Im Land der Lumpenmilliardäre
von Mike Davis*
Viel ist von der abgehängten, weißen Arbeiterklasse die Rede, wenn die Frage gestellt wird, wo Trump seine Hochburgen hat. Wenig ins Blickfeld rückt dabei, wer seine Hauptfinanziers sind und welche Siedlungsverschiebungen dafür sorgen, dass sich die Absonderung der ihm nahestehenden Milieus immer weiter verstärkt.
Der große Umsturz auf der Seite der Republikaner war nicht Trumps knapper Wahlsieg 2016, sondern die darauf folgende, schnelle Übernahme und rücksichtslose Säuberung der Grand Old Party in den Jahren 2017/2018. Niemand hatte dies vorhergesagt, zumal angesicht der beeindruckenden Bandbreite seiner innerparteilichen Gegner: die Bush-Dynastie, alte Reagan-Anhänger wie John McCain und Mitt Romney, eine Zeitlang sogar der parteieigene Jacobin Club, der Freedom Caucus.
Viele Republikaner waren entsetzt, wie er die Alt-Right gegen jeden Republikaner entfesselte, der zögerte, dem Weißen Haus bedingungslosen Gehorsam zu geloben; Dutzende wählten schließlich den vorzeitigen Rücktritt. Trumps Vorteil war seine erstaunliche Popularität an der Basis, sie erlaubte ihm, eine Raserei zu entfesseln, die routinemäßig von evangelikalen Führern, Fox News und natürlich seinen endlosen Tweets angeheizt wurde.
Plötzlich zeigte das Amerika, das die Occupy-Bewegung als ein Volk gegen die Gier des einen Prozent dargestellt hatte, ein ganz anderes Gesicht: das einer verwirrten Mehrheit, die militanten und rücksichtslosen 40 Prozent gegenübersteht. Wer in der Großstadt lebt und für Informationen über die [von den Republikanern beherrschten] «roten» Staaten auf CNN und die New York Times angewiesen ist, definiert das andere Amerika höchstwahrscheinlich an Hand von Bildern von Trump-Kundgebungen: wütende, ignorante Menschen mit Maga-Hüten, die den Mond anheulen und Journalisten verprügeln. In der liberalen Presse lesen sie, dass Trump-Land das ländliche und kleinstädtische Amerika ist, das sich selbst in ein Drittes Reich verwandelt hat, mit einem untergehenden weißen Proletariat im Schlepptau.
Das erinnert an die Zeit der Bürgerrechtsbewegung, als die Verteidiger von Jim Crow in den Südstaaten als tabakkauende Good Ol’Boys dargestellt wurden, die an Tankstellen arbeiteten oder bedrohlich vor Country Stores herumlungerten. Diese «Bubbas» waren jedoch, ebenso wie die brutalen Polizisten, nur die Handlanger der Country-Club-Elite. Der wahre Feind der Rassengerechtigkeit war die weiße Bourgeoisie in der Stadt.
Schaut man hinter die populistische Fassade des zeitgenössischen rechtsextremen Republikanismus um zu sehen, wie die Macht tatsächlich verteilt ist, findet man zwei soziale Landschaften: die «Mikropolen», kleinere, annähernd gewerkschaftsfreie, kulturell konservative Städte des Mittleren Westens und des Südens; und «Exurbia», die wohlhabende weiße Migration in ländliche Bezirke am Rande der großen Metropolen. Die Landeier mit John-Deere-Mützen, die vor der Kamera für Trump schwärmen, sind nur Nebendarsteller in diesem Drama.
Die Geldgeber
Wenn Reagan dank einer beispiellosen gewerkschaftsfeindlichen Offensive an die Macht kam, die vom Business Roundtable angeführt wurde – einer Koalition von Fortune-500-Unternehmen –, so kam Trump dank der Liebe Jesu und einer bunt zusammengewürfelten Truppe von «Lumpenkapitalisten» ins Weiße Haus. Zwar entrichten Rüstungsunternehmen, die Energieindustrie und Big Pharma brav ihren Tribut an das Weiße Haus, wie immer wenn die Republikaner an der Macht sind. Doch die Geberkoalition, die die Revolte gegen Obama finanzierte und sich nach der Niederlage von Ted Cruz in den Vorwahlen hinter Trump versammelte, ist weitgehend an der Peripherie der traditionellen Orte wirtschaftlicher Macht angesiedelt.
Neben Familiendynastien, die sich hauptsächlich auf Ölreichtum stützen, wie die Kochs, die seit den Tagen von Goldwater und der John Birch Society unterwegs sind, sind Trumps wichtigste Verbündete postindustrielle Raubritter aus Großstädten im Hinterland wie Grand Rapids (Michigan), Wichita (Kansas), Little Rock (Arkansas) und Tulsa (Oklahoma), deren Vermögen sich aus Immobilien, privatem Beteiligungskapital, Casinos und den Dienstleistungen von Privatarmeen bis hin zum Kettenwucher speist. Ein anschauliches Beispiel für diese Welt ist Cleveland, die Provinzhauptstadt von Bradley County, Tennessee.
