Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2021

…aber nicht durch den Verfassungsschutz!
von Ulla Jelpke

Der Verfassungsschutz will jetzt die AfD beobachten, weil sie offen extremistische Züge trage. Haben die das also auch schon festgestellt… Das Kölner Verwaltungsgericht indes hat die Beobachtung wenige Tage nach ihrer Verkündung einstweilen kassiert. Posse oder Politik?

Okay, Häme ist fehl am Platz. Immerhin handelt es sich beim Verfassungsschutz um einen Verein, der von Nazis aufgebaut wurde. Um einen Verein, der über Jahrzehnte hinweg rechte Schläger als bezahlte V-Leute angeheuert hat. Um einen Verein, dessen letzter Chef «rechtsoffen» ist, wie man heute sagt. Da wird man sicher Verständnis dafür aufbringen müssen, dass es etwas länger dauert, bis er einen anderen rechten Verein als «extremistisch» einstuft.
In den bürgerlichen Medien gab es jedenfalls großes Bohei. Die wehrhafte Demokratie zeigt endlich wieder ihre Zähne, war dort der Tenor.
Aus linker, antifaschistischer Sicht gibt es allerdings nichts zu feiern, eher im Gegenteil: Die Beobachtung der AfD kann sich durchaus als Beginn einer neuen bzw. erweiterten Beobachtung auch von Linken erweisen.
Laut Medienberichten hat der Verfassungsschutz ein 1100seitiges Dossier erstellt, um den rassistischen, demokratieverächtlichen Charakter der AfD zu beweisen. Das Dossier besteht ausschließlich aus einer Auswertung offener Quellen, in aller Regel Reden, Pressemitteilungen, Interviews von AfD-Funktionären. Der Verfassungsschutz hat damit bewiesen, dass er lesen kann. Nur: Eine solche Fleißarbeit ist zwar nötig und anerkennenswert, aber einen Geheimdienst braucht man dazu wirklich nicht.
Ja, wir brauchen eine Instanz, die neofaschistische, menschenverachtende Aktivitäten dokumentiert und dafür mit ausreichenden Ressourcen ausgestattet wird. Nein, diese Instanz muss und soll kein Geheimdienst sein. Das 1100-Seiten-Werk könnte der Demokratie tatsächlich gute Dienste erweisen, wenn es denn öffentlich wäre. Es ist aber nicht öffentlich, weil es eben von einem Geheimdienst kommt. Dass es gezielt an Medien durchgestochen wird (nicht aber an den Bundestag), beweist nur den intransparenten, antidemokratischen Charakter des Apparats. Die Einstufung der AfD als Verdachtsfall gibt dem Geheimdienst die Befugnis, Telefone anzuzapfen, V-Leute anzuheuern usw. Doch vom Staat bezahlte Neonazis, die im Verborgenen agieren und im Zweifelsfall vor Strafverfolgung geschützt werden – das hatten wir schon, mit den bekannten Schäden, siehe NSU-Morde, siehe NPD-Verbotsverfahren.
Einige Anhänger der AfD mag die Beobachtung jetzt disziplinieren, einige auch regelrecht abschrecken. Offenbar befeuert die Einstufung auch die internen Machtkämpfe in der AfD. Eine positive Folge der Einstufung wird vermutlich auch darin liegen, dass Überlegungen in der Union, mit der AfD Koalitionen einzugehen, erstmal auf Eis gelegt werden. Das sind, aus linker Sicht, im wesentlichen kurzfristige, taktische Vorteile, welche die längerfristigen strategischen Nachteile nicht ausgleichen können.
Doch die Beobachtung im Wahljahr verstärkt mit Sicherheit auch den Eindruck ihrer Anhänger, dass die «Altparteien» den Geheimdienst nutzen, um eine konkurrierende Partei klein zu halten. Und da ist ja durchaus was dran, denn, weiterer Warnhinweis: DIE LINKE hat ja auch ihre Erfahrungen als Beobachtungsgegenstand, einzelne Strömungen bis heute. Die Beobachtung sowohl von Linken als auch Rechten bzw. laut offiziellem Jargon: linken und rechten «Extremisten», ist Kernstück der Extremismustheorie, auch als «Hufeisenmodell» bekannt, dem es im Kern darum geht, Bestrebungen für eine sozialistische Vision von Freiheit und Gleichheit mit neofaschistischen Vorstellungen einer rassistischen und sozialdarwinistischen Diktatur gleichzusetzen und dadurch zu diskreditieren. Am Ende ist die bürgerlich-kapitalistische Herrschaft als alternativlos gesetzt.
Insofern ist die Beobachtung der AfD kein Beitrag zum Antifaschismus, sondern stärkt die geheim(dienstlich) operierende Staatsgewalt – auch gegen Linke.

Print Friendly, PDF & Email
Teile diesen Beitrag:
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.