Fast ein Global Player im Ölgeschäft
von Ingo Schmidt*
Wenn es um Öl geht, stehen der Mittlere Osten, die USA, vielleicht Russland oder noch Venezuela, Libyen und Nigeria im Mittelpunkt des Interesses. Fast immer vergessen wird Kanada, genauer gesagt die Provinz Alberta, auf deren Territorium rund zehn Prozent der weltweit bekannten Ölreserven lagern.
Im Länder-Ranking liegt Kanada auf Platz 3 hinter Venezuela und Saudi-Arabien. Die USA bringen es in einigen Schätzungen auf Platz 10, in anderen liegen sie weiter hinten. In Sachen Ölreserven hat Kanada als einziges westliches Land das Zeug zum Global Player – sofern das Öl aus dem abgelegenen Alberta abtransportiert werden kann und dann noch Käufer findet. Kanadas Energiepolitik konzentriert sich daher vor allem auf den Bau von Pipelines.
Öl in Alberta: Reichlich aber dreckig und teuer
Die Ölprovinz Alberta ringt mit Konflikten um Landrechte und Umweltzerstörung. Zudem bereitet die ungewisse Zukunft des Ölmarkts – insbesondere für Teeröl – Kopfzerbrechen.
Albertas Ölreserven fallen fast vollständig in die Kategorie unkonventionell. Die Ölfelder im Süden der Provinz, wo das Öl direkt abgepumpt werden kann, sind weitgehend erschöpft. Die Vorkommen im Norden bestehen aus einem mit Sand vermischen Teer. Es braucht viel Energie und Frischwasser, um den Teer vom Sand zu trennen und daraus wiederum Rohöl zu gewinnen. Zwei zusätzliche Arbeitsschritte sind nötig, bevor das Teeröl raffiniert werden kann. Daher die geringe Effizienz und der überdurchschnittliche Naturverbrauch.
Bei konventionellem Öl lassen sich durch den Einsatz einer Einheit Energie im Durchschnitt 25 Einheiten gewinnen. Bei Teeröl sind es bestenfalls drei. Dafür liegt der Ausstoß an Treibhausgasen pro geförderter Energieeinheit bis zu 20 Prozent höher als bei der Förderung konventionellen Öls. Das Wasser für die Trennung von Sand und Teer und für die Weiterverarbeitung des Teers zu Rohöl ist auf hunderte von Jahren hinaus vergiftet. Für Wasservögel sind die Becken, in denen giftiges und klebriges Abwasser aufgefangen wird, eine tödliche Falle.
Gut zwei Drittel des Teeröls werden im Tagebau gefördert. Dabei werden große Flächen borealen Waldes zerstört, die zuvor einer Vielzahl von Tieren Lebensraum boten und CO2 gebunden haben. Klar, Wald, Wasser und Piepmätze gelten echten Geschäftsleuten als romantische Spinnerei. Der Klimawandel bleibt abstrakt, bis er ihre Kostenberechnungen berührt. Höhere Kosten, die theoretisch zum schonenderen Umgang mit knappen Ressourcen anregen sollen, sind bislang eine ökonomische Marginalie. Trotzdem ließ es sich Albertas konservativer Regierungschef Kenney nicht nehmen, die von Ottawa angeordnete Einführung einer Ökosteuer im einstelligen Cent-pro-Liter-Bereich als systemgefährdenden Angriff auf die selbstregulierenden Kräfte des Marktes zu verdammen. Dahinter stecken politisches Kalkül und ökonomische Notwendigkeit.
Politik nach dem Öl-Boom
Zwar dreht sich in Alberta alles ums Öl, aber die Geschäfte laufen nicht mehr so richtig. Deswegen ist auch der Glaube an den Ölwohlstand erschüttert.
Albertas Ölwirtschaft war auch in der Vergangenheit mitunter von heftigem Auf und Ab gekennzeichnet. In Zeiten der Flaute, insbesondere nach dem Absturz der Ölpreise Anfang der 1980er Jahre, reichte lautes Schimpfen auf die föderale Regierung zur Wiederwahl. 44 Jahre lang wurde Alberta von Konservativen regiert. 2015, ein Jahr nach dem Ende des letzten Öl-Booms, gewann die Sozialdemokratin Notley die Wahl zur Ministerpräsidentin. Zwar hat sie ihr Amt 2019 wieder verloren, eine Wiederwahl 2023 ist aber nicht ausgeschlossen. Nicht, dass sie eine Alternative für die ökonomische Zukunft der Provinz vorzuweisen hätte. Aber immerhin leugnet sie im Gegensatz zu Kenney nicht, dass Albertas Teeröl ökologische Probleme verursacht und ökonomisch keine große Zukunft hat. Egal wie groß die vorhandenen Reserven sind.
Zu Beginn des letzten Öl-Booms Ende der 1990er Jahre gab es wenig Alternativen. Das ist heute anders. Öl ist zwar immer noch mit Abstand die wichtigste Energiequelle der Weltwirtschaft. Aber mit jedem Dollar, um den der Ölpreis steigt, wird irgendwo ein Windrad oder eine Solarzelle rentabel. Die Förderung konventionellen Öls ist davon kaum betroffen. Solange der Vorrat reicht, sind die Förderkosten niedrig. Bei unkonventionellem Öl – Teeröl und Ölschiefer – ist das anders. Sind die gegenwärtigen und für die Zukunft erwarteten Preise niedrig, wird nicht investiert. Sind die Preise hoch, lohnen sich zwar die Investitionen in die Ölförderung, solche in nicht-fossile Energien tun dies jedoch auch.
