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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2021

«Ihr legt euch mit der falschen Generation an»
von Dominik Müller

Die Proteste gegen den Staatsstreich der Generäle vom 1.Februar hören trotz aller Repression nicht auf. In Yangon, dort, wo Medien, Botschaften und internationale NGOs ihren Sitz haben, halten sich die Militärs noch etwas zurück, aber in anderen Teilen Myanmars wird mittlerweile auch scharf geschossen, es gab Tote und Verletzte.

«Ihr legt euch mit der falschen Generation an», ist einer der populären Slogans der vielen jungen Menschen, die seit Wochen demonstrieren. «Mein Ex ist schlimm, aber das Militär ist schlimmer» oder «Ich will keine Diktatur, sondern einen Liebhaber» sind weitere Parolen der jungen Generation, denn ihr Protest richtet sich auch gegen eine konservative Gesellschaftsordnung, für die Generäle und viele buddhistische Mönche stehen. Immer mehr Stadtbewohner aus armen Stadtvierteln und Angehörige ethnischer Minderheiten beteiligen sich an den Aktionen der Studierenden. Auch Beamte und Angestellte schlossen sich der «Generation Z» und ihrer «Bewegung des zivilen Ungehorsams» an, viele legten dafür sogar die Arbeit nieder.
«Generation Z» steht für die jungen Leute, die um die Jahrhundertwende geboren wurden und durch die wenigen Jahre der vorsichtigen Öffnung des Landes geprägt worden sind. Offiziell haben die Streitkräfte erst 2015 die politische Macht an die Zivilbevölkerung abgetreten, nachdem sie das Land jahrzehntelang unterdrückt hatten. Seitdem hat die National League for Democracy (NLD) unter der Führung der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi versucht, den Einfluss des Militärs allmählich zu reduzieren. Die Meinungs- und Pressezensur konnte sie etwas abmildern, es gab freie Wahlen, aber die Generäle kontrollieren bis heute große Teile von Wirtschaft und Justiz.
Noch immer gilt die Verfassung von 2008, die den Militärs unabhängig von Wahlergebnissen ein Viertel der Sitze in den beiden Kammern und drei Schlüsselministerien garantiert: Verteidigung, Inneres und Grenzkontrollen.
Die Wahlen im November letzten Jahres endeten dennoch in einem Debakel für die militärnahe Partei USDP: Die NLD gewann 80 Prozent der Sitze bei den Parlamentswahlen. Vor der geplanten Parlamentseröffnung im Februar putschten die Militärs schließlich und inhaftierten Aung San Suu Kyi.

Situation der Rohingya
Keine Verbesserung brachte die Regierung der NLD für die 1,5 Millionen muslimischen Rohingyas im Westen des Landes. Die Rohingyas gelten in Myanmar als bengalische Flüchtlinge. Als das Militär 2017 600000 Rohingyas nach Bangladesh vertrieb, angeführt vom jetzigen Juntachef Min Aung Hlaing, schwieg die mächtigste Frau im Land, in Sachen Rohingyas ist sie sich mit den Militärs und der Mehrheit der Bevölkerung einig.
Nach den Pogromen buddhistischer Nationalisten 2013 an der muslimischen Minderheit rechtfertigte sie sogar das Vorgehen gegenüber der BBC. Sie leugnete den Völkermord an den Rohingya und gab ihnen, den sog. «bengalischen Einwanderern», die Schuld für ihr eigenes Leid. International ist die ehemalige Ikone der Demokratiebewegung deswegen kritisiert worden: mehrere Auszeichnungen wurden ihr entzogen – nicht aber der Friedensnobelpreis.
Viele ethnische Burmesen sehen die gegenwärtige Krise als eine Wahl zwischen den Generälen und Aung San Suu Kyi. Aber mit der jungen Generation, die mit Smartphone und Internet aufgewachsen ist, könnte es mehr geben als eine einfache Rückkehr zur elitären Machtteilung zwischen der NLD und dem Militär, hoffen einige Beobachter. Bisher sei das Internet und hier vor allem Facebook, das in Myanmar als Synonym für das Netz gilt, für die Generation Z ein wichtiger Resonanzraum, den sie auch zur Mobilisierung nutzt, schreibt etwa die Taz.Als das Militär wenige Tage nach dem Putsch versuchte, erst Facebook, dann das ganze Netz zu sperren, habe das die jungen Menschen aufgebracht und erst recht mobilisiert. Für viele sei ein Leben ohne Facebook nicht vorstellbar.

