In Griechenland wehren sich Linke gegen die neoliberale Umgestaltung der Universitäten
von Lucy Nowak und Michael Schwarz*
Am 18.Februar hat das griechische Parlament, dominiert durch die rechte Regierung, ein neues Polizei- und Hochschulgesetz erlassen. Die Novelle reißt Wunden aus der Zeit der griechischen Militärdiktatur wieder auf, und zielt im besonderen auf linke Studierende. Die Wochen vor und nach der Verabschiedung waren geprägt von Widerstand und Protesten.
In Thessaloniki, wie in ganz Griechenland, gilt in diesen Wochen eigentlich strenger Corona-Lockdown: Nur für lebensnotwendige Dinge darf das Haus verlassen werden, Kundgebungen mit über hundert Personen sind verboten. Trotzdem haben sich an diesem Nachmittag Mitte Februar etwa zweitausend vor allem junge Menschen auf der Platia Aristotelou versammelt. Eine halbe Stunde später ziehen wir zusammen mit ihnen durch die Innenstadt. «Unsere Leidenschaft für Freiheit ist stärker als eure Gefängnisse», schallt es durch die leeren Straßen.
Die Polizei ist anfangs kaum sichtbar – als die Menschenmenge das mazedonische Kultusministerium erreicht, kommt es zu Tumulten. Laute Schreie und Explosionen sind zu hören, Tränengasgranaten und Molotowcocktails wechseln die Seiten. Mit dem Stechen des Gases in unseren Lungen rennen wir die Straße hinunter. Sofort sammeln sich die Menschen wieder und laufen in kleineren, aber lauten Gruppen zurück ins Zentrum, um dort wieder zusammenzufinden. Fast täglich finden in den folgenden Wochen Demonstrationen und Aktionen statt, die Studierendenschaft der Aristoteles-Universität ist im Aufruhr. Der Grund ist die schrittweise Abschaffung und Umkehrung des sogenannten «University Asylum».
Polizei auf dem Campus
1973 geht in Griechenland die jahrzehntelange rechte Militärdiktatur ihrem Ende zu. Linke Studierende besetzen im November das Polytechnikum, um für ein Ende der Gewaltherrschaft zu protestieren. Die Junta geht militärisch gegen den Aufstand vor – Panzer durchbrechen die Zugangstore zur Universität, Scharfschützen schießen von Dächern auf Demonstrierende. Etwa zwei Dutzend Student:innen sterben. Als Lehre aus den Ereignissen wird ein Gesetz beschlossen, wonach Polizei und Militär Hochschul-Campi nicht betreten dürfen – es sei denn, der Dekan verlangt das ausdrücklich.
Das University Asylum, ein wichtiges Gesetz zur Eindämmung von Polizeigewalt, galt in Griechenland bis 2019. Es erinnerte fortwährend daran, welche Folgen der Zugriff von bewaffneten Kräften des Staates auf Institutionen der Zivilgesellschaft haben kann. Der politischen Rechten war es jedoch ein Dorn im Auge, da das Asyl der linken Studierendenschaft erlaubte, sich, geschützt hinter den Mauern, zu organisieren. Als nach den Wahlen am 7.Juli 2019 die rechte Nea Dimokratia die Regierung übernahm, strich sie das Gesetz unter einem Vorwand, der auch in Deutschland bekannt ist: dem Vorgehen gegen sog. «rechtsfreie Räume».
Die neue Regelung verkehrt nun den Gedanken der freien, für alle zugänglichen Universität als Bildungsstätte endgültig in sein Gegenteil, Einheiten der Polizei sollen auf dem Campus fest installiert werden, Zugangskontrollen nur eingeschriebenen Studierenden das Betreten erlauben. Nebenbei werden die Regelstudienzeiten weiter verschärft. Linke Gruppen fürchten um ihre Räume, die sie teils seit Jahren ohne Genehmigung besetzt halten und für ihre Aktivitäten nutzen. Auch für Nichtstudierende, die anderswo keinen Platz finden, ist die Universität ein wichtiger Rückzugsraum.
Nachwehen des Scheiterns von SYRIZA
Eine Woche später – die Verabschiedung des Gesetzes wurde mehrmals verschoben – sitzen wir mit einigen Freund:innen in deren Wohnzimmer, nahe der Universität. An diesem Abend soll es soweit sein. Der Fernseher läuft und zeigt die Parlamentsdebatte, der Beschluss gilt als sicher. Unsere Stimmung ist aufgeheizt, wir sind gerade erst von der Demonstration am Nachmittag zurück. Draußen ist es jetzt dunkel, aber die von der Polizei eingesetzten Lärmgranaten sind immer noch zu hören, von der hügelabwärts gelegenen Via Echnatia ziehen Schwaden von Tränengas durch die Straße.
Während wir den für uns unverständlich redenden Politiker:innen zuschauen, fragen wir in die Runde, was wohl nach der Verabschiedung als nächstes geschehen wird. Ioanna, Studentin an der Physikfakultät, erklärt uns, dass die Umsetzung der praktischen Teile (wie z.B. der Polizeieinheiten) sicher längere Zeit dauern wird. Die bürokratischen Vorhaben, wie die neuen Höchstsemesterzahlen, würden für Studierende sicher schon bald Folgen haben. Mitten in der Debatte fällt die Fernsehübertragung aus, eine halbe Stunde ist nur klassische Musik zu hören. Als das Bild zurückkehrt, ist das Gesetz beschlossen – gegen die Stimmen der linken Opposition.
