Herausforderungen nach dem Bundesparteitag
von Thomas Goes
DIE LINKE hat am 27.März mit Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow zwei neue Vorsitzende und einen neuen Parteivorstand gewählt. Zum Teil hat die Partei ein neues Gesicht gezeigt. Eine neue Generation bringt die alte Strömungsarchitektur durcheinander.
DIE LINKE beginnt eine neue Phase. Nicht, weil neue Parteivorsitzende gewählt wurden, die nach Jahren des internen Streits für frischen Wind sorgen. Diese Wahl war wichtig. Entscheidend ist aber etwas anderes. Der Parteitag hat das Gesicht einer neuen, jüngeren Partei gezeigt. Für diese sind die alten politischen Traditionen, getragen von Mitgliedern, die in den 1970ern und 1980ern politisch groß wurden, von geringerer Bedeutung.
Diese neue Generation hat sich in den Bewegungen gegen die extreme Rechte (von Pegida bis AfD), in den Mieten- und Pflegekampagnen der LINKEN und in der Klimagerechtigkeitsbewegung herausgebildet. Nicht wenige haben Erfahrungen in gewerkschaftlicher Solidaritätsarbeit gesammelt, etliche arbeiten als junge hauptamtliche Gewerkschaftssekretär:innen. Und ja: Viele haben eher Abitur gemacht als eine Haupt- oder Realschule besucht, nicht wenige studiert.
Die Strömungen
Die Strömungsarchitektur innerhalb der Partei hat sich deutlich verändert. Die in Westdeutschland lange starke Sozialistische Linke verliert enorm an Bedeutung. Insbesondere, weil einige ihrer besonders sichtbaren Vertreter:innen sie zum Kristallisationskern des Widerstands gegen die Erneuerung der LINKEN gemacht haben, die seit 2012 auf den Weg gebracht wurde – hin zu einer kampagnenfähigen und organisierenden Linken, einer lebendigen und erlebbaren Mitgliederpartei, die zugleich zu allen zentralen gesellschaftlichen Fragen eine Agenda entwickelt.
Während im 44köpfigen neuen Parteivorstand keine Mitglieder der Sozialistischen Linken vertreten sind, wurden 20 Kandidat:innen gewählt, die von der sog. «Bewegungslinken» unterstützt wurden. Die Bewegungslinke hat sich im Streit um die Erneuerung der Partei herausgebildet. Sie hat neue Wege der Parteiarbeit, die von Katja Kipping und insbesondere Bernd Riexinger beschritten wurden, am klarsten unterstützt und verteidigt.
Das Bemerkenswerte an diesem Parteitag sind deshalb auch nicht die zwanzig Angehörigen des Parteivorstands, die von dieser Strömung unterstützt wurden. Es ist der Umstand, dass deutlich wurde, wie dieser Erneuerungskurs Früchte getragen hat. Es wäre allerdings völlig verkürzt, das für einen «Linksrutsch» zu halten. Denn auch das Spektrum der sog. Reformer:innen, die in besonderem Maße auf Regierungsbeteiligungen setzen, kann zufrieden auf den Parteitag zurückblicken. Reformer:innen sind gut im Parteivorstand vertreten, diese Richtung hat sich insofern in der Partei konsolidiert.
Herausforderungen und Chancen
DIE LINKE steht damit vor einer Reihe von Herausforderungen, die sie bewältigen muss, und Chancen, die sie nutzen kann.
Eine Herausforderung ersten Ranges wird in den nächsten Monaten und Jahren sein, ein politisches Projekt und eine verbindende politische Kultur zu entwickeln, die das Gemeinsame der Mitglieder aus den verschiedenen sozialen Schichten und der politischen Kräfte, die sich in der LINKEN organisieren, stark machen. Appelle an die Einheit, so wichtig die auch sind, werden nicht genügen.
Neu auf die Tagesordnung gesetzt wird nun auch die alte Frage, wie DIE LINKE ihre Forderungen umsetzen kann. Mit Susanne Hennig-Wellsow wurde immerhin eine Vorsitzende gewählt, die offensiv den Anspruch vorträgt, DIE LINKE in eine Koalitionsregierung mit den Grünen und die SPD zu führen. Dass die Linke in Deutschland auch eine linke Regierung anstreben sollte, ist richtig. Strittig wird allerdings sein – alles andere als eine Kleinigkeit –, was das genau bedeutet und was geschehen muss, damit DIE LINKE «regierungsfähig» wird.