Die 43000 Einwohner zählende Stadt mit niedrigem bis mittlerem Einkommen östlich von Chattanooga ist das, was die Volkszählung heute als «mikropolitisches statistisches Gebiet» bezeichnet. Zu über 90 Prozent weiß und betont evangelikal mit 200 protestantischen, aber nur einer katholischen Kirche, entspricht Cleveland dem Stereotyp des republikanischen Amerika in fast cartoonhafter Perfektion.
Dank Tennessees Aufstieg zum Zentrum des südöstlichen Autorings und insbesondere dank des großen Volkswagen-Werks im nahe gelegenen Chattanooga hat es eine überraschende Anzahl neuer Fabriken angezogen, vor allem Autozulieferer, die sich alle unter Tennessees niedrigen Steuersätzen und laxen Arbeitsgesetzen sonnen. Wie im Jahr 2016 holte Trump auch in diesem Jahr hier 77 Prozent der Stimmen. Ungewöhnlich für eine Stadt dieser Größe, wohnen in Cleveland zwei Milliardäre, die beide gleichermaßen von Trump profitieren wie sie ihn groß machen.
Der eine ist Forrest L. Preston, er schaut auf ein Nettovermögen von 1,8 Milliarden Dollar. Ihm gehört Life Care Centers of America, die größte Pflegeheimkette im Land mit 220 Einrichtungen in 28 Staaten und 30000 Beschäftigten. Die Branche der Langzeitpflege bezieht den größten Teil ihrer Einnahmen von den staatlichen Gesundheitsprogrammen Medicaid und Medicare.
Prestons Nachbar, Allan Jones, besitzt Check Into Cash, die zweitgrößte Gesellschaft für Kurzzeitkredite im Land mit 1200 Standorten in 32 Bundesstaaten. Er gilt weithin als der «Vater des Zahltagskredits». Wenn Sie Ihre Brieftasche oder Ihr Portemonnaie mit all Ihrem Bargeld verloren haben, leiht Jones Ihnen 200 Dollar, wenn Sie sich bereit erklären, am nächsten Zahltag 230 Dollar zurückzuzahlen. Wenn Sie das nicht pünktlich bezahlen können, leiht er Ihnen gerne mehr zu den gleichen Bedingungen – der Prototyp des Wucherers.
Pflegeheime und Wucher
Die Pflegeheimkette Life Care wurde von einem Whistleblower beschuldigt, routinemäßig falsche Rechnungen einzureichen, Patienten länger als nötig in Einrichtungen zu behalten und unnötige Eingriffe in Rechnung zu stellen. Mit der Möglichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung konfrontiert, stimmte Preston 2017 zu, 146 Millionen Dollar an das Justizministerium zurückzuzahlen. Der Whistleblower behauptete außerdem, Preston habe das Unternehmen absichtlich ausbluten lassen und es stark unterkapitalisiert.
Wie auch andere große Ketten, die sich meist im Besitz von Private-Equity-Firmen befinden, spart Life Care Kosten, indem es gegen staatliche und bundesstaatliche Vorschriften über Schutzausrüstung, Infektionstraining und Hygienestandards verstößt. Bei Trump hat diese Branche durchgesetzt, dass die von der Obama-Regierung durchgesetzte Auflage, mindestens einen Teilzeit-Infektionstechniker in den Pflegeheimen zu halten, abgeschafft wurde und die Bußgelder für die Nichteinhaltung der Vorschriften drastisch herabgesetzt wurden. Faktisch subventionierte die Regierung Trump damit fortgesetzte kriminelle Fahrlässigkeit.
Der erste große Covid-19-Ausbruch in den USA ereignete sich denn auch in einer Einrichtung von Life Care in Kirkland, Washington. Die Leitung wartete zwei Wochen, bevor sie die Gesundheitsbehörden über die Häufung von Lungenentzündungen informierte, und nachdem das Coronavirus identifiziert worden war, verschwieg sie die Zahl der Infektionen und der Todesfälle, verweigerte verzweifelten Familien jegliche Information und zwang das Personal, wochenlang ohne angemessenen Schutz zu arbeiten. Bis zum Beginn des Sommers starben 45 Patienten, Beschäftigte und Menschen, die mit dem Personal in Kontakt standen, an Covid-19.
