Pandemiebekämpfung in anderen Ländern
von Angela Klein
Jetzt hören Bundes- und Landesregierungen nicht mehr auf die Wissenschaft, sondern auf die Wirtschaft.
Die Wissenschaft sagt: Die pandemische Lage hat sich wegen der neuen, viel ansteckenderen Virusvarianten zugespitzt. Die Lage wird in jeder Beziehung unerträglich werden, wenn jetzt nicht alle Anstrengungen unternommen werden, das Virus vollständig niederzuringen – Großbritannien ist ein warnendes Beispiel. Die Wirtschaft sagt: Nur keine Einschränkung der Produktion. Selbst Homeoffice wie im ersten Lockdown ist dem Handwerkerverband oder der Metallindustrie zuviel.
Die politisch Verantwortlichen führen sich auf wie das tapfere Schneiderlein: FFP2-Masken sind jetzt Pflicht. Ansonsten wird der bisherige Zustand um 14 Tage verlängert. Homeoffice wird gewünscht und empfohlen, durchgesetzt wird es nicht. Das politische Versagen wird fortgesetzt – auf Kosten der Bevölkerung.
Ich habe mich mal umgeschaut, was die Länder, die bislang am besten durch die Pandemie gekommen sind, dafür getan haben. Unter diesen stechen neun mit großem Abstand hervor: Taiwan, Vietnam, Rwanda, China, Neuseeland, Südkorea, Kuba, Japan, Uruguay – bei diesen lag die Zahl der Corona-Toten in der ersten wie auch mitten in der zweiten Welle der Pandemie zwischen 0,03 und 2,2 pro 100000 Einwohner (Stand: 31.10.2020). Im Vergleich dazu lagen sie in Deutschland bei 12,7, in Großbritannien bei 70,1, in den USA bei 72,1. Den höchsten Anteil vermeldete Belgien mit 100,5. Was haben diese Länder anders gemacht?
Sie haben erstens beim kleinsten Anzeichen der Ansteckung einer Gruppe einen harten Lockdown eingeführt: mit Schließung aller nicht essentiellen Wirtschaftsaktivitäten, Schulen (nur die Kinder von «systemrelevanten» Beschäftigten konnten weiter in die Schule) und Absage aller Versammlungen und Veranstaltungen. Teilweise wurde der öffentliche Verkehr eingestellt.
Sie haben getestet, getestet, getestet… Flächendeckende Fiebermessung, überall wurden Gesundheitsposten dafür aufgestellt: an den Haltestellen, vor Einkaufszentren usw. Keine Engpässe bei der Produktion von Schutzanzügen und Handschuhen. Masken in großer Zahl und kostenlos an alle verteilt.
Eine Leitlinie ist in all diesen Ländern, die Maßnahmen daran auszurichten, ob das Infektionsgeschehen nachvollziehbar bleibt: Kontaktverfolgung ist das oberste Gebot, mithin vor allem auch das Aufspüren von Hotspots. Die Behörden dieser Länder haben diesbezüglich pro-aktiv gehandelt und nicht gewartet, bis ihnen private oder staatliche Gesundheitseinrichtungen etwas gemeldet haben.
Sie hatten und haben drittens ein transparentes Corona-Management mit abgestuften, landesweit geltenden Alarmstufen und täglichen Informationen der Öffentlichkeit durch die Gesundheitsbehörden, zentrale Aufklärungskampagnen, kein Medienchaos.
Neben diesen allgemeinen, vergleichbaren Maßnahmen gab es auch Besonderheiten, die aber durchaus übertragbar sein könnten:
In China kamen nur Menschen mit schweren Krankheitsverläufen in die normalen Krankenhäuser. Für leichte bis mittlere Fälle wurden Notkrankenhäuser errichtet, damit Infizierte nicht zu Hause isoliert werden mussten, wo das Risiko groß war, dass sie ihre Familie anstecken. Hieran könnten wir uns ein Beispiel nehmen, angesichts dessen dass gesagt wird, die meisten Infektionen holen wir uns zu Hause.
Grenzkontrollen an Häfen und Flughäfen; wo im Inland ein Ausbruch zu verzeichnen war, wurde eine Stadt oder ein Bezirk abgeriegelt.
Japan ist ohne Lockdown ausgekommen, weil die Bevölkerung das Social distancing, das Maskentragen und hohe Hygienestandards verinnerlicht hat. Die Regierung hat zwar den Gesundheitsnotstand ausgerufen, sich aber damit begnügt, Empfehlungen auszusprechen – die wurden allerdings befolgt. Die Kontakte wurden somit auch hier um 70 Prozent zurückgefahren, die Menschen sind von sich aus zu Hause geblieben, Unternehmen haben ihre Betriebe geschlossen. Schulen wurden nur in Regionen geöffnet, die keine Infektionen aufwiesen, und die gut gelüftet waren.
Vor allem gelten in Japan die drei C als Faustregel für alle: Unter allen Umständen zu vermeiden sind geschlossene, schlecht gelüftete Räume; stark besuchte, öffentliche Räume; alle Umgebungen, wo Menschen eng aufeinandertreffen. Diese Regel sowie das Maskentragen wurden auch nach der Aufhebung des Gesundheitsnotstands beibehalten.
Selbst Rwanda, mit 2000 Dollar Jahreseinkommen pro Kopf eines der ärmsten Länder, hat Tests und Covid-Behandlungen kostenlos zur Verfügung gestellt. Da ein Test die Regierung 50 bis 60 Dollar kostet, wurden Pool-Tests gemacht, d.h. 20–25 Proben wurden zusammengemixt und getestet. War das Ergebnis positiv, wurde dann jede Probe nochmal einzeln untersucht. Das Land hat Geräte und Material benutzt, das schon bei HIV im Einsatz war.
Um die Kontakte immer nachvollziehen zu können, wurden Polizisten, Gesundheitsarbeiter und Studierende mobilisiert, die von Haus zu Haus gegangen sind, sowie landesweit Koordinierungsstellen aufgebaut.
Kuba hat mit seinem basisnahen, vollständig vergesellschafteten Gesundheitswesen, der höchsten Ärztedichte der Welt (8,2 auf 1000 Einwohner – Deutschland: 4,3) und einer eigenen, innovativen pharmazeutischen Produktion die besten Voraussetzungen für die Bekämpfung einer Pandemie. Hinzu kommen seit langem eingeübte Katastrophenpläne, die schon bei Hurrikans erprobt wurden. Die Tourismusbranche wurde zeitweise geschlossen, Militärkrankenhäuser für Zivilisten geöffnet.
Immer wieder wird darauf verwiesen, dass Länder wie China und Taiwan die Durchsetzung dieser Maßnahmen nur mit autoritären Überwachungstechniken meistern konnten. Andere Länder haben solche Techniken nicht zur Verfügung; sie setzen auf die Bereitschaft der Bevölkerung mitzumachen und ermächtigen sie auch dazu. Das bringt mindestens genausogute Ergebnisse. Vor allem eins ist aber in all diesen Ländern anders als bei uns: der unbedingte Wille des Staates, die Pandemie kleinzukriegen.
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