Wir kommen mit Ioanna näher ins Gespräch. Eine Situation wie heute wäre vor fünf Jahren nicht vorstellbar gewesen, meint sie. Die Studierenden seien sich nicht einig in der Ablehnung des Gesetzes, viele begrüßten es sogar. Als Grund macht die Studentin das Scheitern der vorherigen linken Regierung aus – viele, die vor ein paar Jahren noch Hoffnung hatten, beteiligen sich heute nicht mehr und sind politisch frustriert.
Im Zuge der sog. Euro-Krise, in der die EU-Staaten Griechenland eine drastische Sparpolitik aufzwangen, hatte es im ganzen Land einen Aufschwung der politischen Linken gegeben, die sich gegen die sog. Austeritätspolitik in Stellung brachte. Weitreichende Privatisierungen und der Abbau von Sozialausgaben gefährdeten die Existenz von Millionen Griech:innen. Dies mündete 2015 in einem Wahlsieg der sozialistischen Partei SYRIZA.
Der von der Bewegung hoffnungsvoll betrachtete Versuch einer Linksregierung wurde jedoch zum Desaster: SYRIZA bildete eine Koalition mit der rechtspopulistischen ANEL. Wenig später, als ein Referendum ein deutliches Nein der Bevölkerung zum Sparkurs ergab, knickte die Regierung gegenüber den mächtigeren Euro-Ländern ein und ließ Proteste gewaltsam niederschlagen. Seitdem führt Griechenland die Sparmaßnahmen widerstandslos durch und wird seit 2019 wieder von rechts regiert.
Das Balkanland ist zum Anschauungsbeispiel für die Frage der Regierungsübernahme geworden, die in der Linken immer wieder diskutiert wird: Ist es überhaupt sinnvoll, die Macht im Staat mit einer Partei zu erringen? Und wenn ja, welche Voraussetzungen braucht es dafür? In Griechenland waren sie offensichtlich nicht gegeben, trotz einer linken Bewegung, die ungleich stärker war als in Deutschland.
Neue Dynamik
Genau eine Woche nach der Verabschiedung des Gesetzes ziehen wir erneut mit einer Demonstration, zu der Studierendengruppen aufgerufen haben, vor das Kultusministerium. Die Sprechchöre sind weniger kämpferisch, die Stimmung wirkt etwas gedrückt. Trotzdem sind wieder Hunderte gekommen, um eine Rücknahme der Regelung zu fordern.
Während vor dem Gebäude Reden gehalten werden, treffen wir Ioanna und ihre Kommiliton:innen wieder. «Was sind die nächsten Schritte der Bewegung?», wollen wir von ihr wissen. Die Demonstrationen werden natürlich weitergehen, antwortet sie, die Energie werde sich nicht verlieren. «Und wird die Umsetzung der Maßnahmen gestoppt werden können?» Es werde sicherlich direkte Aktionen geben, gegen die Einrichtung der Polizeieinheit und der Zugangskontrollen. Und natürlich werde man die besetzten Freiräume verteidigen, die für die Studierendenschaft so wichtig sind.
Blickt man auf die Ereignisse der zurückliegenden Wochen, scheint die griechische Bewegungslinke tatsächlich ihre Dynamik wiedergefunden zu haben: Studierende besetzten im Februar die Verwaltung der Universität in Thessaloniki, vereitelten mehrere Räumungsversuche der Polizei und wurden erst am 13.März aus dem Gebäude vertrieben, was zu einer Großdemonstration und Auseinandersetzungen in der ganzen Stadt führte. Mehrere Fakultäten sind weiterhin besetzt. In Athen protestierten am 9.März Tausende gegen die Polizeigewalt der rechten Regierung, und im ganzen Land fanden Solidaritätsaktionen für den linksradikalen Gefangenen Dimitri Koufontinas statt, der sich bis zum 14.März im Hungerstreik befand.
Transnationale Solidarität als Perspektive
Bei einem Spaziergang über den Campus der Universität Thessaloniki finden wir Mitte März noch keine Spur einer Umsetzung der im Gesetz beschlossenen Maßnahmen – Gerüchten zufolge soll die Polizei im Herbst stationiert werden. Für die linke Studierendenschaft waren die Entwicklungen ein Weckruf: Auch jahrzehntealte Freiheitsrechte sind nicht garantiert, solange die Kraft für ihre Verteidigung nicht ausreicht. Das Sammeln dieser Kräfte könnte die griechischen Genoss:innen aus der Post-SYRIZA-Depression holen.
Als deutschsprachige Linke sollten wir uns von der Dynamik inspirieren lassen und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit suchen. Die Ereignisse in Griechenland werden hierzulande kaum gehört, und vielen griechischen Gruppen fehlt es an finanziellen Mitteln, die in Deutschland leichter zu beschaffen sind.
2015 hatten wir der Bild-Propaganda über «faule Griechen» kaum etwas entgegenzusetzen. Wir waren nicht in der Lage, die von Deutschland gestützte Austeritätspolitik im eigenen Land unter Druck zu setzen, auch weil es zu wenige direkte Verbindungen zu Aktivist:innen vor Ort gab. Eine geeinte europäische Bewegung für Solidarität könnte dem nächsten Aufstand an der Ägäis zum Erfolg verhelfen.
*Lucy Nowak ist in Thessaloniki aktiv in der Gruppe «Stop the War on Migrants». Michael Schwarz ist Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung im Rheinland und reist regelmäßig nach Südeuropa.
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