrzeuge bis 2025 um 15 Prozent senken, bis 2030 sogar um 30 Prozent. Elektrifizierte Antriebe für Bus und Lkw sind damit zunehmend gefragt. Zudem schreibt die EU ab 2022 den Einsatz neuer Fahrerassistenzsysteme verpflichtend vor, und ab 2024 bei Neuzulassungen auch fortschrittliche Warnsysteme wie den sog. «Totwinkel-Assistenten».
ZF hat deshalb in letzter Zeit einen Gang höhergeschaltet, seit Mitte 2020 ist klar: Die ZF-F entwickelt den Antrieb per Verbrennungsmotor nicht mehr weiter. Es wird kein neues rein konventionelles ZF-Getriebe mehr geben. Als Schlüsseltechnologie für nachhaltige Mobilität favorisiert ZF nicht das batterieelektrische Auto, sondern den Plug-in-Hybrid (PHEV) – möglicherweise entwickelt er sich damit zum Vorreiter einer schnell umsetzbaren, nachhaltigen Mobilität. Das neue strategische Ziel heißt «Vision Zero» – null Emissionen, null Unfälle.
Wolf-Henning Scheider, Vorstandsvorsitzender der ZF-F, prognostizierte schon Ende 2019: Der Elektroanteil am Pkw-Geschäft von ZF «wird ab 2026 größer sein als der Verbrenneranteil. Die Hälfte der Transformation werden wir also in sechs Jahren hinter uns haben. Dabei sehen wir Plug-in-Hybride als wichtigen Teil der Lösung.»
Wie die neue Technologie aussieht, zeigt ein neuentwickeltes Getriebe, das 2022 auf den Markt kommen soll. Es ist nicht nur halb so schwer, sondern auch 42 Prozent kleiner als das herkömmliche und arbeitet effizienter. Das allein steigert die Reichweite eines PHEVs um 5 Prozent. Optimierungspotenziale gibt es auch bei der Entwicklung neuer Achsantriebe, bei den Bremsen und beim Energiemanagement. Insgesamt schafft ZF damit eine Effizienzsteigerung um 15 Prozent. In die Praxis umgesetzt bedeutet das, dass ein Plug-in-Hybrid mit einer Hochvolt-Batterie von etwa 20 Kilowattstunden Speicherkapazität auf eine elektrische Reichweite von 100 bis 120 Kilometern kommt. Damit können problemlos 75 Prozent aller Pendlerfahrten emissionsfrei zurückgelegt werden.
Doch nicht nur im Bereich Individualverkehr, auch in Sachen nachhaltiger ÖPNV tut sich was in der Zeppelin-Stadt. Wen wundert’s? «Die Stadt ist eine Wiege der Mobilitätsgeschichte, ist Konzernsitz der ZF und Zentrum einer Region, die die Mobilität zu Wasser, zu Lande und in der Luft entwickelt und weiterentwickelt», so Andreas Brand, Oberbürgermeister der Stadt Friedrichshafen. Bei ZF Friedrichshafen begann die Arbeit an der E-mobilen Zukunft schon in den 90er Jahren, seit 2008 produziert ZF – als erstes europäisches Unternehmen – Hybrid-Antriebsprodukte in Serie.
Vorreiter ÖPNV
Der Weg der ZF-F in die automobile Zukunft ist steil und kostet viel Geld. Das «produzieren» überwiegend die beim ZF-Konzern beschäftigten Kolleginnen und Kollegen mit ihrer Arbeit und mit immer neuen betrieblichen (Verzichts-)Tarifverträgen. Und es gelingt der ZF-F immer wieder, öffentliche Fördermittel loszueisen:
Im Rahmen einer virtuellen Jubel-Veranstaltung übergab Winfried Hermann, Verkehrsminister Baden-Württembergs, Ende 2020 mit großem Getöse und viel Pathos einen Förderbescheid in Höhe von sieben Millionen Euro für ein längst überfälliges Forschungsprojekt auf dem Weg zum autonomen öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in Baden-Württemberg.
Unter dem drögen Projekttitel «Reallabor für den automatisierten Busbetrieb im ÖPNV in der Stadt und auf dem Land» – kurz «RABus» – startet 2021 im «Musterländle» der Tüftler ein bemerkenswertes Projekt dessen ehrgeiziges Ziel die (Weiter-)Entwicklung und Erforschung von elektrischen Busshuttles hin zum autonomen Level-4 ist.
Als «Reallabore» dienen – unterstützt von den jeweiligen Verkehrsverbänden – die Städte Mannheim (Schwerpunkt: innerstädtischer Mischverkehr) und Friedrichshafen (Schwerpunkt: Überlandbetrieb). In beiden Städten soll bis Ende 2023 ein weitgehend wirtschaftlicher ÖPNV-Betrieb mit elektrifizierten und automatisierten Fahrzeugen (und respektablen) Fahrgeschwindigkeiten etabliert werden.
Um im jeweiligen Einsatzgebiet ein angepasstes und gleichzeitig sicheres Fahrverhalten zu erreichen, sollen die Fahrzeuge mit akzeptablen Geschwindigkeiten, innerorts wie außerorts, im Alltagsverkehr «mitschwimmen» können. Zum Einsatz kommen hierfür Shuttles der Firma 2getthere, einer Tochter der ZF Friedrichshafen AG. Sie bieten Raum für 22 Personen und können mit ihren kompakten Maßen von 6 x 2,1 x 2,8 Metern bedarfsorientiert und fahrplanunabhängig in den städtischen Verkehrsfluss integriert werden. «Unsere autonomen Shuttles sind mit elektrischem Antrieb, modernster Sensorik und mit Zentralrechnern ausgestattet, die künstliche Intelligenz können. Sie können auch mit der Infrastruktur (z.B. Ampeln) kommunizieren.»
