Wo bleibt das Konzept der Gewerkschaften?
von Helmut Born
Wenn von Klimagerechtigkeit die Rede ist, geht der erste Gedanke an die Folgen des Klimawandels für die Länder des globalen Südens und wie sie bewältigt werden können: Die (kapitalistischen) Industrienationen tragen die Hauptverantwortung für den Klimawandel, sie müssen daher auch für die Folgen aufkommen.
So richtig diese These und die Forderung nach einer finanziellen Unterstützung der Länder des globalen Südens für die Beherrschbarkeit der Folgen des Klimawandels ist, so wird doch gern dabei vergessen, dass auch die reichen Industrienationen Klassengesellschaften sind, in denen die sozialen Unterschiede riesig sind. Deswegen ist es aus gewerkschaftlicher Sicht notwendig, beim derzeitigen Strukturwandel der Industrie die Interessen der Lohnabhängigen für eine gesicherte Zukunft zu vertreten – und dabei gleichzeitig die Notwendigkeit des Umbaus der fossilen und klimazerstörenden Industrien voranzutreiben.
Bis vor wenigen Jahren war das Hauptziel der Gewerkschaften, die Arbeitsplätze in den klimaschädlichen Industrien ohne Rücksicht auf die Umweltbelastung und gegen alle Argumente der Wissenschaft zu verteidigen. Da waren sich IG Metall und IG BCE mit den Vorständen der großen Energie- und Autokonzerne durchaus einig.
Seit ein paar Jahren hat sich diese Haltung verändert, es hat einen Positionswechsel hin zu einer Akzeptanz der klimapolitisch notwendigen Veränderungen gegeben. Ob dabei die Ziele des Pariser Abkommens eingehalten werden, darf allerdings bezweifelt werden. So dürfte heute klar sein, dass der von Ver.di und IG BCE mitgetragene Kohleausstieg bis 2038 viel zu spät ist und bis 2030 abgeschlossen sein muss.
Das gleiche kann für die IG Metall gesagt werden, die den Umbau der Autoindustrie zur E-Mobilität mitträgt, ohne über ein eigenes Konzept zur Konversion zu verfügen.
Aus unserer Sicht reicht dies nicht aus. Die Gewerkschaften müssen sich, zusammen mit der Wissenschaft und der Klimabewegung, um eigene Konzepte für den Umbau der jeweiligen Industrien bemühen und versuchen, diese auch umzusetzen. Warum z.B. sollen in den Braunkohlerevieren keine Wind- und Solarparks entstehen, die die bestehenden Arbeitsplätze, bei entsprechender Umschulung und Weiterqualifizierung, erhalten? Hinzu kommt, im Rahmen des Wechsels zu einer CO?-armen oder -freien Wirtschaft, ein riesiger Bedarf an neuen Arbeitsplätzen für mehr Umweltschutz, für die Verkehrsgesellschaften oder in den sozialen Bereichen. Innerhalb von zehn Jahren dürfte es kein Problem sein, mit den Beschäftigten gemeinsam ihre Zukunft zu sichern. Die soziale Absicherung der Beschäftigten ist für die Gewerkschaften dabei die wichtigste Herausforderung. Die bestehende gewerkschaftliche Stärke kann für den Erhalt der Einkommen wie für eine Arbeitszeitverkürzung genutzt werden.
Auch in der Automobilindustrie stehen gewaltige Veränderungen an. Die bisher von Konzernen und Regierung vorgesehenen Maßnahmen für die Förderung von Elektroautos sind für eine Verkehrswende ungeeignet. Um von dem motorisierten Individualverkehr wegzukommen, braucht es weitergehende Konzepte. Die Automobilkonzerne müssen zu Mobilitätskonzernen umgebaut werden. Es braucht viel größere Kapazitäten zum Bau von Bussen, Zügen und Straßenbahnen. Außerdem braucht es neue Konzepte, um eine bessere Anbindung der außerstädtischen Bevölkerung an den ÖPNV zu gewährleisten. Solche Konzepte zu entwickeln, bei weitestgehendem Erhalt der Arbeitsplätze und Einkommen, wäre eine der dringlichsten Aufgaben für Gewerkschaften. Damit wäre nicht nur dem sozialen Schutz der Beschäftigten, sondern auch dem Erhalt der Lebensgrundlagen auf diesem Planeten gedient.
Eins wissen wir alle: Auf einem toten Planeten gibt es keine Arbeitsplätze.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.