Keine Corona-Förderung für Krankenhäuser mehr
von Inge Höger
Trotz neuer Rekordstände von Corona-Erkrankungen nimmt die Zahl der verfügbaren Betten ab. Wie kommt das?
Seit dem Frühjahr 2020 warnen PolitikerInnen und MedizinerInnen vor einer Überlastung des Gesundheitswesens. Angesichts steigender Corona-Infektionszahlen mehren sich die Warnungen, dass die Intensivbetten der Republik nicht ausreichen für eine angemessene Versorgung aller PatientInnen. Dennoch werden in Deutschland weiter Krankenhäuser geschlossen, 2020 waren es zwanzig weitere Kliniken mit 2144 Betten und etwa 4000 Stellen. Im Dezember wurde das Krankenhaus Ingelheim geschlossen, das im Frühjahr noch zusätzlich zu 130 Planbetten 40 Intensivbetten für Corona-PatientInnen bekommen hatte. Zum Ende des Jahres 2020 wurde auch das St.-Vincenz-Krankenhaus in Essen-Nord abgewickelt, nachdem drei Monate vorher bereits das Marienhospital im Stadtteil Altenessen geschlossen worden war.
Dabei hieß es noch im April, die im internationalen Vergleich hohe Versorgungsdichte mit Intensivbetten habe mit dafür gesorgt, dass Deutschland relativ gut durch die Corona-Pandemie gekommen sei. In Deutschland gibt es 30 Intensivbetten auf 100000 EinwohnerInnen, in den schwer getroffenen Ländern Italien nur 8,6 und in Spanien nur 9,7. Und trotz der vielen Krankenhausschließungen in den letzten Jahren kommen immer noch acht Krankenhausbetten auf 1000 EinwohnerInnen.
Japan und Südkorea sind mit 13, Russland mit 8,1 Betten da schon besser aufgestellt. Die südeuropäischen Länder hingegen wurden in der Finanzkrise 2008 zu radikalen Einsparungen im Gesundheitswesen gezwungen. Es gibt in Griechenland nur noch 4,2 Betten pro 1000 EinwohnerInnen, in Italien noch 3,2 und in Spanien 3. Die EU mit ihren Sparvorgaben ist mitverantwortlich für die schlechte Gesundheitsversorgung in diesen Ländern.
Krebsgeschwür Fallpauschalen
In Deutschland ist die größte Schwachstelle in der Krankenhausversorgung das fehlende Personal. Betten pflegen keine Menschen. Seit Jahren kämpfen die Beschäftigten mit Unterstützung der Gewerkschaft Ver.di und von Initiativen für eine bessere Personalausstattung in Krankenhäusern und in der Pflege. In Deutschland kommen 19 Pflegekräfte auf 1000 Behandlungsfälle, der OECD- Durchschnitt liegt bei 31,9 Pflegekräften?! Wenn sich eine Pflegekraft um drei bis vier Covid-19-Erkrankte auf einer Intensivstation kümmern muss, ist das ein unhaltbarer Zustand. Inzwischen werden dringend benötige Intensivbetten aufgrund von Personalmangel aus der Versorgung abgemeldet.
Die Ursache für die fehlenden Ressourcen liegt in der völlig unzureichenden Krankenhausplanung und vor allem an dem Investitionsstau durch die unzureichende Finanzierung der Bundesländer, die für die Investitionen zuständig sind, sowie am System der Fallpauschalen. Bis in die 70er Jahre wurden die Selbstkosten der Krankenhäuser finanziert – sie konnten weder Verluste noch Gewinne machen. Seitdem folgt ein Kostendämpfungsgesetz auf das nächste, und die Ökonomisierung der Gesundheitsversorgung wird weiter vorangetrieben. Die Länder verabschiedeten sich Mitte der 90er Jahre, nach der Aussetzung der Vermögenssteuer, aus der gesetzlichen Verpflichtung, Investitionen in Gebäude, Modernisierung und Großgeräteplanung zu bezahlen. Und mit der Umstellung der Bezahlung auf Fallpauschalen seit 2004 sind Krankenhäuser zu Fabriken geworden. Nicht mehr die bestmögliche Behandlung steht im Mittelpunkt, sondern der betriebswirtschaftliche Gewinn. Es gibt Festpreise für bestimmte Behandlungen, ganz egal wie aufwendig sie sind. Dies führt dazu, dass Krankenhäuser beim Personal sparen und PatientInnen über-, unter- oder fehlbehandelt werden.
Im Frühjahr schien Gesundheitsminister Jens Spahn verstanden zu haben, dass mit einem auf Profit orientieren Gesundheitssystem in Zeiten einer Pandemie kein Staat zu machen ist. Die Kliniken wurden angewiesen, planbare Eingriffe zu verschieben und Betten für Corona-PatientInnen frei zu halten. Allerdings konnten Spahn und die Bundesregierung sich nicht dazu durchringen, die Fehlsteuerungen durch das Fallpauschalensystem abzuschaffen oder wenigstens für die Zeit der Corona-Behandlungen auszusetzten, wie es u.a. die deutsche Krankenhausgesellschaft gefordert hatte. Es gab Geld auch für freie Intensivbetten und eine Förderung für die Schaffung zusätzlicher Kapazitäten, was dem Fallpauschalenprinzip widerspricht. In kurzer Zeit konnten damit 2000 zusätzliche Intensivbetten und eine Reserve von noch mal 12000 Betten aufgestellt werden.
