Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2021

Eine ungewöhnliche Trauerfeier für einen ungewöhnlichen Kämpfer
von Violetta Bock

Am 21.Februar fand die internationale Gedenkveranstaltung zu Ehren von Christian Krähling statt. Christian wurde bekannt als Arbeiterführer, Vertrauensleutesprecher und einer der Streikaktivisten der ersten Stunde bei Amazon in Bad Hersfeld. Für viele stand er noch für einiges mehr. Das wurde auf dieser Veranstaltung deutlich.

Über 400 Menschen aus aller Welt nahmen über Zoom und Youtube an dieser Veranstaltung teil: Kolleg:innen, Genoss:innen, Freund:innen, Familie. Ein eher ungewöhnliches Format für eine Trauerfeier.
Doch als Christian an seinem 43.Geburtstag starb (ausgegangen wird von einer natürlichen Todesursache) verbreitete sich die Nachricht über seinen überraschenden und viel zu frühen Tod in Windeseile und weltweit. Zahlreiche Nachrufe sind inzwischen erschienen, die dem bescheidenen und humorvollen, entschlossenen und immer zuversichtlichen Kollegen ein würdiges Andenken setzten. Christian war ein Brückenbauer, Organizer und Internationalist, der mithalf die Amazon Workers International aufzubauen, ein Netzwerk von Amazon-Kolleg:innen von Polen über Frankreich bis in die USA. Sein Alltag war es, sich entlang der Kämpfe zu vernetzen – bei Konferenzen, Workshops, Besuchen und Veranstaltungen mit Menschen, unabhängig von Organisation oder Tradition, solange sie nur an der Seite der Arbeiterklasse stehen.
Ihm und diesem Handeln wollte die Feier ein Andenken setzen, das seine Ansprüche im Leben auch im Gedenken verwirklicht, seine Verdienste würdigt, hilft, gemeinsam Abschied zu nehmen, aber auch ermutigt, den Kampf weiterzuführen. Ein Vorbereitungskreis aus Ver.di-Kolleg:innen, Freund:­innen, der polnischen Arbeiter:innen-Initiative (IP), Amazon Workers International, OKG, DIE LINKE, Rosa-Luxemburg-Stiftung u.a. machte sich ans Werk. Aufgrund der Pandemie war schien eine Trauerfeier in großem Rahmen zunächst nicht möglich, am Ende gelang dies doch. Es mag für eine Gedenkveranstaltung ungewöhnlich sein, aber das Format erlaubte weltweit zusammenzukommen. Mit Hilfe von Özlem Demirel, Europaabgeordnete der LINKEN, konnte eine Simultanübersetzung in sechs Sprachen abgesichert werden. Neben Zoom gab es Livestreams auf Youtube und Facebook in Deutsch, Englisch und Polnisch, so dass jedeR auf seine Art teilnehmen konnte, unabhängig von Sprache und technischem Geschick. 5000 Aufrufe gibt es inzwischen. Die Webseite www.christiankraehling.org soll genutzt werden zur Dokumentation und als Plattform für Vernetzung.
Über zwanzig Beiträge erinnerten an Christian, einige zum Schmunzeln, andere zum Weinen. Gleich als erstes kam eine Geschichte von ihm selbst, bei der er auf witzige Art sein Vorstellungsgespräch bei Amazon beschreibt und wie er «Teil der großen Amazon-Familie wurde». Danach berichteten Kolleg:innen aus sechs Ländern, welche Erinnerungen sie mit ihm verbinden. Andreas, ebenfalls aus Bad Hersfeld und gefragt bei Interviews, erzählte, wie Christian ihn geprägt hat, wie sie zusammen auf Reisen gingen, wie Ideen entstanden, wie er immer wieder andere motivierte und den Blick fürs Ganze suchte, und wie es ist, seinen Weg nun weiter zu gehen. Manuel aus Italien fasste seine Erfahrung mit Christian mit dem Wort Solidarität zusammen. Er war der erste, der auf eine Solidaritätsnachricht antwortete und ihn mit den Amazon Workers International in Kontakt brachte.
Solidarität ist auch, was die polnischen Kollegen mit ihm verbinden, die sonst oft bei Gewerkschaftsvernetzung auf Organisationsebene Marginalisierung erfahren. Als ihnen einmal auf einer Kundgebung das Wort verwehrt werden sollte, „spendete“ Christian kurzerhand seine eigene Redezeit, ohne viel Aufhebens, ganz natürlich, eine kleine Geste voller Kraft.
Im zweiten Teil sprachen Ver­tre­ter:innen von Organisationen: Ver.di, LINKE, tie, OKG, Make Amazon pay – sie beschrieben, welche Bedeutung für sie Christian als Parteigenosse, als Stratege, Revolutionär und als Mensch hatte und was wir alle von ihm lernen können.
Immer wieder kam Christian selbst zu Wort durch Lieder, die er geschrieben und gesungen hat, sei es für die Streikenden in Chicago auf englisch oder auf französisch, sei es sein Lied «I’m just a small worker», «Ihr ändert nicht die Zeiten», «Dream away the bosses» oder «Da muss man sich organisieren». Manche wurden live von seinem Weggefährten Ernesto gespielt. Am Ende das Lied «Abschied» von Grup Yorum. Christian hätte es gefallen.

Das Video kann bei Youtube im Kanal von OKG Organisieren angesehen werden.

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