Der ehemalige Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzende von VW wechselt die Einkommensklasse, nicht die Seiten
von Manfred Dietenberger
Der fast 65jährige Konzernbetriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh wechselte Anfang Mai 2021 statt, wie zu erwarten, in ein auskömmliches VW-Rentnerleben in den Vorstand der VW-Tochtergesellschaft Traton, in dessen Aufsichtsrat er vorher auf der Arbeitnehmerbank Julia Kuhn-Piëch und Christian Porsche gegenüber saß.
Traton ist im VW-Konzern mit Marken wie MAN und Scania für die schweren Nutzfahrzeuge zuständig. Das Unternehmen hat seinen Hauptsitz in München, seit dem 1.Mai 2021 sitzt dort Osterloh als Sachwalter des VW-Konzerns. Damit dürfte sich «beim VW-Konzern die Transformation hinzu einem Softwarekonzern auf Rädern beschleunigen», schreibt eine Börsenzeitung. «Dies ist eine gute Nachricht für Aktionäre … Der Klassenkampf ist vorbei. Für alle diejenigen, die vielleicht noch in dem Muster: ‹hier Arbeiter, dort Manager› gedacht habe, ist anlässlich einer Spitzenpersonalie von heute klar: Die alten Grenzen gelten längst nicht mehr, Betriebsräte sind Co-Manager, und als solche können sie auch problemlos ihr Betriebsratsbüro gegen die Vorstandsetage tauschen.»
Das wundert. Haben die bundesdeutschen Gewerkschaften nicht schon längst den Klassenkampf ad acta gelegt? Und gilt die betriebliche Mitbestimmung beim VW-Konzern nicht schon seit Jahrzehnten als Leuchtturm der Sozialpartnerschaft?
Der Sinn der Mitbestimmung
Die betriebliche Mitbestimmung in Deutschland basiert auf dem dauerhaften Verzicht auf Klassenkampf, damit auf der Unterordnung der Arbeiterinteressen unter die Kapitallogik. Vom Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital – früher eine Selbstverständlichkeit in den gewerkschaftlichen Schulungskursen, zumindest denen der IG Metall und der IG Druck und Papier – ist nichts mehr zu hören. Stattdessen dient das nebulöse «Betriebswohl» als ideologische Klammer für etwas, was prinzipiell nicht zusammengehört.
Die Mitbestimmung als Teil der «Sozialpartnerschaft» regelt gesetzlich, dass die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften Vertreter in Betriebs- und Aufsichtsräte wählen. In beiden Gremien sitzen die Vertreter:innen der Beschäftigten über Jahre, nicht selten Jahrzehnte einträglich mit den Unternehmens- und Aktionärsvertretern an einem Tisch. Man(n) (es sind noch immer in der Überzahl Männer) kennt sich.
Während in der Realität der «Sozialpartnerschaft» immer weniger Brosamen vom Tisch der Herren für die Beschäftigten abfallen, ist doch wenigstens für die Freigestellten im Betriebsrat und die Aufsichtsratsmitglieder auf der Arbeitnehmerbank die Sozialpartnerschaft recht «einträglich». Die Gehälter von VW-Betriebsräten werden nicht von der betrieblichen Lohnfindungskommission festgelegt, stattdessen wird eine meist künstlich konstruierte Vergleichsgruppe von Beschäftigten zugrundegelegt. Nur so erklärt sich, dass das Grundgehalt des VW-Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh innerhalb von wenigen Jahren auf 200000 Euro heraufgesetzt wurde und sein Einkommen zeitweise 750000 Euro betrug.
VW betont, dass sich der Vorstand streng an die Vorschläge der sogenannten «Kommission Betriebsratsvergütung» gehalten hätten, was nicht verwundert, sind der VW-Vorstand und Bernd Osterloh doch selbst Teil der Kommission.
Arbeiteraristokraten
Osterloh ist das Muster eines früher Arbeiteraristokrat genannten Gewerkschafters. Er ist kein Ausrutscher. Wie er sind noch manch andere aus der Arbeiterklasse stammender Gewerkschafter durch ihre Klasse aufgestiegen. Die Klasse hat sie in Betriebs- und Personalratsposten und andere Gewerkschaftsfunktionen gewählt, und von dort aus wanderten sie, ihre Kolleg:innen zurücklassend, weiter in Leitungsfunktionen fürs Kapital und die Regierung.
Peter Hansens Weg z.B. führte vom Rangierer, über den Gewerkschaftsvorsitzenden bis zum Vorstandsmitglied der Bahn. Klaus Volkert war zuerst Schmied, dann Mechaniker bei VW und brachte es dort zum Betriebsratsvorsitzenden. Seine Sonderboni, die ihm Peter Hartz (ja, genau der!) bewilligte, beliefen sich in zehn Jahren auf zwei Millionen. Der gelernte Fliesenleger Walter Riester wurde Jugendgewerkschaftssekretär, dann Bezirksleiter der IG Metall, dann stellvertretender IG-Metall-Vorsitzender und danach unrühmlicher SPD-Minister (Agenda 2010). Die Liste ist weder vollständig noch abgeschlossen.
Ich erzähle nichts Neues. Schon Friedrich Engels wusste: «Diese materiell besser gestellten Arbeiter bildeten eine besondere soziale Schicht, die Arbeiteraristokratie, die sich immer mehr von der Arbeiterklasse entfernte und die die Bourgeoisie als ihre politische Stütze in der Arbeiterklasse heranzuziehen trachtete.»
Viele Medien titelten fälschlich, Osterloh wechsle die Seiten. Das stimmt nicht. Er hat schon immer auch die Interessen des Konzerns vertreten. «Wir (Wolfgang Porsche und Hans Michel Piëch) erwarten deshalb von ihm, dass er einen entscheidenden Beitrag bei der laufenden Restrukturierung (drastisches Sparprogramm) im Traton-Konzern leisten wird.» Eine schlechte Nachricht für die Beschäftigten.
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