Wie können die Arbeitsplätze gesichert werden?
oder: Der Kapitalismus kann, bevor er gebrochen wird, auch gebogen werden
von Manfred Dietenberger
Vorläufige Zahlen zum vergangenen ZF-Geschäftsjahr 2020 zeigen, die ZF trotz Krise in der Automobil- und Autozuliefererindustrie mit einem blauen Auge davonzukommen scheint: Der Konzernumsatz erreichte 32,6 Mrd. Euro und lag damit rund eine Milliarde über dem Vorjahreswert (803 Millionen).
Wir erinnern uns: Im ersten Halbjahr, als der erste Lockdown das Geschäft mit Getrieben für Verbrennungsmotoren zusätzlich vermieste, kam es zu einen Umsatzrückgang von rund 27 Prozent. Die «unmittelbar mit Ausbruch der Corona-Pandemie eingeleiteten, umfassenden Maßnahmen zu Kostensenkung und Strukturanpassung» sowie eine deutliche Markterholung (hauptsächlich in China) im zweiten Halbjahr 2020 habe dann zu einer substanziellen Verbesserung von Umsatz und Ergebnis geführt.
Hinter dem Gesundungsprozess verbirgt sich an den deutschen Standorten ein heftiger Personalabbau (rund 2000 Arbeitsplätze) über Abfindungen und Angeboten zur Altersteilzeit, hinzu kommen einige weitere tausend an den ausländischen Standorten vernichtete Arbeitsplätze. Nicht zuletzt dank der in den «Tarifvertrag Transformation» gezwungenen Belegschaft und den damit für sie verbundenen finanziellen Opfer ist ZF bislang gut durch die Krise gekommen.
Die Beschäftigten sollten daher fordern und darum kämpfen, dass ihre zur Rettung des Unternehmens einbehaltenen Löhne und Gehälter jetzt samt sparkassenüblichen Zinsen in einen Belegschaftsanteil an ZF-F umgewandelt und künftig kollektiv ausschließlich von ihnen selbst demokratisch verwaltet werden.
Zwar wendet sich ZF vom Verbrenner ab und der Produktion möglichst rasch marktgängiger Automobile mit hohen Gewinnmargen zu. Es genügt heute aber nicht mehr, wie früher nur das Pferd von der Kutsche abzuspannen und durch einen Ottomotor zu ersetzen. Es ist ein Irrweg, wenn die ZF Produkte, die offensichtlich gesellschaftlich nützlich und ökologisch verträglich sind, fast nicht (ausgenommen den Shuttlebus) oder noch nicht entwickelt und produziert.
Bei allem Modernisierergehabe verharrt ZF in der alten Logik und richtet seine Anstrengungen weiter auf den massiven Ausbau der Individualmotorisierung, statt den Ausbau des ÖPNV und andere innovative, sozial- und umweltfreundliche Produktionsfelder zu erschließen. Eine solche, ausschließlich am Profit orientierte Entwicklung neuer, grünlackierter Produktlinien passt zwar zu der derzeit allerorten aufkeimenden Diskussion eines Green New Deal, eröffnet aber keine zukunftsfähige Perspektive für die Beschäftigten bei ZF-F oder anderswo. Eine solche aber brauchen die Beschäftigten.
Demokratie auch hinter dem Werkstor?!
Es gibt 1001 tolle Produktvorschläge für eine menschen- und umweltgerechte Mobilitätswende. Und es wird vorgerechnet, dass die Arbeitsplätze, die bei einer ökosozialen Mobilitätswende verlorengehen, locker mit der Produktion neuer Mobilitätsvehikel irgendwo und irgendwann nachwachsen. Wer aber in Betrieb und Gesellschaft nichts zu sagen hat, muss nehmen was er kriegt – den Spatz oder die Taube auf dem Dach. Wer beides aber nicht will, muss Wege aufzeigen, was die Beschäftigten – die eigentlichen Produzenten – in die Lage versetzt, in die wirtschaftlichen Prozesse einzugreifen und diese zu gestalten. Soll also die Produktkonversion gelingen, muss die Demokratisierung vor und hinter den Werkstoren mächtig Fahrt aufnehmen.
Aktuell formuliert der DGB diesen Anspruch ansatzweise und gewohnt zaghaft so: «Wir brauchen nicht weniger, sondern deutlich mehr Mitbestimmung!» Der wirtschaftsdemokratische Gedanke ist an sich nicht neu, er beherrschte schon die gewerkschaftliche Diskussion der Gewerkschaftskongresse des Allgemeinen Deutscher Gewerkschaftsbund (ADGB) in Breslau (1925) und Hamburg (1928), nachzulesen in dem vom damaligen Gewerkschaftstheoretiker Fritz Naphtali 1931 herausgegebenen Buch Wirtschaftsdemokratie.
