Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2021. 250 S., 22 Euro
von Ravi T. Kühnel
«Ich bin nicht: das Mädchen, das ihr euch angucken könnt, um mitleidig zu erklären, ihr hättet euch mit den Migranten beschäftigt und es sei ja alles so dramatisch, aber auch so bewundernswert. Ich bin nicht: das Mädchen aus dem Ghetto.»
Am 15.April 2021 erschien bei Kiepenheuer & Witsch der neue Roman von Shida Bazyar.
Die 1988 in Hermeskeil geborene Autorin studierte Literarisches Schreiben in Hildesheim und bekam schon für ihren Debütroman Nachts leise in Teheran mehrere Literaturpreise. Mit Drei Kameradinnen schildert sie eindringlich, wie es ist, wenn man nicht als Deutsche wahrgenommen wird. Kompromisslos, provokant und beinahe anmaßend konfrontiert sie uns dabei mit unseren eigenen Vorurteile, gibt jedoch auch eine Perspektive, wie man sich Hass, Hetze und Gewalt entgegenstellt.
Das Buch beginnt mit einem einseitigen Artikel über einen mutmaßlich terroristischen Brandanschlag. Verübt von Saya, einer der «drei Kameradinnen». Ein Großteil erzählt von den alltäglichen Erfahrungen drei migrantischer Freundinnen, Kasih, Hani und Saya. Aus Kasihs Perspektive bekommen wir erzählt, wie es zu dem Brand kam, wie sich solch eine Wut aufstauen konnte. Es sind alltägliche Erlebnisse, in denen ihre Herkunft immer und überall in Frage gestellt wird.
Zwischen den einzelnen Erzählungen über die Erfahrungen der drei spricht uns Kasih immer wieder direkt an. Dies gibt einem das Gefühl, das Buch wäre an einen selbst gerichtet. Die Erzählweise ist nicht chronologisch, was gewöhnungsbedürftig ist, aber eine bewusst gewählte Form der Autorin. Eine Besonderheit des Romans ist, das man zwar viel über die Charaktereigenschaften der Protagonistinnen erfährt, doch wenig über ihre Hintergründe. Dies ist bewusst gewählt, um sie möglichst ohne Vorurteile betrachten zu können.
Drei Kameradinnen ist also ein weiteres Buch, welches über die Erfahrungen mit Rassismus und anderen Diskriminierungs- und Unterdrückungsformen berichtet. So manch einer mag sich nun die Frage stellen: «Brauchen wir das?» Ja, denn wir können als nicht Betroffene nicht nachvollziehen, wie es sich anfühlt, sein Leben lang unterdrückt, angegriffen, beleidigt und unter Generalverdacht gestellt zu werden. Doch wir können Bücher wie diese lesen und versuchen zu verstehen, uns anhören, was diese Menschen zu sagen haben, und sie dabei unterstützen. Wir können und sollten uns mit unserem eigenen Rassismus auseinandersetzen. Bücher wie diese helfen uns dabei.
Die Art und Weise, wie die Autorin mit uns spricht, ist interessant. Sie spricht uns immer wieder direkt an. Und diese direkte Ansprache bringt uns dazu, unsere eigenen Verhaltensweisen und Denkmuster zu überdenken. Dabei geht Shida Bazyar mit uns nicht zimperlich um. Sie ist provokant, anmaßend und teils überheblich. Sie schert uns Lesende über einen Kamm, sie weiß es besser. Man fühlt sich an manchen Stellen gar angegriffen. Sie spiegelt uns ein Verhalten wider, welches Betroffene tagtäglich erleben.
Der Roman ist dadurch, aber auch durch einige Szenen, teilweise schlicht anstrengend. Lesende werden mit dem konfrontiert, was Menschen mit Migrationshintergrund alltäglich erleben. Die Erzählungen aus dem Alltag der drei Freundinnen, anhand deren die Erfahrungen geschildert werden, sind gut ausgewählt und atmosphärisch geschrieben. Jedoch wird an einigen Stellen teils sehr weit ausgeholt, was nicht immer nachvollziehbar ist. Wer Romane mit einem klassischen Spannungsbogen und Aufbau erwartet, ist hier fehl am Platz. Das Buch lebt von dem langen Teil der verschiedenen Erzählungen, es lebt davon, beim Lesenden selbst Wut zu schüren, zu stören, zu provozieren, ja, gar zu nerven. Denn nur so können die Erfahrungen nachvollzogen werden.
Drei Kameradinnen erzählt nicht nur von den alltäglichen Erfahrungen mit Rassismus. Es vermittelt ein Gefühl, wie es sein muss, in dieser Haut zu stecken. Es berührt, es schreit, es rüttelt wach. Es mag kein Buch sein, was angenehm zu lesen ist, aber es ist ein Buch, das jeder gelesen haben sollte. Es ist eine Stimme, die gehört werden sollte.
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