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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2021

Wie Subventionen für die Fleischbranche den Klimawandel mitfinanzieren
von Tina Reß

Jahr für Jahr fließen mindestens 13,2 Milliarden Euro an finanzieller Unterstützung aus Kommunen, Ländern, Bund und der EU in die Produktion von tierischen Nahrungsmitteln. Eine entsprechende Studie hat das überregionale Bündnis «Gemeinsam gegen die Tierindustrie» Anfang März vorgestellt*, begleitet von einer Aktion vor dem Landwirtschaftsministerium.

Seit längerem ist bekannt, dass die tierbasierte Agrarbranche die Klimakatastrophe wesentlich mitverursacht – durch Abholzung oder Brandrodung von Regenwäldern und Nutzung von drei Vierteln der Landfläche für Futtermittelanbau, durch Konzentration von immer größer werdenden Viehbeständen, die mit Antibiotikaeinsatz am Leben erhalten werden, durch Überproduktion von Gülle, die die Umwelt zusätzlich schädigt. CO2-Ausstoß und Methanemissionen werden dadurch massiv erhöht, zum Schaden des Klimas.
Die derzeitige Agrarpolitik von Bund und EU verschlimmert nicht nur die Klimakatastrophe, auch die Arbeiter:innen und die Tiere leiden unter diesen Bedingungen. Allein in der Bundesrepublik Deutschland werden pro Tag mehr als zwei Millionen Tiere geschlachtet (statista 2020).
Die Arbeitsbedingungen in der Schlachtindustrie und Tierzucht sind miserabel, Arbeitsrechte werden unterlaufen, Gesundheitsschutz wird nicht eingehalten oder nicht kontrolliert. Die Tiere werden misshandelt, die Menschen unter extremen Bedingungen ausgebeutet, vielfach haben die Arbeiter:innen mit körperlichen und seelischen Schäden zu kämpfen.

Es wird das Falsche finanziert
Durch die immensen Geldsummen, die pro Jahr in die Fleischbranche fließen, wird diese Produktionsweise unterstützt und gefördert – mit staatlichen Mitteln. Diese staatlichen Mittel hat die Studie erstmals zu quantifizieren versucht und in einer Analyse zusammengefasst.
Ein Bestandteil der finanziellen Unterstützung sind die Direktzahlungen der EU an die landwirtschaftlichen Konzerne – pro Jahr insgesamt 2,85 Milliarden Euro. Diese Zahlungen und die gesetzlichen Rahmenbedingungen hierzu legt die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) fest. Diese Rahmenbedingungen müssen dringend reformiert werden, da die Direktzahlungen an die Größe der Agrarflächen gebunden sind. Das bedeutet, je größer der Betrieb, desto mehr Förderung gibt es.
Die Ziele der GAP sind klar profitorientiert; sie sind das EU-Instrument zur Erhaltung und Absatzförderung von tierischen Lebensmitteln, um auf dem Weltmarkt konkurrieren zu können. Die Studie hat ermittelt, dass «rund 6,15 Mrd. Euro in den Jahren 2014 bis 2020» aus den europäischen Förderfonds in die Tierindustrie flossen, das sind «878 Mio. Euro jährlich».
Aber auch aus dem deutschen Bundeshaushalt fließen Millionen in die Tierindustrie, um diese am Leben zu erhalten. Im Januar 2020 wurde, ausgelöst durch die Bauernproteste des vorangegangenen Winters, beschlossen, die Agrarbranche zusätzlich zu den regelmäßigen Förderungen mit einem Investitionsprogramm Landwirtschaft zu unterstützen. Im Entwurf des Bundeshaushalts 2021 sind dafür 207 Millionen Euro vorgesehen.
Die Studie weisst weitere finanzielle Posten aus, etwa Absatzförderung für tierische Produkte oder neuerdings für sog. Stallumbauten. Diese sollen, angepasst an eine – nicht sehr weitreichende – Tierschutzreform, sicherstellen, dass «die Vorgaben der Siebten Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung kurzfristig umgesetzt» werden. Die Summen hierfür belaufen sich für die Jahre 2020 und 2021 auf insgesamt 300 Millionen Euro.
Auch in die Agrarforschung fließen finanzielle Mittel, diese unterstützt in erster Linie die Marktorientierung. Die Mittel belaufen sich 2021 auf über 300 Millionen Euro. Hauptsächlich wird hiermit Forschung finanziert, die sich auf die Leistungsfähigkeit und die Effizienz von Nutztieren bezieht, auch mit Tierversuchen. Unter anderem wird damit ein Forschungsprojekt gefördert, das «ein gentechnisches Verfahren entwickelt, mit dem Ebergeruch verhindert werden soll. Damit soll eine finanziell attraktive und gesellschaftlich akzeptierte Alternative zur Ferkelkastration geschaffen werden.» Es wird also auch hier Geld investiert, um den Fleischmarkt zu erhalten, und sei es damit, dass man Tiere gentechnisch so verändert, dass es den Verbrauchern schmeckt.

