Schwarzer Pullover und Sonnenbrille reichen
von RA Jasper Prigge
Im Windschatten der Corona-Pandemie will die Landesregierung ein neues NRW-Versammlungsgesetz schaffen, das die Versammlungsfreiheit massiv beschränken wird. Ein Vorhaben, mit dem CDU und FDP hoffentlich scheitern. Was steht im Gesetzesentwurf und warum sind die Regelungen zu kritisieren?
Versammlungen sind ein Stück ungebändigte Demokratie. Wenn viele unterschiedliche Menschen zusammen ihr Anliegen auf die Straße tragen, dann läuft das naturgemäß anders, als bei einer kommerziellen Veranstaltung, deren Ablauf genau durchgeplant ist. Die Veranstalter:innen sind in der Regel keine «Profis», die juristisch geschult sind und das Versammlungsrecht bis ins Detail kennen. Im Gegenteil, schon eine Versammlung anzumelden ist für viele Bürger:innen eine Hürde. Da ist es kontraproduktiv, dass der Gesetzesentwurf den Bürger:innen durchweg mehr Verantwortlichkeit für den Ablauf zuschiebt, während die Polizei als Versammlungsbehörde mehr Befugnisse erhalten soll. Auf diese Weise wird das Versammlungsgesetz zu einem Korsett, das der Versammlung die Luft zum Atmen nimmt.
Wenn man den Gesetzentwurf liest, hat man den Eindruck, dass die Verfasser sämtliche Urteile der Gerichte aus den vergangenen Jahren daraufhin durchforstet haben, welche Möglichkeiten es gibt, Versammlungen zu beschränken. Zwar gibt es hier und da auch gute Ansätze, bspw. wenn öffentlich zugängliche Flächen künftig ausdrücklich für Versammlungen genutzt werden dürfen, selbst wenn sie Privaten gehören. Aber in der Gesamtschau überwiegt der Eindruck, dass Versammlungen mehr als Gefahr denn als Grundrecht gesehen werden.
Besonders deutlich wird dies in der Begründung, die mit einem rhetorischen Kniff versucht, die Bedeutung von Versammlungen für die Demokratie überhaupt in Frage zu stellen. Es geht nicht darum, ein modernes und freiheitliches Versammlungsgesetz zu schaffen. Es geht darum, Versammlungen zu erschweren.
Verbot von «Blockadetrainings»
Nachfolgend die besonders problematischen Inhalte des Entwurfs.
Schon das bisherige Versammlungsgesetz kennt das Störungsverbot. Der Gesetzesentwurf verschärft dieses aber erheblich, wohl um den Blockaden von Naziaufmärschen zu begegnen:
«[Es ist verboten]
- in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen zu behindern oder zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vorzunehmen oder anzudrohen oder Störungen zu verursachen,
- in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen zu verhindern oder ihre Durchführung zu vereiteln oder wesentlich zu erschweren, Handlungen vorzunehmen, die auf die Förderung von in Nummer 1 beschriebenen Handlungen gegen bevorstehende Versammlungen gerichtet sind.»
Die Vorbereitung oder Einübung von Störungshandlungen ist auch dann verboten, wenn ein konkretes Versammlungsgeschehen nicht absehbar ist. Zusammenkommen müssen vielmehr lediglich eine subjektive Verhinderungsabsicht und objektiv Handlungen, die die Durchführung der Versammlung behindern können. Das ist bei einem «Blockadetraining» der Fall, da es die Blockadefähigkeiten potenzieller Blockierer erhöhen und letztere zudem in ihrer Blockadeabsicht bestärken kann.
Damit wird es künftig verboten sein, sich gegen Nazis auf die Straße zu setzen – und zwar auch dann, wenn die Blockade einem kommunikativen Zweck dient. Wie unter anderem das Oberverwaltungsgericht NRW herausgearbeitet hat, ist nicht jede Blockade strafbar, sondern nur die sog. Verhinderungsblockade. Friedliche Blockaden sind von der Versammlungsfreiheit aus Art.8 GG geschützt.
Auch rechtlich zulässige Versammlungen wie Blockadetrainings, mit denen Aufmerksamkeit z.B. auf einen anstehenden Naziaufmarsch gelenkt werden soll, werden durch das Gesetz unterbunden und sogar strafrechtlich verfolgt.
Ausweitung der Videoüberwachung
Nachdem die Versammlungsbehörden in der Vergangenheit mehrfach gerichtlich attestiert bekommen hatten, dass die Videoüberwachung von Versammlungen ohne Anlass gegen Grundrechte verstößt, sollen nun «Übersichtsaufnahmen» erlaubt werden. Diese sind zur «Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes» zulässig, wenn dies «wegen der Größe oder Unübersichtlichkeit der Versammlung im Einzelfall erforderlich ist». Es ist damit zu rechnen, dass die Behörden dies bereits bei einigen hundert Teilnehmer:innen annehmen werden. So argumentierte jedenfalls die Polizei Dortmund in einem entsprechenden Verfahren.
Warum sind Videoaufnahmen problematisch? Wer damit rechnen muss, dass seine Teilnahme an einer Versammlung behördlich registriert wird, könnte von der Wahrnehmung seines Grundrechts abgeschreckt werden. Das ist auch der Grund, warum die Polizei nicht einmal durch eine auf die Versammlung gerichtete Kamera den Eindruck erwecken darf, sie würde filmen. Denn bereits damit würde sie die Versammlungsfreiheit beschränken.
