An den Rand notiert
von Rolf Euler
Der fast «unglaubliche» Vorgang, dass die Caritas der katholischen Kirche einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag für Pflegeberufe verhindert hat, verdient einige Aufmerksamkeit.
Die Lage auf dem Pflegesektor ist – unabhängig von der Pandemie – kompliziert genug, seit sich Privatanbieter auf dem eigentlich öffentlichen Feld der «Wohlfahrtspflege» tummeln. Aber auch die unter kirchlicher Trägerschaft tätigen Organisationen der sog. «freien Wohlfahrtspflege», Diakonie und Caritas, sind im Auftrag der staatlichen Vorsorge- und Gewährleistungspflicht tätig und seit Einführung der Pflegeversicherung in Konkurrenz zu gewinnorientierten Privatunternehmen. Diese willkürlich geschaffene Konkurrenz hat zu einem «Pflegemarkt» geführt, der vor allem auf dem Rücken der Beschäftigten über Gehälter und Arbeitsbedingungen ausgetragen wird – wie sich im letzten Jahr besonders deutlich zeigte.
Auf der anderen Seite steht im wesentlichen die Gewerkschaft Ver.di, die die Interessen der Beschäftigten – in weit überwiegender Zahl Frauen – vertritt und seit Jahren einen verpflichtenden Tarifvertrag für die Branche fordert. Die kirchlich gesteuerten Pflegeverbände Caritas (katholisch) und Diakonie (evangelisch) unterliegen nämlich aufgrund ihrer Eigenschaft als «Tendenzbetriebe» nicht den Regeln des Betriebsverfassungsgesetzes. Sie beziehen nach ihrer Auffassung ihre soziale Verpflichtung aus ihrer Theologie und können daher einen kirchlichen Sonderweg im kollektiven Arbeitsrecht (den «dritten Weg») in Anspruch nehmen, der eine völlig aus der Zeit gefallene Sonderstellung ermöglicht.
Ver.di hatte Anfang dieses Jahres mit dem Arbeitgeberverband BVAP, der hauptsächlich die Gruppe Arbeiterwohlfahrt (AWO), Volkssolidarität und Arbeitersamariterbund (ASB) vertritt, bereits einen Tarifvertrag ausgehandelt, die anderen Arbeitgeberverbände, die hauptsächlich private Pflegeunternehmen vertreten, lehnten ihn jedoch ab. Der Vertrag enthielt erhebliche Steigerungen des Mindestlohns. Der Versuch, ihn verbindlich zu machen, scheiterte. Die für Tariffragen zuständige, paritätisch besetzte Bundeskommission der Arbeitsrechtlichen Kommission lehnte am 25.2. den Antrag von Ver.di und des BVAP, den Tarifvertrag Altenpflege allgemeinverbindlich zu machen, ab. Die Caritas begründete dies damit, er würde ihre gegenüber dem Mindestlohn höheren Entgelte gefährden – ein völlig absurdes Argument, das konsequenterweise nur heißt, der Konkurrenz die Unterbietung zu ermöglichen.
Es scheint, als wolle die katholische Kirche ihren Ruf als der «Caritas» (Nächstenliebe und Wohltätigkeit) verpflichtet weiter ruinieren. Der Ruf der Kirche wäre nicht das Problem – die Wirkung für die Beschäftigten in der Pflege ist es. Ihre Situation wird nur schlimmer und die Enttäuschung über die «Scheinheiligkeit» der kirchlichen Träger wird auch auf die zu Pflegenden und die Lage in den Einrichtungen durchschlagen. Die Zeiten, dass Pflegekräfte für «Gotteslohn» zu arbeiten hatten, sind vorbei. Man kann den Protesten innerhalb der katholischen Kirche und in der Öffentlichkeit gegen diesen Schritt nur viel Erfolg wünschen.
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