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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2021

Am Tag des Pflegenotstands demonstrierten in Hamburg Pflegekräfte und Menschen aus dem Stadtteil gegen den Verkauf ihres Krankenhauses
von Axel Hopfmann*

Von berufsständischen Vereinigungen der Pflege wird der 12.Mai als «internationaler Tag der Pflege» gefeiert. Nicht so von Initiativen, die sich um die Personalausstattung im Gesundheitswesen kümmern. Aus deren Sicht wurde der Feiertag umbenannt in «Tag des Pflegenotstands», und zu feiern gibt es wenig.

Dieses Jahr gab es in Hamburg am «Tag der Pflege» mehrere Gründe zum Nichtfeiern. Der erste Grund:
Der Umgang der Krankenhausleitungen mit dem Personal wird zunehmend rabiater. Zweimal wurde von privaten Krankenhauskonzernen versucht, Betriebsrätinnen zu kündigen. Das erste Mal, weil die Kollegin öffentlich über Missstände gesprochen hatte. Das zweite Mal unter dem fadenscheinigen Vorwand eines angeblichen Arbeitszeitbetrugs, weil die Kollegin ihre Arbeitszeit als Betriebsrätin ganz legal geltend gemacht hatte. Beide Versuche wurden abgewehrt. In beiden Fällen standen die Krankenhausbetreiber in der Öffentlichkeit nicht gut da. Ob sie das von weiteren Versuchen abhalten wird, muss sich noch zeigen.
Der zweite Grund zum Nichtfeiern: 
Im Süden Hamburgs, auf der Elbinsel Wilhelmsburg, gibt es ein kleines Krankenhaus, das für die Versorgung der lokalen Bevölkerung eine wichtige Rolle spielt. Nun handelt es sich bei dieser gerade nicht um Reiche und Besserverdienende. Das Krankenhaus wird von der katholischen Kirche getragen. Es ist für sie immer schwieriger geworden, das defizitäre Haus zu finanzieren. Denn lukrative Privatpatient:innen sind hier nicht in Sicht. So bemüht sich die Kirche, das Haus loszuwerden. Eigentlich die Chance für den rot-grünen Senat, wieder ein Krankenhaus in öffentliche Trägerschaft zu bekommen. Sind es doch gerade die diesen Senat tragenden Parteien, die gerne lautstark und öffentlich kritisieren, dass die Privatisierung der ehemals städtischen Krankenhäuser einer der größten Fehler des damaligen CDU-Senats gewesen sei.
Die Leitung des Universitätskrankenhauses war auch gar nicht so abgeneigt, in die Rolle des Trägers zu schlüpfen. Ein Angebot auf dem Silbertablett, wie es sich die sozialdemokratische Gesundheitssenatorin Melanie Leonhard eigentlich nicht schöner hätte wünschen können. Oder?
Der Antrag der Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft, das Krankenhaus in öffentliche Trägerschaft zu übernehmen, wurde abgelehnt. Stattdessen soll es an einen «privaten Investor» gehen. Ungeschönt: An einen profitorientierten Krankenhauskonzern, zum Schaden der Bewohner:innen der Elbinsel. Noch ist das Geschäft nicht in trockenen Tüchern, aber die Krankenpflegeschule wurde schon mal dichtgemacht, um den Laden für den «privaten Investor» attraktiver zu machen. Wie sich das mit dem beklagten Pflegepersonalmangel und den aufwändigen Werbekampagnen des Senats verträgt, doch bitte den Pflegeberuf zu erlernen, bleibt das Geheimnis der Sozialsenatorin. 

Keine Feier, aber Protest
Trotz Coronabedingungen gab es am Tag des Pflegenotstands eine gemeinsame Kundgebung des Hamburger Bündnisses für mehr Personal im Krankenhaus mit der Stadtteilinitiative «Groß-Sand bleibt» (Groß-Sand ist der Name des Krankenhauses). Wegen der Coronabedingungen konnten nur etwa 200 Menschen teilnehmen. Eingeladen war auch die Sozialsenatorin, aus deren Büro es eine laue Absage gab, die auf das Angebot, eine Vertretung zu schicken, gar nicht einging. Von den Grünen kam der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses der Bürgerschaft. Die Linke schickte ihren gesundheitspolitischen Sprecher.
Und noch etwas Wissenswertes:
Die Klagen über den Personalmangel gehören zu den halben Wahrheiten, die verdammt nah an einer ganzen Lüge sind. Die ganze Wahrheit ist diese: Das Problem ist die Flucht aus dem Beruf. Bundesweit sind etwa 400000 Pflegekräfte aus dem Beruf ausgestiegen. Nach der Studie «Pflege Come Back» wären 48 Prozent von ihnen bereit, wieder in den Beruf einzusteigen. Befragt wurden die Ausgestiegenen auch nach den Bedingungen, zu denen sie das tun würden. Ganz oben auf der Wunschliste stand eine auskömmliche Personalbemessung.
Zur Flucht gehört auch Teilzeitarbeit, um die Bedingungen überhaupt noch aushalten zu können. Mit einer anständigen Personalbemessung wäre das Personalproblem lösbar.

*Der Autor war Krankenpfleger und hat zum Schluss in der Hamburger Gesundheitsbehörde als Fachreferent für Patientensicherheit gearbeitet. Er ist einer der Sprecher des Hamburger Bündnisses für mehr Personal im Krankenhaus.
Weitere Informationen auf www.pflegenotstand-hamburg.de.

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