Zahlreiche andere Heime von Life Care, die nicht in der Lage oder nicht willens waren, eine effektive Infektionskontrolle zu praktizieren, verzeichneten ebenfalls erschreckende Todeszahlen: 17 Tote im Nashoba Valley Center außerhalb von Boston; 8 Tote in Omaha; 5 in Hilo, Hawaii; in Tennessee mindestens 14 Tote in McMinn County und 17 Tote in Einrichtungen in Hamblen County usw. Bis zum Wahlabend sind landesweit mehr als 100000 Menschen in Pflegeheimen gestorben.
Frontline, die Washington Post und die New York Times haben alle über die Life-Care-Zentren berichtet, aber die Trump-Administration hat sie und den Rest der Branche aggressiv vor Strafverfolgung abgeschirmt. Bundesinspektoren der Zentren für Medicare and Medicaid-Dienste haben die Life-Care-Zentren regelmäßig von eklatanten Verstößen gegen die Vorschriften zur Infektionskontrolle freigesprochen, mindestens 18 republikanische Bundesstaaten haben ihnen zumindest begrenzte Immunität vor Klagen im Zusammenhang mit den Todesfällen durch die Pandemie gewährt.
Die Senatsmehrheit hat eine generelle Immunität für Pflegeheime und Krankenhäuser zur Bedingung für Zahlungen aus den Konjunkturprogrammen gemacht. Statt Geldstrafen oder Anklagen erhielten Life-Care-Zentren 48 Millionen Dollar an Pandemie-Hilfsgeldern.
Wucher sollte eigentlich illegal sein, die meisten Bundesstaaten haben eine Höchstgrenze für Zinsen festgelegt. Aber der Eigentümer von Check Into Cash bezahlt Politiker, die das Gesetz für ihn beugen. Nicht mit Bestechungsgeldern unter dem Tisch, sondern mit vollmundigen Kampagnen von Armeen übergewichtiger Lobbyisten. Sein Heimatstaat war besonders freundlich zu ihm und hat Wucher neu definiert. Das erlaubt ihm, in einem überdimensionalen französischen Chateau zu leben, das dem berühmten Vanderbilt-Anwesen nachempfunden ist, zusätzlich zu einem zweiten Haus und einer Pferderanch außerhalb von Jackson Hole, Wyoming.
Exurbane Hochburgen
Preston und Jones gehören zu einer Welt, die immer noch eine gewisse Ähnlichkeit mit derjenigen hat, die Sinclair Lewis 1922 in seinem Roman Babbitt beschrieben hat. Exurbia hingegen ist die schöne neue Welt, die durch die Flucht wohlhabender weißer Republikaner in ländliche Gegenden entstanden ist – reich an landschaftlichen Annehmlichkeiten und Erholungsmöglichkeiten.
Obwohl seit Jahrzehnten überholt, strukturiert und verzerrt die alte Triade Stadt–Vorort–Land immer noch die Interpretation von Wahlen. Die einheitliche Kategorie «Vorstadtstimme» ist besonders irreführend, da sie keinen Unterschied macht zwischen den innenstadtnahen älteren, ärmeren und weniger homogenen Vorstädten und den neueren, wohlhabenderen Siedlungen und Randstädten im Speckgürtel.
Doch aus der Sicht von Geographen und politischen Soziologen sind die Vorstädte nicht mehr das beherrschende Thema. Exurbia hat sich als das dominierende Siedlungsmuster im ganzen Land herauskristallisiert, es zeichnet sich durch andere Entwicklungsmuster und Erwartungen an den Lebensstil aus als die Städte und Vorstädte – mit Häusern in landschaftlich reizvollen, naturnahen Gegenden auf relativ großen Grundstücken.
Und die exurbane Bevölkerung wächst schnell: Eine Studie der Brookings Institution schätzte sie im Jahr 2000 noch auf landesweit auf 10 Millionen, 70 Prozent davon im Süden und im Mittleren Westen. Inzwischen hat sie sich mit 34 Millionen mehr als verdreifacht, und einige gehen davon aus, dass sie innerhalb der nächsten Generation die Bevölkerung der städtischen Zentren übertreffen wird.
Diese Exurbs sind mehrheitlich republikanisch, «blaue» Vorstädte sind die Ausnahme. Bei den Wahlen 2016 gewann Trump 2016 die Stimmen der Vorstädte (222 Bezirke) mit einem Abstand von satten 17 Prozent – eine Mehrheit, an der Biden wohl kaum gekratzt haben dürfte.
* Nach den Präsidentschaftswahlen befindet sich die US-amerikanische Gesellschaft in einem Stellungskrieg, in dem die Agenda von den Republikanern bestimmt wird. So sieht es der linke Soziologe MIKE DAVIS, Analogien zum Amerikanischen Bürgerkrieg drängen sich ihm auf. Wir fassen einige seiner Kernaussagen zusammen, die er in einem längeren Artikel für die britische Zeitschrift New Left Review (Nr.126, November/Dezember 2020) dargelegt hat. Zusammenstellung von Angela Klein.
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