Wo sind Grundrechte während der Corona-Pandemie baden gegangen? Der Report ist ein nützlicher Leitfaden
von Leni Klaaß
Zum 25.Mal nehmen Jurist:innen und Bürgerrechtler:innen staatliche Institutionen und ihren Umgang mit Grundrechten genauer unter die Lupe.
Im Fokus steht dieses Jahr – wie zu erwarten – die Corona Pandemie.
Nicht nur aus politischer und medizinischer Sicht hat das Corona-Virus unsere Gesellschaft vor Herausforderungen gestellt. Auch juristisch hat es bewegt und viele Debatten hervorgebracht. Von Versammlungsverboten und Maskenpflicht bis hin zur Verzögerung des Zugangs zu Asyl – die Pandemie bietet viele Einfallstore für Eingriffe in die Grundrechte.
Das Recht auf effektiven Rechtsschutz ist eines von vielen betroffenen Grundrechten. Andreas Engelmann stellt in seinem Kapitel «Der Zweck und die Mittel» fest, dass der Rechtsschutz unter Pandemiebedingungen defizitär ist: «Eine Rechtsprechung, die sich selbst unter Quarantäne setzt, darf es gerade zu Pandemiezeiten nicht geben.»
Grundvoraussetzung einer funktionierenden Rechtsprechung sei es, die Gegenseite zu hören. Das sei aber in Corona-Urteilen völlig verloren gegangen. Persönliche Belange wie der eigene psychische Zustand oder soziale Bedürfnisse habe die Rechtsprechung vergessen und übergangen.
Die Folge: Grundrechte werden entwertet, denn ihr Wert sei gerade daran zu messen, wie sie unter Krisenbedingungen eingehalten werden.
Corona ist jedoch nicht das einzige Thema, das der Grundrechte-Report behandelt. Die Autor:innen schreiben über Rassismus, Gendergerechtigkeit, Asyl, Pressefreiheit und die Klimakrise.
Besonders die Klimakrise spielt eine enorm große Rolle: Weltweit verändert sie nicht nur Mensch und Gesellschaft, sondern fordert auch die Justiz zum Umdenken auf.
Neue rechtliche Aspekte, die durch den Klimawandel entstehen, diskutiert die Autorin Myriam Fromberg. Sie stellt die Frage, ob es ein Grundrecht auf Klimaschutz gebe. Außerdem beleuchtet sie, welche globale Verantwortung Deutschland in der Klimakrise trägt. Dabei macht sie deutlich, dass der Report sich nicht nur in Schwarzmalerei und scharfer Kritik übt, sondern auch positive Tendenzen der Justiz erkennt: Die Forderungen, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, «werden von einem breiten Konsens der Klimaforschung getragen und scheinen auch nach der Rechtsprechung des BVerfG folgerichtig».
Doch viel Platz für positive Worte bleibt nicht und das ist auch gut so, denn die Autor:innen des Reports wollen «Grundrechte aktiv einfordern und verteidigen».
Wie notwendig das ist, zeigen sie in 43 Einzelbeiträgen, denn Grundrechtseingriffe sind keine Seltenheit und ihre Rechtfertigung teilweise hoch umstritten sowie fragwürdig. Das Dickicht von Paragrafen und das Juristendeutsch in den Urteilen können viele Menschen kaum durchdringen. Daher ist es für sie schwer, solche Eingriffe richtig zu identifizieren und sich gegen sie zu wehren. Umso wichtiger ist die Arbeit der Autor:innen des Grundrechte-Reports, die komplexe Justiz- und Rechtswelt verständlicher zu machen und auf die Schwachstellen des bürgerlichen Rechtstaats zu verweisen.
Es gelingt ihnen, sachlich, hervorragend strukturiert und in einfacher Sprache herausfordernde Sachverhalte zu erklären. Der Report bietet jeder und jedem die Möglichkeit zu verstehen, welche Rechte ihm oder ihr zustehen und welche zu verteidigen sind. Ein Buch, das jede Einzelne und jeden Einzelnen betrifft.
Grundrechte-Report 2021. Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland. Frankfurt/M.: Fischer, 2021. 267 S., 12 Euro.
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