Die Anbindung des ländlichen Raums
Das «Reallabor Friedrichshafen» kann zu einem Meilenstein für die urbane Mobilität der Zukunft werden, denn die Anbindung des ländlichen Raums an Stadtzentren wird künftig noch wichtiger werden. Shuttles können on demand den Bedarf an Personenverkehr von den Außenbereichen in Richtung Innenstadt ergänzen. Im Bereich konventioneller Stadtbusse fragt die öffentliche Hand den umweltverträglichen ÖPNV immer stärker nach, und gerade da lässt sich die Elektrifizierung schnell und kostengünstig einführen.
Das Beispiel Niederlande wird Schule machen, dort dürfen ab 2030 Stadtbusse nur noch mit emissionsarmen Antrieben fahren. Wohlgemerkt, das gilt nicht nur für Neuanschaffungen, sondern für die gesamte eingesetzte Flotte. Hier gibt es viel Potenzial für die Umrüstung auf Hybrid-E-Getriebe von ZF-F.
Auch die Nutzfahrzeuge stecken mitten in der Transformation und kommen künftig ohne das bislang übliche komplexe Getriebe mit zahlreichen Gangstufen aus. ZF-F hat eine neue E-Achse als Antrieb entwickelt.
Auf hoher See und in Hafenstädten gelten seit 2020 immer strengere Umweltvorschriften, die künftig den Einsatz sauberer und nachhaltiger Antriebstechnik erzwingen. Ab 2026 lässt Norwegen nur noch komplett emissionsfreie Schiffe in seinen Fjorden zu, Hybridschiffe dürfen im elektrischen Modus auch in Zukunft solche Häfen und Gewässer ansteuern, die für rein konventionelle Aggregate gesperrt sind.
Mit einem von ZF entwickelten hybridfähigen Getriebeportfolio (Getriebe, elektrische Motoren, Umrichter und Steuerungskomponenten) will die ZF Schiffbauern und Flottenbetreibern eine Lösung anbieten, die Emissionen, Kraftstoffverbrauch und andere Kosten senken.
Der Einsatz des maritimen Hybridantriebs sorgt darüber hinaus für weniger Lärm und effektivere Kraftentfaltung bei Langsamfahrten (z.B. im Hafen). ZF Technik bringt mehr Komfort an Bord und den Bewohnern von Hafenstädten und den Lebewesen im Wasser mehr Lebensqualität.
Die ZF-F versucht sich derzeit auf vielen Feldern der Mobilität. In hybridgetriebenen, mit intelligenten Assistenzfunktionen ausgestatteten Pkw, die dem Autofahrer mehr Sicherheit und mehr Komfort bieten, sieht ZF-F das größte Absatzpotenzial. Im Bereich der Nutzfahrzeuge und im städtischen ÖPNV setzt der ZF-Vorstand auf die Entwicklung mehr und mehr vollautomatisierter Systeme. Das Unternehmen verfügt heute schon über die materiellen, finanziellen und personellen Kapazitäten, um die Konversion des Baus von Pkw, Lkw, Lokomotiven, Waggonträger und Bussen – womöglich Oberleitungsbusse – vorbildlich voranzubringen.
Von China lernen
ZF-F könnte damit ein wichtiger Mosaikstein für eine Verkehrswende werden, die diesen Namen tatsächlich verdient und nicht nur eine Antriebstechnik durch eine andere ersetzt. Ein Beispiel hierfür sei noch kurz erwähnt: Die «Straßenbahn der Zukunft» ist ein Hybrid aus Bus, Zug und Straßenbahn – «Autonomous Rail Rapid Transit» (ART) lautet ihr technischer Name. Sie fährt jetzt schon in der chinesichen Provinz Sichuan im regulären Stadtverkehr mit.
Dieses moderne Vehikel ist im wahrsten Sinne des Wortes eine «Straßenbahn», sie fährt nicht auf Stahlrädern und Schienen, sondern folgt auf Gummirädern einer eigenen eigens für sie gestrichelt auf den Straßenbelag aufgemalten Spur. Elektrisch betrieben, erreicht sie eine Geschwindigkeit bis zu 70 Kilometern in der Stunde und lässt sich auch schnell aufladen. Diese Straßenbahn kann mit Zugführer, aber auch autonom betrieben werden. Gesteuert werden die drei Waggons mit Platz für je rund hundert Fahrgäste über optische und andere Sensoren plus das globale Navigationssystem.
So unterstützt, kann die Straßenbahn Staus oder Straßensperren auf dem kürzesten Weg umfahren. Sie kann kostengünstig aufgebaut werden, da sie keine Schienen und auch keine Oberleitung braucht. Für kleine bis mittelgroße Städte, die sich kein teures U-Bahn- oder Straßenbahnnetz leisten können, den Autoindividualverkehr aber aus der Stadt haben wollen, wäre diese Straßenbahn geradezu ideal. Die Stadt müsste lediglich die Fahrzeuge beschaffen, die Strichlinien können innerhalb weniger Tage auf den Straßenbelag aufgebracht werden.
Soweit die technischen Zukunftspläne. Was davon dann tatsächlich realisiert wird, bestimmt jedoch nicht das technisch Mögliche, sondern das, was Profit abwirft. Wo diese Reise hingeht, ist offen.