Die Parteilinke wäre gut beraten, nicht ein einfaches Nein dagegen zu setzen und sich defensiv auf rote Haltelinien zurückzuziehen. Sie sollte an der Fähigkeit der Partei arbeiten, auch aus einer rebellischen Regierung heraus Macht auszuüben. Dazu gehört es zu allererst, gesellschaftliche Konflikte (mit)organisieren und in fortschrittliche Reformen übersetzen zu können – in harten Auseinandersetzungen mit Teilen der Verwaltung, rechten sozialen Bewegungen, dem rechten Lager und Teilen des Bürgertums und der Mittelklasse.
Welche Reformalternativen müsste die Partei verfolgen? Wie wird DIE LINKE konfliktfähig, um die Stürme zu bestehen, die eine ambitionierte Reformpolitik auslösen würde? Wie soll unser politisches Projekt aussehen, das mehr ist als die Summe einiger Reformen, sondern den Menschen zeigt, wohin wir das Land kurz- und mittelfristig entwickeln wollen? Wie bauen wir in den nächsten Jahren echte politische Bündnisse auf, die eine solches Entwicklungsmodell für ein solidarischeres und demokratischeres Deutschland wirklich tragen und durchsetzen können? Und nicht zuletzt: Wie kommen wir durch ein solches Projekt dem Sozialismus, den wir alle wollen, näher, wie machen wir ihn wahrscheinlicher?
Grundvoraussetzung dafür ist der Aufbau gesellschaftlicher Macht – aber auch von Organisationsmacht der Partei selbst. Insofern wird es wichtig sein, DIE LINKE stärker als lebendige Partei vor Ort aufzubauen, die zu sozialen Themen organisiert und in kommunalen Parlamenten sichtbar ist, um Initiativen und Bewegungen zu unterstützen und konkrete Alternativen im «lokalen Staat» greifbar zu machen.
Die ernüchternden Wahlergebnisse der letzten Landtagswahlen in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz zeigen, dass hier noch viel zu tun ist. Solide Ergebnisse in einzelnen Städten (das gilt auch für die jüngste Kommunalwahl in Hessen) deuten aber auch an, dass es ein vielversprechendes Potenzial gibt.
Drei Felder der Aktion
Zugleich muss DIE LINKE praktische Antworten auf drei zentrale politische Umbrüche geben:
Erstens hat die Bundesregierung zur Bewältigung der wirtschaftlichen und gesundheitlichen Seiten der Coronakrise viel Geld für Wirtschaftshilfen und ein wenig für die sozialpolitische Abfederung ausgegeben, etwa durch das Kurzarbeitergeld. Der Preis der Coronakrisenpolitik wird aber gezahlt werden müssen. Mit Prognosen blamiert man sich leicht, aber eine Umverteilungspolitik von oben nach unten wird wohl nicht auf der Agenda der nächsten Regierungskoalition stehen. Wir werden vermutlich im nächsten Jahr Abwehr- und Verteilungskämpfe führen müssen.
Zweitens läuft bereits heute der sozialökologische Umbau – und er wird zunehmen. Er wird in den Betrieben begleitet von einer neuen Rationalisierungswelle, die Arbeit und Leben verändern wird (Digitalisierung). Vor uns liegt damit keine Periode der Stabilität, sondern der Umbrüche. Der sozialökologische Umbau wird von oben gestaltet, wenn die gesellschaftliche Linke und insbesondere DIE LINKE nicht eingreift. Was muss getan werden, damit die Interessen von Arbeiter:innen, Angestellten und Erwerbslosen im Mittelpunkt stehen, nicht die von Unternehmen und Finanzrentiers? Ausgehend von vorliegenden Vorschlägen, etwa denen eines linken grünen Umbaus (Riexinger), wären praktische Antworten in intensiver Diskussion mit Betriebs- und Personalräten, mit Gewerkschafter:innen und Aktiven der Umwelt- und Klimagerechtigkeitsbewegung zu finden.
Drittens ist die sich radikalisierende Rechte in diesem Land nicht geschlagen, auch wenn die AfD zuletzt im Abwind gewesen ist. Die Gefahr zeigt sich in ihrer stabilen Entwicklung in Ostdeutschland, gerade hier ist sie am ehesten faschistisch. Die Krisenerscheinungen der AfD sollten uns nicht täuschen, auch weil das gesellschaftliche Gift, das sie nährt (soziale Unsicherheit, Vertrauensverlust in die etablierten Parteien, vorhandene rassistische und autoritäre Einstellungen), noch da ist und sich in Krisenphasen leicht weiter ausbreiten kann.
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