Dieses Konzept bestritt keineswegs, dass eine vollendete Wirtschaftsdemokratie nur durch Sozialisierung, d.h. nach einer Umwälzung der Eigentumsordnung möglich wird. «Aber der Prozess der Demokratisierung, der Kampf um die Einschränkung der autokratischen Wirtschaftsführung, vollzieht sich gleichzeitig, zum Teil sogar dem Prozess der Veränderung der Eigentumsordnung vorangehend», schreibt Naphtali. Denn der Kapitalismus kann, «bevor er gebrochen wird, auch gebogen werden». «Es ist möglich geworden, die kapitalistische Despotie einzuschränken und ein gewisses Maß der Freiheit auch in den wirtschaftlichen Beziehungen durchzusetzen. Es muss also so viel wie möglich schon jetzt geändert und durchgesetzt werden. Es widerspricht nicht, es entspricht vielmehr vollkommen den Aufgaben des Kampfes um die Zukunft, wenn man so viel wie möglich von dieser Zukunft zur Wirklichkeit macht.»
Die Mehrheit im Aufsichtsrat kippen
Wirtschaftsdemokratie war und ist auch keine Abkürzung auf dem Weg zu einer ökosozialistischen, nicht am Profit orientierten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, sie ist vielmehr deren existenzieller Bestandteil. Die Beschäftigten bei ZF-F müssen um eine wirkliche Produktkonversion der unterschiedlichsten Verkehrsträger kämpften, die es ermöglicht, den individuellen Autoverkehr in den Ballungszentren auf ein Mindestmaß zu beschränken und den Übergang vom bisherigen Konkurrenzmodell zu einem Kooperationsmodell aller Verkehrsträger zu schaffen. Wesentliche Teile der Automobilproduktion durch ÖPNV-Fahrzeuge wie Busse, Straßen- oder U-Bahnen zu ersetzen, ist jedoch leider noch nicht die Lösung für die Sicherung der Arbeitsplätze, da dieses Produktspektrum wegen der Langlebigkeit und der geringen Stückzahlen nur einen Bruchteil der bisherigen Autoproduktion ausmacht.
Deshalb greift ein nur auf den «eigenen» Konzern fokussierter Kampf zu kurz. Steuergelder müssen z.B. statt in die Rüstung in die Schiene, statt in den Autobahnausbau in den Öffentlichen Personennahverkehr fließen. Dazu ist aber notwendig, dass die Kolleg:innen von ZF-F ihre eigenen betrieblichen Interessen gemeinsam mit ihren Kolleg:innen im Fahrzeugbau, im ÖPNV usw. bündeln und sich auch mit regionalen, gewerkschaftlichen, ökologischen und sozialen Bewegungen und anderen kommunalen Initiativen vor Ort und in der Region zusammenschließen, um den notwendigen Druck auf die Politik auszuüben.
Immer wieder habe ich in dieser SoZ-Serie betont, dass ZF-F ein besonders geeigneter Ort für eine Wende zu einer ökosozial orientierten Produktion ist. Daran halte ich fest, nicht zuletzt auf Grund der einmaligen Eigentümerstruktur. Der Belegschaft der ZF-F aber muss es gelingen, die von ihnen demokratisch in den Betriebsrat und Aufsichtsrat gewählten Vertreter auf eine kämpferische Interessenvertretung zu verpflichten.
Wenn die Belegschaft dann noch den Eigentümer – sprich die Zeppelin Stiftung, vertreten durch den OB von Friedrichshafen – zwingen kann, auf Grund ihres ZF-F-Belegschaftsanteils einem der Ihren einen Sitz auf der Kapitalseite des Aufsichtsrats abzugeben, wäre das ein Dammbruch. Denn gelingt dies, sind künftig bei allen wichtigen betrieblichen Entscheidungen Mehrheiten nur mit, nicht mehr gegen die Beschäftigtenvertretern zu bilden. Dies könnte sogar helfen, die eng gezogenen Grenzen betrieblicher Mitbestimmung zu überwinden (siehe die Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach Sicherung der Mehrheit für die Eigentümer).
Das ist nur im Kampf zu haben. Nehmen die Kolleg:innen ihn auf, ist er auch zu gewinnen. Ansonsten verkommt der mutige Versuch zum Taschenspielertrick.
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