Berlin: Ullstein, 2020. 432 S., 19 Euro (geb.)
dokumentiert
Der Schwerpunkt dieser SoZ-Ausgabe ist das Thema Militarisierung. Ein Artikel behandelt das Thema Kampfroboter und KI. Mark-Uwe Kling hat in seinem neuesten Buch Qualityland 2.0 dieses Thema ebenfalls aufgegriffen.
Hier ein Auszug daraus:
«Darum frage ich Sie noch mal», sagt Tony. «War dieser Dritte Weltkrieg wirklich nötig?»
«Nun ja, unsere Analysten sitzen noch an den Daten und versuchen zu extrahieren, was die Entscheidung der Verteidigungsalgorithmen ausgelöst hat», erwidert General Dragqueen. «Wir gehen momentan von einer Ereigniskaskade verschiedenster autonomer Trigger aus, also Trigger auf unserer Seite und Trigger aufseiten der Gegner, die sich gegenseitig durch ihre getriggerten Reaktionen auf das Triggern der Trigger, äh, getriggert haben.»
[…]
Auch Tony schüttelt den Kopf. «Ja, Sie triggern gleich bei mir was mit diesem Geschwafel. Sie wissen also nicht, was genau den Dritten Weltkrieg ausgelöst hat?»
«Das ist nicht ganz korrekt», sagt der General. «Wir haben das Wissen. Es ist nur noch nicht aufbereitet.»
«Sie wollen mir also ernsthaft verkünden», sagt Tony, «dass an der Entscheidung, die zum Dritten Weltkrieg geführt hat, kein einziger Mensch beteiligt war?»
[…]
«Ja schon, aber wie soll denn das auch gehen?», fragt der General. «Haben Sie schon mal bei einer Partie Blitzschach zugesehen? Es ist extrem schwer, dem Geschehen zu folgen, ganz zu schweigen davon, in dieser Geschwindigkeit Entscheidungen zu treffen. Und jetzt stellen Sie sich noch vor, nicht zwei Menschen, sondern zwei Computer würden gegeneinander Blitzschach spielen. Schwarz wäre schon schachmatt, bevor Sie auch nur verarbeitet hätten, dass Weiß seinen Eröffnungszug gemacht hat.»
«Aber warum muss es denn überhaupt Blitzschach sein?», fragt Tony. «Warum muss denn immer alles so schnell gehen?»
[…]
«Es muss so schnell gehen, wegen des OODA-Loopss», sagt der General.
[…]
«OODA steht für observe, orient, decide, act. Also beobachten, orientieren, entscheiden, handeln. Diesen Kreis durchläuft jeder Kriegsteilnehmer immer und immer wieder. Es ist vorteilhaft, den OODA-Loop schneller zu durchlaufen als der Gegner. Da das eigene Handeln die Situation verändert, zwingt man im Idealfall den Gegner dazu, seinen OODA-Loop von vorne zu beginnen, bevor er überhaupt zum Handeln gekommen ist. Er muss also die veränderte Situation erst wieder beobachten und sich orientieren…»
[…]
«Unsere Streitkräfte agieren vollständig autonom.»
«Ja», ruft Tony, «aber warum? Warum?»
«Wir haben gar keine andere Wahl, wenn wir vom Gegner nicht abgehängt werden wollen. Sehen Sie, grundsätzlich gibt es halbautonome Systeme, überwachte autonome Systeme und vollständig autonome Systeme. Sie unterscheiden sich dadurch, wie sie den OODA-Loop handhaben. Bei einem halbautonomen System beobachtet die Maschine, sie orientiert sich und entscheidet sich für eine Handlungsmöglichkeit. Aber bevor sie tatsächlich handelt, wird die Entscheidung einem Menschen vorgelegt, der dann entscheidet, ob die Maschine handeln soll. Der Mensch ist ‹in the loop›. Das Problem dabei ist natürlich, was ich vorher schon angesprochen habe…»
«Es hat Vorteile, den Loop schneller zu durchlaufen als der Gegner», sagt Aisha.
«Korrekt. Und ein Mensch im Loop verzögert das Handeln ungemein. Darum sind unsere Streitkräfte schon sehr früh zu überwachten autonomen Systemen übergegangen. Bei diesen ist der Mensch «on the loop». Das heißt, die Maschine beobachtet, orientiert sich, entscheidet und handelt selbstständig, wird dabei aber von einem Menschen überwacht, der jederzeit eingreifen kann. Das Problem dabei ist nur…»
«Das Computer-Blitzschach», sagt Tony.
«Korrekt» sagt der General. «Offiziell sind unsere Systeme immer noch alle überwacht. Aber in der Realität treffen sie so schnell Entscheidungen – müssen sie so schnell Entscheidungen treffen, um nicht langsamer zu sein als die der Gegner –, dass man eigentlich von vollständig autonomen Systemen sprechen sollte. Der Mensch ist «out of the loop». Und deswegen kann ich Ihnen augenblicklich keinen Menschen nennen, der weiß, welcher Tri… welcher Entscheidungsauslöser, die, äh, Entscheidung ausgelöst hat. Für den Dritten Weltkrieg, meine ich.»
«Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner weiß, warum», brummt Tony.
[…]
«Also hast du im Militärnetz etwas herausgefunden?», fragt sie.
«Ja», sagt Lucia. «Aber es wird Ihnen nicht gefallen.»
«Ich möchte es trotzdem hören», sagt Aisha.
Wenn Sie wissen wollen, wer den Dritten Weltkrieg ausgelöst hat, müssen Sie sich wohl das Buch kaufen.
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