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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2021

G20

«Die Angeklagten leben unter einem Damoklesschwert»
Gespräch mit Kim König

Wegen der Corona-Pandemie ist der Prozess gegen fünf mittlerweile Volljährige wegen Teilnahme an einer Demonstration im Zuge der G20-Proteste 2017 im Hamburger Industriegebiet Rondenbarg nach zwei Monaten abgebrochen worden.

Gaston Kirsche sprach darüber mit Kim König (Rote Hilfe Hamburg). Sie ist von Beginn an in der Solidaritätsbewegung mit den G20-Angeklagten aktiv, ar­beitet in der Hamburger Ortsgruppe der Roten Hilfe und hat die Kampagne United We Stand mitinitiiert. Wichtig ist ihr, dass sich verschiedene linke Strömungen an der Solidarität beteiligen – auch damit es nicht der Justiz überlassen wird, die Geschichte des Widerstands vom Juli 2017 zu schreiben.

Wie kam es zum Sinneswandel der Großen Jugendkammer unter Richter Georg Halbach, das Verfahren wegen der Corona-Pandemie doch noch abzubrechen?

Die Entscheidung kam nicht total überraschend. Es war ja von Anfang an klar, dass ein Prozess mit so vielen Angeklagten und Verteidiger:innen unter den Corona-Sonderbedingungen nur sehr schwer und unter großem Risiko für die Beteiligten zu führen ist. Es stellt sich also eigentlich die Frage, warum das Verfahren überhaupt im Dezember noch losgetreten wurde. Das hätte gar nicht erst passieren dürfen, und das haben die Verteidigung und wir auch von Anfang an so gefordert.
Die Kammer war dann nach den ersten beiden Sitzungstagen wohl doch nicht mehr so überzeugt vom Hygienekonzept des Gerichts und hat erst mal alle Termine bis mindestens zum 10.Februar ausgesetzt. Aber selbst unter den Pandemie-Sonderregeln, die im letzten Jahr in der Strafprozessordnung verankert wurden, kann ein Verfahren maximal für zwei Monate unterbrochen werden.
Eine längere Unterbrechung führt dazu, dass der Prozess platzt. Die Kammer muss wohl irgendwann verstanden haben, was eigentlich schon Anfang Dezember klar war: dass Corona im Februar nicht einfach weg ist. Insofern war es eine rein technische Abwägung: die Verhandlung unter massiven Einschränkungen dann wieder aufnehmen oder abbrechen.

Bei einer Wiederaufnahme würden die gleichen Anklageschriften vor der gleichen Kammer verhandelt?

Ja, es würde genauso wieder von Null an losgehen. Die Frage ist eher, wann das passiert. Der Prozess gegen Fabio V., ebenfalls aus dem Rondenbarg-Komplex, wurde bereits vor drei Jahren abgebrochen und bis heute nicht neu eröffnet. So wie er werden jetzt auch diese fünf Angeklagten unter einem Damoklesschwert leben müssen: Sie wissen, dass alles fertig in der Schublade liegt und irgendwann der Prozess gegen sie neu beginnt. Aber sie haben keine Ahnung, wann.

Wie lässt sich die Verschiebung mit dem Beschleunigungsgrundsatz für Jugendverfahren vereinbaren?

Gar nicht. Der Grundsatz, dass bei Jugendlichen eine Strafe möglichst schnell nach einer vorgeworfenen Tat folgen soll, ist nichts, was wir fortschrittlich finden. Der Gedanke dahinter ist ja, dass Jugendliche und Heranwachsende aus Sicht der Justiz noch formbar sind und auf Linie gebracht werden können. Aber hier hält sich die Justiz mal wieder nicht an ihre eigenen Regeln: Schon die ursprüngliche Prozesseröffnung war nicht beschleunigt, sondern dreieinhalb Jahre nach dem Polizeiüberfall, der jetzt den Jugendlichen zum Vorwurf gemacht wird.
Dass Staatsanwaltschaft und Gericht trotzdem daran festhalten, den ersten großen aus einer anstehenden Serie von Rondenbarg-Prozessen gegen Jugendliche zu führen, liegt an einem anderen Aspekt des Jugendstrafrechts, den sie sich hier herauspicken: Er muss unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt werden. Offiziell natürlich zum Schutz der damals Jugendlichen. Tatsächlich bedeutet das für die Angeklagten aber auch, dass sie ohne ihre Freund:innen und Unterstützer:innen vor Gericht stehen. Das wiederum erschwert die Solidaritäts- und Öffentlichkeitsarbeit deutlich.

War eine Einstellung des Prozesses im Gespräch?

Die Verteidigung hat von Anfang an seine Einstellung gefordert, und das zu Recht. Einmal aus inhaltlichen Gründen und dann wegen der Corona-Einschränkungen. Das war aber für Staatsanwaltschaft und Gericht kein Thema. Deshalb wurde er jetzt eben nur auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Unsere Forderung ist nach wie vor: Dieses Verfahren und alle anderen Rondenbarg-Verfahren gehören sofort eingestellt. Auf die Anklagebank gehören ganz andere.

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