Nutztierhaltung in der Krise
Noch weit mehr finanzielle Mittel werden aufgewendet, um eine Branche am Leben zu erhalten, die mit ihrer aktuellen Agrarpolitik ein rückschrittliches Konzept verfolgt, basierend auf Ausbeutung, marktorientierten Profite und – auf Wirtschaftswachstum.
Denn natürlich ist dieser Wirtschaftssektor einer der Motoren, die jedes Jahr Milliarden Gewinne in die Konzerne der Fleischindustrie spülen. Deutschland steht weltweit an Position fünf der stärksten Fleischexporteure, innerhalb der EU ist Deutschland sogar Spitzenproduzent für den Export von tierischen Lebensmitteln.
Da wundert es nicht, dass sich das hiesige Landwirtschaftsministerium weigert, die Tierbestände zu reduzieren oder anderweitige Beschränkungen einzführen. Schließlich sollen Deutschland und die EU mit dem Weltmarkt konkurrieren können. Dies kritisiert auch das Bündnis. Einer Aussage von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner im Oktober 2020 zufolge soll die Debatte nicht um den Ausstieg aus der Tierhaltung geführt werden: «Ich will verhindern, dass aus der Diskussion um die Tierhaltung eine Ausstiegsdebatte wird.»
Klöckner hat 2019 das «Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung» gegründet, das auch als Borchert-Kommission bekannt ist. Ziel des Netzwerks sollen Lösungsvorschläge für die angebliche Krise der Nutztierhaltung sein. Für dieses «Kompetenznetzwerk» soll die Bundesregierung zusätzliche 1,2 bis 3,6 Milliarden Euro jährlich aufbringen. Finanziert wird damit der Umbau von Ställen, die angebliche tiergerechter gestaltet werden sollen. Eine Reduzierung der Tierbestände ist jedoch nicht vorgesehen, und es wird auch kein Grund gesehen, die Besatzdichte in den Ställen zu reduzieren.
Das Bündnis «Gemeinsam gegen die Tierindustrie» argumentiert dagegen: Die Ausstiegsdebatte ist genau die, die wir jetzt führen müssen.

Jetzt aussteigen!
An die neue Studie über die Subventionen für die Tierindustrie schließt das Bündnis Forderungen für eine Agrarwende an: Die öffentlichen Gelder, die derzeit in diese Industrie fließen, müssen stattdessen dazu eingesetzt werden, eine ökologische und solidarische Agrarwende zu finanzieren. Erweiterungen und Neubauten von Ställen dürfen nicht mehr stattfinden. Mithilfe geeigneter Maßnahmenpakete müssen bis 2030 mindestens 80 Prozent der aktuellen Bestände auf sozial gerechte Weise abgebaut werden.
In Anbetracht der dramatischen Umweltschäden durch die Tierindustrie drängt die Zeit, ein Abbau von etwa zehn Prozent pro Jahr ist sozial gerecht machbar. Für die Beschäftigten in der Tierhaltung und in den Schlachthöfen müssen gute Alternativen geschaffen werden. Die Großkonzerne müssen vergesellschaftet werden und in pflanzenverarbeitende Betriebe unter Selbstverwaltung der Arbeiter:innen umgewandelt werden. Es werden Förderprogramme für den ökologischen Anbau von Getreide, Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten und Nüssen benötigt – ohne Profitlogik. Die frei werdenden Agrarflächen müssen zu intakten Ökosystemen renaturiert werden.
Ebenso ist eine komplette Ernährungswende notwendig, die Forschungsmittel müssen in diesen Bereich umgeleitet werden. Damit der Ausstieg aus der Tierindustrie erfolgreich umgesetzt werden kann, müssen sich zugleich die Konsummuster drastisch verändern: Bis 2030 muss der Verzehr von Fleisch, Milch und Eiern rapide sinken.

*https://gemeinsam-gegen-die-­tierindustrie.org/studie-milliarden-tierindustrie/.

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