Manchmal verstehe ich die Welt nicht mehr, die in den Städten und Dörfern zügig ergraut
von Rolf Euler
Zur Erinnerung: Das Ruhrgebiet verlor erst langsam die rußig-grauen Farben, als dort das Steinkohle- und Stahlzeitalter auslief. Wenn selbst der seltene, frischgefallene Schnee nach wenigen Stunden grau wurde, hätte diese Farbe eigentlich keine Zukunft haben dürfen, denkt man.
Die Wäsche konnte wieder draußen trocknen, dunkle Töne waren «out».
Nach dem Krieg war Feldgrau auch aus der «Mode» gekommen. Man traute sich nicht so recht, grau zu präsentieren, auch wenn die «neue» Bundeswehr erneut in grau ihre Heeressoldaten auf die Straßen schickte oder ihre Schiffe in NATO-Grau übers Meer fahren ließ. Krieg sollte doch nicht sein. Aber vielleicht sind, nachdem die Armee auf Oliv und Tarnfarben umgestellt hatte, die Abneigungen gegen Grau gefallen?
Von Grau nach Weiß…
Im Revier kam dann, als der Himmel über der Ruhr blauer wurde, weiß als Farbe der Hausgestaltung auf: Endlich konnte man eine weiße Wand länger als ein halbes Jahr auch wirklich weiß sehen. Viele alte Zechenhäuser wurden sandgestrahlt und boten einen ungeahnten Ziegelrot-Ton. Einige Gartenstadtsiedlungen erblühten, Gärten und Hauswände leuchteten eher hell. Wer allerdings in den langen Straßen der alten Arbeiterstadtteile von Duisburg, Herne oder Gelsenkirchen wohnte, musste noch länger mit gedeckten Farben und tristen Höfen Vorlieb nehmen. Auch hier kann kaum die Vorliebe für das neue Grau herkommen.
Deswegen ist es umso auffallender, dass inzwischen Neubausiedlungen sich oft in Grautönen präsentieren. Manchmal nur als Elemente des Neubaus: Haustür, Garage, Balkonstütze, Dachpfannen. Manchmal komplett im sogenannten Bauhausstil mit rechteckigen Formen und in Steingrau, Eisengrau, Stahlgrau – alle Abstufungen sind grauer und gräulicher als Grau. Wer erfindet so etwas?
…und zurück zu Grau
Manchmal gibt es vielleicht noch ein Teilelement der Fassade in Ochsenblutrot, das ist dann der Trick mit dem gedeckten Rot. Natürlich kein Blutrot – das soll nicht wiederkommen, aber das Grau ist doch schick so… Dazu kommen graue Platten für die Einfahrt der Garage, grauer Schotter für den Vorgarten. Eine kümmerliche Eibe versucht, sich aus dem Schotter zu befreien.
Und dann die Krönung: die grauen Flechtzäune! Da kann die Hauswand ruhig andersfarbig sein, sie wird zum Nachbarn und zur Straße wacker verborgen mit einem Stahldrahtzaun, durch den sich graue Kunststoffstreifen winden. Da die Grundstücke immer kleiner und die Häuser und gepflasterten Autoeinfahrten immer größer werden, bleibt zwischen Haus und grauer Wand nicht allzuviel Platz für Gartenfläche. Wer schaut gern aus dem Fenster auf graue Wände? Wohnen Sie noch oder ergrauen Sie schon? Der Vorteil: Nachbarn und Fußgänger können nicht hineinschauen.
Manche Städte überlegen jetzt tatsächlich, ob es möglich wäre, Schottergärten zu verbieten. War da nicht mal ein Waschmittel: «Treibt Grau raus»?
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