Die Klassenfrage in der Klimafrage und das Fliegen
von Moritz Binzer
Die globale Flugindustrie ist am Boden. Sie verzeichnet in den stark von Corona betroffenen Ländern Einbrüche bis zu 90 Prozent.
Auch der Anteil von 5,9 Prozent, den die zivile Flugindustrie noch 2018 zum globalen CO2-Ausstoß beigetragen hat, ist auf ein Minimum geschrumpft. Konjunkturprogramme sollen die Fluggesellschaften zu alten Höhen aufsteigen lassen. In diese Gemengelage interveniert nun ein Zusammenschluss aus dem Klimabündnis stay grounded und der britischen Gewerkschaften PCS (Public and Commercial Services Union).
Weltweit wurden den strauchelnden Fluggesellschaften bis August 2020 insgesamt 137 Mrd. Euro an Finanzhilfen zugesagt. In Deutschland hatte die Bundesregierung im vergangenen Jahr bis zu 9 Mrd. Euro locker gemacht, um die Lufthansa vor der Insolvenz zu retten. Das Geld wurde weder an Klimaschutzauflagen geknüpft, noch wurden das Unternehmen verpflichtet, auf weiteren Beschäftigungsabbau zu verzichten. Im Februar wurde jetzt ein weiteres Hilfspaket für die Flugindustrie geschnürt. Mehr als eine Milliarde Euro sollen an die 15 größten Flughäfen in Deutschland fließen.
Ein Alternativvorschlag
Die Autor:innen des Diskussionspapiers «Sichere Landung – ein gerechter Übergang vom Flugverkehr zur klimafreundlichen Mobilität» schlagen eine völlig andere Verwendung von Konjunkturgeldern vor. In ihren Augen soll damit ein sofortiger, gerechter Übergang finanziert werden, der auch einen starken Rückgang von Flügen im Vergleich zum Zustand vor Corona beinhaltet.
An dem Vorschlag mitgewirkt hat die britische Gewerkschaft PCS. Die PCS vertritt ungefähr 200000 Beschäftigte, u.a. das Personal am Flughafen Heathrow, und stellte sich dort gegen den Bau einer dritten Piste. Nur auf den ersten Blick ist das ein Widerspruch, wie sich bei der Lektüre des Diskussionspapiers von PCS und stay grounded herausstellt: «Für einige mag es wohl kurzfristig wünschenswert erscheinen, die Luftfahrtbranche zu retten und diese zu ihrem bisherigen Geschäftsmodell und dem vorgesehenen Wachstumskurs zurückkehren zu lassen. Dies würde jedoch bedeuten, dass man sich auf einen nur noch größeren Absturz später einstellen müsste.»
Einerseits soll es eine soziale Absicherung für die Beschäftigten geben, andererseits sollen bedarfsgerechte Bildungs- und Umschulungsmöglichkeiten in Form von Weiter- oder Ausbildungen finanziert werden. Dabei betonen die Autor:innen die Wichtigkeit guter Bedingungen in den neuen Arbeitsplätzen. Als ein möglicher Bereich, in den sie umgeleitet werden könnten, wird ein klimaschonendes, öffentliches Verkehrswesen benannt.
Fliegen und globaler Reichtum
Ein Erfolg der Bewegung gegen die Klimakrise ist, dass sie den Begriff «Klimagerechtigkeit» in der öffentliche Debatte verankern konnte. Der Blick richtet sich dabei meistens auf das ungleiche Verhältnis zwischen globalem Süden und globalem Norden. Weitaus seltener wird benannt, welche Rolle die Verteilung von Reichtum insgesamt spielt.
Abhilfe schafft hier eine im September 2020 veröffentlichte Studie von Oxfam. Daraus geht hervor, dass die reichsten 10 Prozent (630 Millionen Menschen) für über die Hälfte (52 Prozent) der CO2-Emissionen zwischen 1990 und 2015 verantwortlich sind. Das reichste 1 Prozent ist allein für 15 Prozent, die ärmere Hälfte der Menschheit nur für 7 Prozent verantwortlich.
Beispielhaft benennt die Studie einen Grund: Rund drei Viertel des Energieverbrauchs durch Flüge gehen auf die Kappe der reichsten 10 Prozent. Etwa 80 Prozent der Menschheit haben hingegen noch nie ein Flugzeug von innen gesehen. Während die Nutzung des Transportmittels Flugzeug äußerst ungleich verteilt ist, treffen die Folgen der Klimazerstörung vor allem die ärmsten Bevölkerungsteile.
Grüner Kapitalismus – keine Option
Dieses auf sozialer Ungleichheit basierende Modell hat in den Augen von stay grounded und PCS ausgedient. Die Autor:innen sparen nicht aus, dass es für seine Überwindung eine gesamtgesellschaftliche sozial-ökologische Transformation braucht. Im Strategiepapier wird deutlich benannt, dass es dabei nicht um «grünes Wachstum» gehen kann. Sie beschreiben, wie in den wenigen Ländern, in denen die Konjunkturprogramme an Umweltauflagen geknüpft wurden (z.B. Frankreich und Österreich), vor allem Greenwashing betrieben wurde. Statt den Mythos zu befeuern, es wäre möglich, Wachstum von Ressourcenverbrauch und Emissionen zu entkoppeln, sollte die Flugindustrie nicht wieder auf ihr ursprüngliches Ausmaß hochgepäppelt werden.
Ein wichtiger Bestandteil von der Erzählung der Entkopplung ist die Technikgläubigkeit. Der Öffentlichkeit wird suggeriert, alles könne so bleiben wie es ist, es bräuchte alleine einen technologischen Umbau, um dem Klimawandel zu begegnen. Diese Beruhigungs- und Befriedungsmaßnahme hat keine haltbare Grundlage. So schreiben die AutorInnen, für den Betrieb der weltweiten Flugzeugflotte mit E-Treibstoffen (aus Strom hergestellten synthetischen Kraftstoffe) wäre im Jahr 2017 mehr als der weltweit vorhandene erneuerbare Strom nötig gewesen.
Kräfteverhältnisse verschieben
Es führt also kein Weg am Rückbau der Fluginfrastruktur und der schnellen Schrumpfung des Flugsektors vorbei. Klimagerechtigkeit muss dabei auch bedeuten, dass die Beschäftigten nicht alleine gelassen werden und ihnen eine gangbare Perspektive eröffnet wird. Solange dies nicht der Fall ist, sind die Beschäftigten in den CO2-intensiven Industrien mit dem Dilemma konfrontiert, dass sie ihre soziale Existenz nur um den Preis der sich zuspitzenden Klimakrise absichern können. Um eine andere Perspektive zu eröffnen, braucht es den Aufbau einer Gegenmacht, die in der Lage ist, die Kapitalinteressen zurückzudrängen.
Dass die Kräfteverhältnisse wirklich verschoben werden und die Risse, die Corona in den herrschenden Strukturen hinterlassen hat, genutzt werden können, wie es im Strategiepapier heißt, davon sind wir noch weit entfernt. Die Zusammenarbeit zwischen PCS und den Klimagruppen von stay grounded ist jedoch ein Zeichen, dass es möglich und nötig ist, für eine sozial- und klimagerechte Welt an einem Strang zu ziehen.
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