Die Übersichtsaufnahmen sollen aufgezeichnet werden dürfen, «soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass von Versammlungen, von Teilen hiervon oder ihrem Umfeld erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen».
Vordergründig dienen sie nur dazu, den Polizeieinsatz zu lenken. Da sie aber gespeichert und anderweitig genutzt werden können, kann bald so gut wie jede Versammlung videografiert werden kann, wenn sie nur nicht ganz klein ist. Selbst wenn die Gerichte dem einen Riegel vorschieben: Erst einmal können die Behörden die neue Rechtslage für sich nutzen, es müsste ja jemand klagen…
Ordnerlisten
«Wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu besorgen ist, dass von einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht, hat die Veranstalterin oder der Veranstalter der Behörde auf deren Aufforderung hin Namen und Adressen der vorgesehenen Ordnerinnen und Ordner mitzuteilen.»
Dazu muss man wissen, dass letztlich von jeder Versammlung die eine oder andere Gefahr ausgeht. Die jetzige Regelung würde die Vorlage von Ordnerlisten selbst dann erlauben, wenn die Gefahr in überhaupt keinem Zusammenhang mit den eingesetzten Ordnern stehen. Die Anforderungen sind so niedrig, dass die Polizei immer einen Grund finden wird, eine Ordnerliste zu verlangen.
Militanzverbot
Besonders problematisch ist das geplante «Militanzverbot». Ersichtlich zielt es auf den «Schwarzen Block», die Aktionen von «Ende Gelände» oder Fußballfans ab. Künftig soll es verboten sein, an einer Versammlung auch nur teilzunehmen, wenn diese infolge des äußeren Erscheinungsbilds
- durch das Tragen von Uniformen, Uniformteilen oder uniformähnlichen Kleidungsstücken,
- durch ein paramilitärisches Auftreten oder
- in vergleichbarer Weise
Gewaltbereitschaft vermittelt und dadurch einschüchternd wirkt.
Schon die Begriffe «in vergleichbarer Weise», «vermitteln» und «einschüchternd wirken» sind nur schwer zu bestimmen. Vor allem stellt sich die Frage, ob das Verbot für alle Teilnehmenden einer Versammlung gilt, wenn nur ein Teil in der vorgenannten Weise auftritt.
Ein Verstoß gegen das Militanzverbot soll mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe geahndet werden. Dabei soll es ausreichen, «aggressiv oder provokativ» dazu beizutragen, dass eine Versammlung unter Verstoß gegen §18 Abs.1 VersG-E Gewaltbereitschaft vermittelt und dadurch einschüchternd wirkt. An dieser Stelle lässt der Gesetzesentwurf jegliche Bestimmtheit vermissen. Es ist kaum mehr bestimmbar, wann gegen das Verbot verstoßen bzw. der Straftatbestand erfüllt wird. Es reicht aus, einen schwarzen Pullover und eine Sonnenbrille zu tragen.
Teilnahmeuntersagung und Meldeauflage
Die Polizei darf künftig einer Person die Teilnahme an einer Versammlung unter bestimmten Voraussetzungen untersagen und «soll» dann auch eine Auflage aussprechen, wonach sich die betroffene Person innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens oder zu einem bestimmten Zeitpunkt auf einer Polizeidienststelle einzufinden und sich dort mit einem Personaldokument auszuweisen hat. Die Verwaltungsgerichte hatten derartige Maßnahmen vereinzelt für rechtmäßig erklärt. Teilnahmeuntersagungen stellen einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht, sich zu versammeln, dar.
Veranstalter sollen Versammlungen nicht mehr telefonisch oder mündlich anmelden können, die Anmeldung muss elektronisch oder zur Niederschrift erfolgen. Die Anmeldefrist von 48 Stunden bleibt bestehen, ausgenommen sein sollen aber Samstage, Sonntage und Feiertage. Mal abgesehen davon, dass die Polizei auch am Wochenende arbeiten sollte, erscheint diese verlängerte Anmeldefrist grundsätzlich problematisch. Sie wird damit auf bis zu vier Tage verlängert.
Fazit
Der Gesetzentwurf ist offenbar von dem Ziel getragen, Versammlungen einzuschränken. Die hier aufgeführten Regelungen sind nur ein Ausschnitt, im Detail finden sich weitere problematische Punkte. Der Staat täte besser daran, die Wahrnehmung von Grundrechten zu fördern und es Menschen so einfach wie möglich zu machen, sich zu versammeln. Denn die Versammlungsfreiheit ist in einer Demokratie ein hohes Gut. Sie ermöglicht es, Protest unmittelbar auf die Straße zu tragen.
Vielleicht spekuliert die Landesregierung auch darauf, dass sich die Empörung in Grenzen halten wird, weil Versammlungen in einer Pandemie nicht einfach möglich sind. Diesen Gefallen sollte man ihr nicht tun. Denn es wird eine Zeit kommen, da wird es wieder möglich sein, mit vielen Menschen gemeinsam zu demonstrieren. Dieser Gesetzesentwurf will dies erschweren – das sollten wir nicht zulassen.
27.Januar 2021
Quelle: www.prigge-recht.de/nrw-landesregierung-will-versammlungsfreiheit-massiv-beschraenken/ – mit freundlicher Genehmigung des Autors.