Facebook ist für alle gut
Und es gebe auch jetzt schon smarte «Kids», die sich mit entsprechenden Programmen und Tools auf weitere Sperren vorbereiteten. Sie sind international vernetzt und orientieren sich an den studentischen Massenprotesten in Hongkong und Thailand. Andererseits waren die sozialen Medien bisher auch ein wichtiges Propagandainstrument buddhistischer Nationalisten, die zum Beispiel Facebook für ihre islamophobe Propaganda nutzten und etwa den islamfeindlichen Film Fitra des Niederländers Geert Wilders burmesisch untertitelten. Fitra erfreute sich größter Beliebtheit unter jungen Leuten.
Als großer Fan von Geert Wilders und seinem Film bezeichnet sich auch der buddhistische Mönch U Wirathu, der internationale Bekanntheit als «burmesischer Bin Laden» erlangte. Er war maßgeblich verantwortlich für die antimuslimischen Pogrome 2013. Wirathu ist nur die Spitze des Eisbergs – viele buddhistische Mönche in Myanmar halten den Islam für die größte nationale Bedrohung, obwohl der Anteil der Muslime an der Bevölkerung weniger als fünf Prozent ausmacht.
Nicht alle der 500000 Mönche im Land sind so radikal wie Wirathu und rufen zur Gewalt gegen die Minderheit auf. Aber viele argumentieren in ihren Predigten mit der Geschichte und behaupten, Länder wie Afghanistan oder Indonesien seien früher buddhistisch gewesen und Myanmar drohe das gleiche Schicksal der Islamisierung, wenn man nichts dagegen unternehme. Mitte Februar hat die Militärjunta im Rahmen einer Massenamnestie Wirathu aus dem Gefängnis entlassen.
«Die buddhistischen Mönche können die Menschen bei uns beeinflussen, kein Spitzenpolitiker kann es sich leisten, sie zum Gegner zu haben», sagt der 69jährige Khin Zaw Win. Der Linksintellektuelle lebt mit seiner Familie in Bauktaw, einem Vorort von Yangon. Dort hatte die radikale 969-Bewegung mit ihrem Anführer Wirathu vor wenigen Jahren noch zum Boykott muslimischer Geschäfte aufgerufen.
«Leider bin ich einer der wenigen Buddhisten in Myanmar, die ihren Mund gegen die Extremisten aufmachen. Das ist schon sehr frustrierend», so Win. Er hat eine bewegte Lebensgeschichte: Er hatte sich in den 80er Jahren der Demokratiebewegung angeschlossen und während der Militärdikatur Berichte an internationale Menschenrechtsorganisationen geschrieben. Dafür hat er elf Jahre im Gefängnis gesessen.

Die Protestbewegung ist überraschend breit
Die aktuellen Proteste machen ihm Hoffnung. «Alle religiösen Konfessionen haben sich zu dem Protesten zusammengefunden, alte Mauern der Ausgrenzung brechen ein», so Win. Vereinzelt seien auf den Demonstrationen Plakate zu sehen, die sich solidarisch mit den Rohingya erklären.
Viele seiner Mitstreiter:innen aus der «Generation 88», die in den 80er und 90er Jahren gegen die Militärjunta protestierten, haben sich der aktuellen Bewegung angeschlossen. Beschäftigte, vor allem im Gesundheits- und Bildungsbereich, haben die Arbeit niedergelegt, außerdem Beschäftigte der Staatsmedien, des Transportwesens und der Energieversorgung.
Bemerkenswert ist die große Beteiligung von Beamten und Staatsangestellten, die früher den Generälen als Büttel dienten. Die Militärs haben nicht damit gerechnet, dass ganze Belegschaften von Behörden, Instituten, Versorgungsbetrieben und Krankenhäusern gegen den Putsch aufbegehren. Noch unerwarteter für die Putschisten, und deshalb von der Protestbewegung besonders bejubelt, sind Polizist:innen, die plötzlich den Drei-Finger-Protestgruß zeigen oder, wie in Pathein, ihre Barrikaden wegräumen und den Demonstrant:innen den Weg bahnen. Am 4.Februar hat eine 40köpfige Polizeieinheit in Loi-kaw die Seiten gewechselt. «Das hat es früher nicht gegeben», so Khin Zaw Win.
Die meisten westlichen Länder verurteilen den Militärputsch, der UN-Sicherheitsrat fordert die Freilassung von Aung San Su Kyi. China und Russland äußerten zwar «tiefe Besorgnis», wollen aber das Vorgehen nicht als «Putsch» bezeichnen. Vor allem China will es sich mit den Militärs nicht verscherzen, Peking hat viel in Infrastruktur- und Industrieprojekte in Myanmar investiert.
Myanmar, gelegen zwischen Bangladesh, Indien, China und Thailand, weckt sowohl geostrategische wie ökonomische Interessen. Wenige Tage nach den Wahlen im vergangenen November gab Suu Kyi einen Empfang für wichtige Geschäftsleute. Dort sagte sie öffentlich, die Wohlhabenden sollten nicht wegen ihres Vermögens benachteiligt werden, so berichtet Khin Zaw Win. «Die Bevorzugung einer neoliberalen Agenda ist in Myanmar nichts Neues, sie ist für die Generäle und jetzt auch für Suu Kyi eine zweite Natur.»

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