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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2021

Ist die Herausforderung durch den Klimawandel ein Nebenwiderspruch? Ist das der neue Hauptwiderspruch? Und löst ein Green New Deal unsere Probleme?
Gespräch mit Nora Bräcklein und Michael Heldt

Michael Heldt ist gelernter Werkzeugmacher, arbeitet für die ISO und ist lokal in einer Nahverkehrsinitiative aktiv, sowie Teil von OKG (Organisieren–Kämpfen–Gewinnen)
Nora Bräcklein hat Sonderpädagogik studiert. Sie ist aktiv in der ISO und in flüchtlingssolidarischen Zusammenhängen.


Das Gespräch führte Violetta Bock.

Weitere Infos zur Konferenz unter https://intersoz.org/.

Am 12. und 13.Juni findet die zweite Ökosozialistische Konferenz der ISO (Internationale Sozialistische Organisation) in Thüringen statt. Die SoZ hat dies zum Anlass genommen, mit Nora und Michael aus dem Vorbereitungskreis über die Konferenz, Ökosozialismus und linke Strategien zu sprechen – angesichts der absehbaren Umwälzungen, vor denen wir stehen.

Es gibt viele Klimacamps und Klimakonferenzen. Was ist das Besondere an der ökosozialistischen Konferenz?

Nora: Wir wollen eine Gesamtperspektive aufmachen, also die Klimakatastrophe als Teil des herrschenden Gesellschafts- und Wirtschaftssystems verstehen. Dabei gehen wir auch auf die konkreten Bewegungen ein, die im Prozess der Veränderung wichtig sind. Eine ebenso zentrale Frage ist für uns: Wohin wollen wir eigentlich und wie können wir uns eine Gesellschaft schaffen, die ein gutes Leben für alle bietet.
Michael: Gesellschaftlich stehen wir ja wahrscheinlich tatsächlich vor einem Green New Deal. Nur weiß keiner, für wen der eigentlich ein guter Deal ist. Für uns nicht. Die Grundidee der Konferenz ist, genau diese unangenehme strategische Lücke, die es gibt, zu benennen und damit umzugehen. Gleichzeitig wollen wir die These in den Raum stellen, dass wir die Katastrophe zwar verhindern müssen, aber dass unsere Aufgabe viel weitgehender ist. Denn das ist nichts was in der Zukunft liegt – wir müssen ihr heute begegnen. Dadurch muss sich vieles, was wir strategisch vor zwanzig Jahren annahmen, verschieben, weil das eine ganz andere Aufgabenstellung ist. Das wollen wir diskutieren. Dabei reisen wir vom Allgemeinen zum Konkreten und wieder zum Allgemeinen.
Nora: Natürlich müssen wir daran arbeiten, noch Schlimmeres in der Katastrophe zu verhindern. Nur reicht das nicht. Wir müssen die bereits vorhandenen Auswirkungen in den Blick nehmen, etwa dass Millionen Menschen wegen der Klimakatastrophe auf der Flucht sind. Wir wollen diskutieren, was es heißt, unter den Bedingungen der Klimakatastrophe linke Strategien zu entwickeln.

Was heißt denn für euch Ökosozialismus?

Michael: Es gibt natürlich verschiedene Definitionen. Ich würde es so umreißen, dass Ökosozialismus als Referenzpunkt akzeptiert, dass wir neben der klassenpolitischen Grundhaltung in Kämpfen verstehen müssen, dass die ökologische Frage dermaßen an Bedeutung gewonnen hat, dass sie zur Überlebensfrage der Menschheit wird. Der Begriff Ökosozialismus erklärt also, dass beides nicht mehr voneinander zu trennen ist. Das sehen in der Linken bei weitem nicht alle so.
Auf der reformistischen, opportunistischen oder im besten Fall linkssozialdemokratischen Seite gibt es die Hoffnung auf einen neuen Gesellschaftsvertrag. Green New Deal ist ja ein Gesellschaftsvertrag und keine revolutionäre Perspektive. Eine Revolution bedeutet die Auflösung des alten Gesellschaftsvertrags und den Umbau der Gesellschaft, also nicht das Aushandeln, sondern die Herbeiführung anderer Machtverhältnisse im Verhältnis zwischen den Klassen.
Auf der anderen Seite erleben wir noch immer klassenpolitisch agierende Linke, die das für Stuss halten, etwas, was tendenziell vom Gegner bespielt und genutzt wird. Sie lehnen den Begriff glatt ab, weil sie darin eine Anpassung an eine kleinbürgerliche Linke sehen, die eigentlich nicht für die Arbeiterinnenklasse agiert. Das halte ich für totalen Humbug, weil die Arbeiterklasse weltweit jetzt schon von den Ausblicken auf die Klimakatastrophe beeindruckt und betroffen ist. Aber beides gibt es. Und es gibt eigentlich gar nicht so viele Strömungen in der Linken, die sich dem offenherzig zuwenden.

Wiederholt sich da nicht die Diskussion um Haupt- und Nebenwiderspruch entlang dieses Themas, also die Klimakatastrophe als Widerspruch von Kapital und Leben?