Je nach geologischen Bedingungen und den daran angepassten Fördertechnologien liegt die Gewinnschwelle in Alberta gegenwärtig bei einem Ölpreis von 60 bis 70 US-Dollar. Seit dem Ende des Öl-Booms 2014 schwanken die Preise zwischen 40 und 80 Dollar. Zu Beginn der Corona-Rezession lagen sie noch weit darunter. Bei diesen Preisen ist die Rentabilität neuer Projekte höchst unsicher. Daran ändern auch Steuersenkungen und die Stundung ausstehender Steuerschulden nichts, mit denen Kenney der Ölindustrie seit Beginn seiner Amtszeit unter die Arme gegriffen hat.
Der Anteil der Energieförderung an der gesamten Wertschöpfung ging von 35 Prozent 2008, als die Große Rezession begann, auf 23 Prozent 2019 zurück. Danach ist die Produktion wieder gestiegen, Erlöse und Investitionen sind jedoch nicht mehr das, was sie mal waren.
Der lange Weg zum Weltmarkt
Gut drei Viertel des in Alberta produzierten Öls werden fast ausschließlich in die USA exportiert, das ist fast die Hälfte aller US-Ölimporte, deren Gesamtvolumen allerdings seit 2005 sinkt. Infolge des Ölschiefer-Booms sind die USA in den 2010er Jahren wieder fast vollständig zu Selbstversorgern geworden – erstmals seit den frühen 1970er Jahren. Aufgrund ihrer begrenzter Reserven wird das nicht lange so bleiben. Da die Ölindustrie in Alberta nicht so lange warten kann, ohne pleite zu gehen, sucht sie Abnehmer außerhalb von Nordamerika. Dazu braucht es neue Pipelines, der Transport per Bahn ist zu langsam, teuer und umständlich.
Ob Pipelines jedoch ausreichen, um Albertas Öl wettbewerbsfähig zu machen, ist unter Ökonomen umstritten, auch bei solchen, denen die Auswirkungen der Teerölproduktion auf die Umwelt egal sind. Mit einem gerüttelten Maß Verzweiflung – man hat ja schon so viel Geld ins Teeröl gesteckt! – drängt die Industrie daher auf den Ausbau der Pipeline-Kapazitäten. 2005 brachte sie Keystone XL auf den Weg. Mit der Endstation Houston am Golf von Mexiko hätte diese Pipeline außer dem US-Markt auch Zugang zu Abnehmern in Übersee eröffnet. Vor der Fertigstellung entzog der damalige US-Präsident Obama dem Projekt die Genehmigung, Trump erteilte diese wiederum – Biden hat das aber schon bei seinem Amtsantritt wieder kassiert. Einen Weltmarktzugang durch das Land des größten Abnehmers und Konkurrenten zu suchen, hat sich also bereits als höchst unsicher erwiesen. Doch auch der Transport durchs eigene Land hat seine Tücken.
Der 2013 angestoßene Bau der Energie East Pipeline, die über St.John, New Brunswick, den Weitertransport nach Europa ermöglichen sollte, wurde 2017 eingestellt. Eine neue Pipeline durch die bevölkerungsreichen Provinzen Ontario und Québec ließ sich politisch nicht durchsetzen. Nicht dass alle Pipeline-Gegner dort überzeugte Umweltschützer wären. Aber in der eigenen Nachbarschaft wollte man eine möglicherweise irgendwann leckende Pipeline doch nicht haben.
Bleibt Trans Mountain, die seit 2013 geplante und derzeit im Bau befindliche Verdreifachung der Transportkapazitäten von Alberta nach Vancouver. Von dort sollen zunehmende Mengen Öl nach Asien verschifft werden. Bevölkerungsreich und Schauplatz häufiger Proteste ist in diesem Fall nur die Endstation Vancouver. Ansonsten führt die Route, ebenso wie die einstmals geplanten Strecken von Keystone XL und Energy East durch dünn besiedelte Gebiete.
First Nations und Landrechte
Dünn besiedelt heißt nicht unbewohnt, auch wenn es zu den Mythen des Siedlerkolonialismus gehört, in Besitz genommenes Land als menschenleer anzusehen. Die Vertreibung von Ureinwohnern aus Gegenden, auf die Siedler einen Anspruch erheben, setzt sich bis heute fort. Im Frühjahr räumte die Bundespolizei ein Protestcamp der Wet’suwet’en Nation in British Columbia, um den Bau einer Flüssiggas-Pipeline durchzusetzen. Auch dem Abbau des Teeröls mussten viele First Nations weichen.
Bei der Transmountain Pipeline umwirbt die föderale Regierung die First Nations entlang der Strecke als Investoren. Sie hatte die bestehende Pipeline 2018 von der privaten Firma Kinder Morgan gekauft, deren Anteilseigner offenbar froh waren, das unsichere Projekt los zu sein. Tags darauf schoss der Aktienkurs in die Höhe. Neueigentümer und Premierminister Trudeau erklärte, die künftigen Gewinne aus dem Betrieb der Pipeline würden zur Finanzierung eines klimagerechten Umbaus der kanadischen Wirtschaft dienen.
Im Namen der Versöhnung von Siedlern und First Nations betreibt er nun den Weiterverkauf der Pipeline an First-Nations-Vereinigungen, die sich Teilhabe am Ölreichtum versprechen. Angesichts der mehr als ungewissen Zukunft von Albertas Ölindustrie dürften sie bald ebenso enttäuscht sein wie die Siedler, die sich seit Ende des Öl-Booms vor ein paar Jahren um ihren Anteil betrogen fühlen.
*Ingo Schmidt lebt in Hope, einer Stadt in der Provinz British Columbia, deren größte Stadt Vancouver ist.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.