Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2021

Der Konzern hat 2020 4,8 Mrd. Euro erwirtschaftet –
ein Rekord. Die Beschäftigten sehen davon nichts

von San del van Letniz

Wenn man die Morgenbesprechungen der Führungskräfte mit der Belegschaft verfolgt oder die Öffentlichkeitsarbeit des «gelben Riesen» mit seinen Verlautbarungen wie «Bester Arbeitgeber» bzw. «Wir zahlen die besten Löhne» betrachtet, könnte man den Eindruck gewinnen, hier stelle sich wirklich mal ein guter Arbeitgeber vor.

Von Krise ist bei der Post jedenfalls nichts zu spüren. Erst kürzlich hat der Vorstand ein Aktienrückkaufprogramm über mehr als eine Milliarde Euro beschlossen. Da könnte man doch annehmen, dass auch für die Beschäftigten etwas abfällt. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Post, Frank Appel, wird jedenfalls nicht müde, in Interviews immer wieder zu bekräftigen: «Wir können sehr zufrieden sein.»
Doch die Realität zwischen Arbeitgeber/Aktionären und der Belegschaft geht seit Jahrzehnten diametral auseinander, und das in jeglicher Hinsicht. Und trotz eines bestehenden Betriebsrats und einem gewerkschaftlichen Organisationsgrad von weit über 70 Prozent.
Aus finanzieller Perspektive kann bei den Beschäftigten von einer Partizipation am Erfolg der Rekordergebnisse nicht die Rede sein. Sie erhalten weiterhin ihren Grundlohn, die Lohnsteigerungen gleichen gerade mal die Inflation aus. Ganz anders sieht es bei den Aktionären aus, die 2021 eine satte Dividendenerhöhung von über 17 Prozent – von 1,15 Euro auf 1,35 Euro – erhalten. Herr Appel führt dieses Jahr die Spitze aller im DAX vertretenen Vorstände an und kassiert ein stattliches Salär von über zehn Millionen Euro. Davon könnte man jährlich über 300 Zusteller:innen bezahlen!
Die Deutsche Post/DHL hat sich in ihrem Rekordjahr dazu durchgerungen, allen Beschäftigen eine Coronaprämie von 300 Euro auszuzahlen. Da ist VW großzügiger. Trotz unzähliger Probleme und Milliardenrückstellungen aufgrund des Dieselbetrugs zahlt der Autobauer jedem Beschäftigten in diesem Jahr über 2700 Euro aus. Demgegenüber erscheinen die 300 Euro Coronaprämie der Deutschen Post geradezu lächerlich.

Arbeiten bis zur Belastungsgrenze
Der finanzielle Aspekt innerhalb eines Unternehmens ist die eine Seite der Medaille. Wie sieht es hingegen bei den Arbeitsbedingungen aus?
Der Krankenstand ist bei der Postbelegschaft in den letzten Jahren konstant hoch – laut Krankenkassen knapp dreimal so hoch wie beim Durchschnitt aller Beschäftigten in Deutschland. Zu den beiden Hauptursachen für Krankschreibungen gehören neben den psychischen Problemen auch Muskel- und Gelenkschmerzen aufgrund der Arbeitsverdichtung.
Die Bezirksgrößen und die von den Zusteller:innen auszuliefernden Mengen sind wegen des «Produktivitätswahns» und «Renditedrucks» immer weiter gestiegen. Vor ein paar Jahren erlebten die Beschäftigten noch das sog. «Sommerloch», das seit dem Internetboom und spätestens seit der Pandemie Vergangenheit ist. Die Zusteller:innen im Paketbereich arbeiten über Monate an ihrer Belastungsgrenze.
Die Belastungen lassen sich auch an der hohen Zahl der Arbeitsunfälle ablesen. Aus einem internen Gespräch mit einem Betriebsrat wurde mitgeteilt, dass es allein in einer Niederlassung der Deutschen Post Arbeitsunfälle mit Zustellfahrzeugen mit Schäden in Höhe von über einer Millionen Euro gegeben hat; teilweise ist der Hof von Karosserie- und Autolackierereien mit Postfahrzeugen so stark besetzt, dass man annehmen könnte, dort gebe es eine weitere Postniederlassung!
Eine Paketbegrenzung zum Schutz der Gesundheit gibt es nicht. Die Paketrutschen sind ausgelastet, und von den Paketboten wird verlangt alles zuzustellen, und das auch gerne mit der gesetzlichen täglichen Arbeitszeit von 10 Stunden und 45 Minuten. Bei diesem Knochenjob wäre eine Arbeitszeit von sechs Stunden mehr als ausreichend, allein um in der freien Zeit die psychischen und körperlichen Belastungen wieder auszugleichen.
Dass die Arbeitsbedingungen und Belastungen so hart sind, lässt sich auch an der Fluktuation ablesen. In einem Interview meint ein bei Ver.di gewerkschaftlich organisierter Kollege, von denen, die 2015 in den ehemaligen Delivery-Zustellbasen eingestellt worden seien, seien gerade mal noch zehn Prozent da!
In der Personalpolitik der Deutschen Post ist es ein offenes Geheimnis, dass die Zahl der befristet Beschäftigten extrem hoch ist; von der damals von Rot-Grün in Gesetz gegossenen Möglichkeit der Kündigung aufgrund von Sachgründen wird reger Gebrauch gemacht.

Verbesserung der Befragungen statt der Bedingungen
Damit das Ganze nicht zu sehr auffällt, verbessert das Management nicht die Arbeitsbedingungen, sondern die jährlich stattfindenden Mitarbeiterbefragungen. Im Jahr 2020 kam jedoch zutage, dass diese von Führungskräften frisiert und manipuliert wurden, um die miesen Arbeitsbedingungen «unter den Teppich zu kehren». Das ist nicht nur respektlos gegenüber den Beschäftigten, damit werden auch die Realitäten des kranken Systems bei der Deutschen Post/DHL geleugnet, das auf Kosten der Zusteller:innen geht. Obwohl die Belastungen bekannt und die Gewinne reichlich sind, wird nicht ein Euro eingesetzt, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Wie wäre es z.B., wenn jährlich per Gesetz Gratifikationen – materiell in Form von Prämien oder immateriell in Form von Investitionen zur Verbesserung der Arbeitsbedingen durch mehr Personal – an die Beschäftigten in exakt der gleichen Höhe wie an die Kapitalgeber ausgeschüttet werden würden? Schließlich sind es die Zu­stel­ler:innen, die den Reichtum der Deutschen Post erwirtschaften!

*San del van Letniz arbeitet seit Jahren als Zusteller bei der Deutschen Post/DHL.

Kontakt: Wer in Kontakt mit kritischen Postbeschäftigten treten oder eigene Erfahrungen beisteuern möchte, wende sich an die Redaktion mit Stichwort: Deutsche Post/DHL – Bester Arbeitgeber.

Teile diesen Beitrag:
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.