Michael: Naja, das behaupten Formationen wie Extinction Rebellion. Sie behaupten, jetzt geht es um alles – bezogen auf die Umwelt –, und alles ist dem untergeordnet, auch wie die Bewegung organisiert ist, da wir auf eine absolute Katastrophe hinsteuern. Ich befürchte diese Katastrophe auch, stimme aber nicht zu, wenn argumentiert wird, das Klassenwidersprüche nicht die treibenden Kräfte der Lösung ist. Sie sind ja auch die treibenden Kräfte des Dilemmas. Es funktioniert nicht, das zu trennen. Mit dem Begriff Ökosozialismus bist du genau in der Debatte drin, warum es nicht zu trennen ist.
Nora: Wenn man sich mit der Klimakatastrophe und anderen kapitalistischen Widersprüchen befasst, wird deutlich, dass es nicht zu trennen ist. Sowohl die Klassenfrage als auch die Geschlechterfrage, die Frage der nationalen oder ethnischen Herkunft – die Gruppen, die ohnehin unterdrückt sind, leiden auch zuerst unter der Klimakatstrophe. Sie sind aber auch diejenigen, die am drängendsten auf Veränderung hinwirken können.

Eben habt ihr stark gemacht, wir stehen eigentlich am Beginn der Katstrophe und es krempelt sich schon vieles um – noch bevor wir die Katastrophe verhindern konnten. Was heißt das für linke Strategien im Hier und Jetzt? Muss man sich anders organisieren?

Nora: Das wird eine der Fragen der Konferenz sein. Es wird in diesem System keine soziale ökologische Perspektive geben und gleichzeitig können wir nicht bis zur erträumten Gesellschaft warten. Wir müssen Verteilungsfragen jetzt stellen, schauen, wie man Menschen politisch unterstützt, die unter der Klimakatastrophe leiden, und auch, wie man das Thema in die Debatte bringen kann. Konkret geht es dar­um, wie man den Umbau heute angeht, etwa in der Gewerkschaftsbewegung. Man kann zwar immer wieder sagen Konversion, aber das zu propagieren allein reicht ja nicht. In der Gewerkschaftsbewegung gibt es dazu viele Fragen. Da einen Schritt weiterzukommen, darum geht es auf der Konferenz.

Die Bundesregierung hat durch das Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG) eine ziemliche Klatsche bekommen. Ziele gut und schön, aber die Umsetzung ist nicht ambitioniert genug. Wie schätzt ihr das ein? Zeigt das nicht auch, was in diesem System möglich ist?

Nora: Das ist ein Stückweit natürlich eine Anerkennung von einer höheren richterlichen Instanz, aber das führt ja nicht dazu, dass das nun tatsächlich umgesetzt wird.
Michael: Ich fand das Urteil interessant. Das BVG kann ja manchmal überraschen. Aber in diesen Überraschungsmomenten sichern sie natürlich auch bürgerliche Herrschaft ab. Das sind bürgerliche Leute, die dazu herausfordern, das zu klären, und sie machen auf die Lücke aufmerksam. Ich mache mir da nicht so Sorgen, wie das auf die Bewegung wirkt. Es war ja offensichtlich, dass die GroKo mit dem Klimaschutzpaket nur versucht hat, sich ein grünes Antlitz zu geben. Alle wissen, wie das gemeint war.
Was ich bedeutsamer finde, ist, dass das Futter für die Rechte ist. Es gibt auch in der Frage der Ökologie eine gesellschaftliche Polarisierung. Die Angriffe von rechts sind hochgeschnellt mit dem Urteil des Betriebsverfassungsgesetzes. Und da gibt es ja Prepper, die glauben, jetzt steht die Machtübernahme durch FfF bevor. Das sind ganz komische Deutungsmuster, die aber gesellschaftlich schon bei einem relevanten Teil eine Rolle spielen. Die erreichen wir wahrscheinlich gar nicht mehr.

Ihr habt gesagt, auf der Konferenz geht es auch um konkrete Bewegungen. Könnt ihr noch mehr zum Programm sagen?

Nora: Wir haben drei Themenblöcke. Landwirtschaft und Soziales, auch mit einer internationalen Perspektive etwa zur Bewegung der indischen Bäuerinnen und der Rolle der Frauen, dann aber auch zur Tierindustrie. Der zweite Block ist Mobilität und Konversion. Da geht es viel um konkrete Ansätze in Kommunen. Der dritte Themenblock ist zu Utopie und Alternativen. Da soll auch eine eher theoretische Herangehensweise aufgemacht werden mit Texten von Marx und Engels sowie Fragen der Planwirtschaft. Wie kann eine ökologische Produktion eigentlich geplant und angegangen werden?
Michael: Die Grundidee ist vom Auftakt in die konkreten Bereiche zu gehen. Da spielt das Rheinland eine Rolle, aber diesmal mehr noch die Proteste gegen die IAA (Internationale Automobil-Ausstellung). Bei der Landwirtschaft wird es sicherlich auch um Pandemien, ihre Entstehung und Verbreitung, gehen. Und es geht darum, immer wieder aus dem Konkreten herauszutreten und das ins Allgemeine einzubetten.
Nora: Gerade bei dem Thema haben viele auch Angst. Und da eine gesamtgesellschaftliche Perspektive aufzumachen und zu fragen, was wissen wir eigentlich, wo stehen wir und was können wir auch noch beeinflussen, kann helfen und auch Mut machen, wenn man die Zusammenhänge sieht.

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