Besonderheiten der Kassler Kommunalwahlen
von Axel Garbelmann*
Bei den Kommunalwahlen am 14.März in Kassel zog DIE LINKE mit knapp über 11 Prozent in die Stadtverordnetenversammlung ein – und in 8 von 23 Ortsbeiräten. Bei der letzten Kommunalwahl 2016 kam sie auf genau einen Ortsbeirat. Was ist passiert?
Statt sich nur auf die Stadtverordnetenversammlung als Lokalparlament zu beziehen und sich den Einzug dort als Ziel zu setzen, begannen Parteimitglieder und besonders auch Nichtparteimitglieder, sich in ihren Stadtteilen und Vierteln zu organisieren und Wahllisten aufzustellen.
Hintergrund war nicht zuletzt das formulierte Bedürfnis und Ziel, besonders an der Basis und in den Bewegungen aktiv zu sein, was auch an den Protagonist:innen lag: Viele derer, die an der Aufstellung der Stadtteillisten aktiv beteiligt waren, sind schon länger in der Klimabewegung, bei der Seebrücke oder in der Geflüchtetenhilfe, in Bewegungen gegen Gentrifizierung und anderen aktiv. Andere waren neu dazugekommen, nur wenige waren vorher in Parteigremien oder parlamentarischer Arbeit erfahren oder fühlten sich von ihr auch nur angezogen. Diese Aktiven interessiert die Arbeit für und mit den Menschen direkt vor Ort.
Was im März 2020 erst als Idee und dann als langsames Organizing in ein oder zwei Vierteln begann – stark gehemmt durch den unberechenbaren Achterbahn-Lockdown, der seitdem das Leben bestimmt – führte zur Aufstellung von insgesamt acht Wahllisten im ganzen Stadtgebiet, die jetzt alle in die jeweiligen Ortsbeiräte einziehen werden.
Ortsbeiräte mit Brückenfunktion
Ein Ortsbeirat ist die kleinste politische Einheit überhaupt und nach der hessischen Gemeindeordnung nicht einmal entscheidungsberechtigt. Es ist ein rein beratendes Gremium. Wozu sollte sich jemand da hineinwählen lassen, wenn es dort doch noch nicht einmal etwas zu entscheiden gibt?
Für viele Aktive ist der Gedanke handlungsleitend, dass richtige Demokratie vor Ort und von Angesicht zu Angesicht stattfinden muss.
Ein Mandat durch eine Wahl zu haben, ermöglicht es, eben diese Politik von Angesicht zu Angesicht zu nutzen, z.B. um statt der politischen Macht eine informelle Macht aufzubauen, Menschen vor Ort zu organisieren und ein Kommunikationsverteiler zwischen der Fraktion im Rathaus und den Menschen vor Ort zu sein.
Diese Position verringert den Abstand zwischen Bürger:innen und Kommunalpolitik, ermöglicht aktive Basisarbeit vor Ort, Kontakt zu den Menschen im Viertel, die Organisation von Veranstaltungen und Hilfe.
So kann auch dem Dilemma vieler Linker in den kommunalen Parlamenten begegnet werden, nicht genau zu wissen, was in den einzelnen Stadtteilen passiert.
Viele der Listen, die für den Ortsbeirat angetreten sind, haben sich das Prinzip der Sichtbarkeit und Transparenz zu eigen gemacht, sie verstehen sich als Bürger:innen, die selbst betroffen sind.
Auch, wenn die Ideen der munizipalistischen Bewegungen Südeuropas oder der Ansatz kommunalistischer Demokratie auf die Umstände in Deutschland nicht übertragbar zu sein scheinen, zieht diese neue politische Praxis einige Inspiration aus ihnen: Die Idee, dass Demokratie von unten nach oben zu funktionieren hat und Menschen ihre Angelegenheiten am besten selbst regeln.
In Kassel hat dies zu Wahlerfolgen geführt. Was daraus wird, wird die Zeit zeigen. Aber Politik über Basisgruppen, direkt in den Vierteln und Nachbarschaften, ist ein Ansatz, der vermutlich überall funktionieren wird. Es wäre eine neue, linke Form von Basispolitik.
*Der Autor ist Aktivist der Seebrücke, Sozialarbeiter und Künstler aus Kassel. Er ist Mitglied der Bewegungslinken, Initiator der Ortsbeiratsbewegung, neuer Ortsbeirat im vorderen Westen und ein politischer Redner.
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