Eine Erwiderung auf die Beiträge von Albrecht Kieser und Gerhard Klas zum Umgang mit der Pandemie
von Christian Zeller
Betr.: SoZ 12/2020 und 1/2021
Die Strategie der Regierung
Albrecht Kieser kritisiert die Regierung, sie betreibe «derzeit ausschließlich ‹Containment›», «was angesichts der Fallzahlen dringend überdacht werden sollte». Er meint, die Fallzahlen seien so niedrig, dass konsequentere Maßnahmen überflüssig seien. Er erkennt nicht, dass die Regierung zu keiner Zeit die Pandemie wirklich eindämmen wollte. Ganz im Gegenteil die erklärte Regierungsstrategie besteht bis heute bloß darin, die Ausbreitungskurve zu glätten. Die Regierungen haben bislang nicht autoritär gehandelt, um die Pandemie einzudämmen, sondern um die Unternehmen vor unerwünschten Eingriffen in die ungebremste Zirkulation des Kapitals und damit die Einsaugung der Mehrwert schaffenden LohnarbeiterInnen zu schützen. Nicht die entschlossene Eindämmung der Pandemie mündet in autoritäre Maßnahmen, sondern ganz im Gegenteil, wenn die gegenwärtige Dynamik anhält, sehen sich die Regierungen, gefangen in einer Logik der Flucht nach vorne, zu autoritären Maßnahmen zu greifen, weil sie Angst haben, die Kontrolle über das Infektionsgeschehen und damit verbunden über die gesellschaftliche Entwicklung zu verlieren.
Exponentielles Wachstum
Albert Kieser und Gerhard Klas vergleichen die Corona-Pandemie mit Grippewellen oder gar mit den Sterbezahlen bei anderen Krankheiten, Unfällen und Hitzewellen. Damit ignorieren sie die gesellschaftlichen Konsequenzen der Infektiosität und der exponentiellen Ausbreitungsdynamik von Sars-CoV-2. Klas meint sogar, die Behörden würden die Todeszahlen der Pandemie übertreiben, um Stimmung zu machen und «Angst in der Bevölkerung zu schüren». Und: «Auch die Infektionszahlen haben nur begrenzte Aussagekraft, weil sie nicht ins Verhältnis gesetzt werden können.» Aber die Regierungen haben die Pandemiedynamik wiederholt verharmlost. Und ja, es gibt eine Dunkelziffer. Die Forderung nach Kohortenstudien ist sinnvoll, sie führt jedoch auf einen Nebenschauplatz. Denn alle bisherigen repräsentativen Studien haben ergeben, dass die Durchseuchung in der Bevölkerung jeweils geringer war als gedacht.
Hinter diesen Studien stand oft die Hypothese, es könne vielleicht doch bald eine Herdenimmunität erreicht werden. Zudem, was wäre die politische Konsequenz aus Kohortenstudien? Sogenannte Risikogruppen isolieren und einsperren? Ein Drittel der Bevölkerung zählt zu Risikogruppen. In einer Situation hoher Ansteckungs- und Sterbezahlen ist relevant, dass die absoluten Zahlen der infizierten Menschen viel zu hoch sind, so hoch, dass es unmöglich ist, die Infektionen nachzuvollziehen. Die absoluten Zahlen sind zudem relevant, weil sie eine Vorahnung darauf bieten, was wenige Wochen später in den Krankenhäusern und danach auf den Friedhöfen stattfinden wird. Genau darum ist es falsch, die Hospitalisierungsrate bzw. die Zahl der Intensivpatienten als zentrale Größe zu betrachten. Das entspricht ja der zynischen und nicht funktionierenden Regierungspolitik, die Pandemie gerade bis zur Belastungsgrenze der Krankenhäuser «technisch einzustellen».
Ist die Austeritätspolitik im Gesundheitswesen Schuld an der Pandemie?
Gerhard Klas kritisiert die Austeritätspolitik im Gesundheitsystem und Krankenhausschließungen. Das ist richtig, doch hat dieser Sachverhalt nur teilweise etwas mit der Dynamik der Pandemie zu tun. Auch das beste Krankenhaussystem würde nichts an der Eigenschaft des Virus ändern, sich exponentiell auszubreiten und mit der Ausbreitung auch zunehmend zu mutieren. Entscheidend bleibt, die Ansteckungen insgesamt und vor allem bei der hochmobilen und berufstätigen Bevölkerung zu reduzieren. Bei einer Ausweitung der Pandemie gibt es auch mit dem besten Gesundheitswesen viele Tote und Erkrankte.
Naturgesetze akzeptieren, gesellschaftlich handeln
Viren brauchen einen Wirt und sie können unter bestimmten Bedingungen die Artgrenzen durch Zoonosen überspringen. Wenn die menschliche Organisation den Viren erlaubt sich zu verbreiten, dann tun sie das. Bei Mutationen setzen sich jene Varianten durch, die in der Selektionsumgebung spezifische Vorteile haben, bspw. eine höhere Infektiosität, was gerade eindrücklich die Variante B.1.1.7 zeigt. Das Virus lässt nicht mit sich verhandeln. Wir müssen seine Wirkungen akzeptieren und die erforderlichen solidarischen Schlüsse daraus ziehen.
Wir können durch bewusstes gesellschaftliches Handeln eine Pandemie zum Erliegen bringen. Die Methoden dieser «nicht-pharmazeutischen Maßnahmen» sind einfach und haben wenig mit Technologie zu tun. Das mag man «mittelalterliche Methoden der Pestbekämpfung» nennen, aber es ignoriert die Problemlage. Es führt schlicht kein Weg daran vorbei, die Kontakte der Menschen auf ein Minimum zu beschränken und zwar überall, selbstverständlich auch am Arbeitsplatz. Und weil sich eine Pandemie nicht «technisch» auf ein bestimmtes Niveau, das dem politischen Kräfteverhältnis entspricht, einstellen lässt, ist die Perspektive der radikalen Eindämmung mit Blick auf #ZeroCovid die einzige Möglichkeit, sich einer langanhaltenden gesellschaftlichen Regression entgegenzustellen.
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