Anfang des Jahres 2020 gab es in Deutschland rund 28000 Intensivbetten. Aufgrund der Sonderregelungen und der Zahlungen für die Einrichtung weiterer Betten konnte die Zahl auf etwa 31000 erhöht werden. Außerdem ermöglichten die Freihaltepauschalen die Einrichtung einer Reserve von noch mal 12000 Intensivbetten. Allerdings konnten nicht alle Kliniken von den Freihaltepauschalen profitieren. Bereits im Sommer setzten deshalb die meisten alles daran, den normalen OP-Betrieb wieder aufzunehmen, um wirtschaftlich zu sein. Und auch zu Ende des abgelaufenen Jahres wird bei einem Höchststand von 5600 Corona-PatientInnen auf den Intensivstationen der OP-Betrieb so lange wie möglich aufrechterhalten. Das sieht man u.a. daran, dass seit Anfang Mai immer um die 20000 Intensivbetten belegt waren, ganz egal wie viele Corona-PatientInnen versorgt werden mussten.
Intensivbetten werden abgemeldet
Ende September ist die Förderung für freigehaltene Betten abgelaufen. Seither hat es keine zusätzlichen Anstrengungen für mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten gegeben. Die Krankenhäuser haben, nachdem es im Frühjahr weniger Corona-PatientInnen gab, den Regelbetrieb wieder aufgenommen. Wie immer sind die Betten zu 80 bis 90 Prozent belegt. Da das Vorhalten von Reserven und Schutzkleidung nicht refinanziert wird, werden möglichst viele Behandlungen durchgeführt, um finanziell über die Runden zu kommen. So führt dieses System dauerhaft zur Überlastung des Personals und zu schlechter medizinischer Versorgung.
Inzwischen werden zunehmend Intensivbetten aus dem Intensivregister abgemeldet. Von den 31000 im Frühjahr stehen nur noch 23800 Betten zur Verfügung. Und auch die Notfallreserve ist geschrumpft. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft wies Mitte Dezember darauf hin, dass Kapazitäten heruntergefahren werden, damit ausreichend Personal für die Versorgung der Corona-PatientInnen zur Verfügung steht. Es werden Betten abgemeldet, weil das Personal fehlt und weil sie sich wirtschaftlich nicht lohnen. Insbesondere die öffentlichen und die vielen regionalen Krankenhäuser kommen in wirtschaftliche Schwierigkeiten, weil sie nicht den neuen Notfallstufen für zusätzliche Gelder entsprechen.
Zwischen den Jahren kam ein Notruf der deutschen Krankenhausgesellschaft, im neuen Jahr drohe eine Insolvenzwelle. Sie mahnte an, die «Daseinsvorsorge langfristig gesichert zu finanzieren» und von «der kalten Strukturbereinigung wegzukommen».
Wir erinnern uns, dass die neoliberale Akademie Leopoldina bereits vor Jahren der Ansicht war, 330 Krankenhäuser würden für die Versorgung ausreichen. Die Bertelsmann-Stiftung wollte im letzten Jahr ihre Anzahl von 1925 auf 600 reduzieren. Die Bundesregierung hält an dieser Strategie fest und zahlt Prämien für Krankenhausschließungen, anstatt die Finanzierung der Daseinsvorsorge einschließlich dem Vorhalten von Reservekapazitäten für Krisensituationen sicherzustellen. Bezahlt werden nur erbrachte Leistungen, nicht aber eventuelle Reserven für Katastrophen oder Epidemien. Die Krankenhausplanung der Bundesländer anhand von Bedarfen ist faktisch ausgehebelt und erfolgt nach betriebswirtschaftlichen Kriterien durch Pleiten.
Klatschen reicht nicht!
Es ist an der Zeit für eine Krankenhausplanung und -finanzierung, die Betten und Personal für Katastrophenfälle und Epidemien vorhält und alle Kosten refinanziert. Krankenhäuser dürfen keine Gewinne machen und Verluste sind auszugleichen. Kurzfristig muss die Bundesregierung reagieren und aufgrund der Corona-Pandemie alle in den Krankenhäusern anfallenden Kosten übernehmen. Es dürfen keine weiteren Krankenhäuser geschlossen werden, und sie gehören als Bestandteil der Daseinsvorsorge in öffentliche Hand. Dringend notwendig ist mehr Personal. Die Beschäftigten in den Krankenhäusern brauchen endlich bessere Arbeitsbedingungen und bessere Bezahlung! Klatschen reicht nicht!
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