Bei den Regionalwahlen in Frankreich ist die Partei von Staatspräsident Macron abgestürzt, die Partei von Marine Le Pen hat ihr Wahlziel nicht erreicht
Gespräch mit Christine Poupin
Die Regionalwahlen sind nicht so ausgefallen, wie die Umfragen das vorhergesagt haben: Der Rassemblement National (RN, früher Front National) konnte nicht den Durchbruch erzielen, der ihm vorausgesagt wurde, und hat keine Region erobern können, nicht einmal die sicher geglaubte Region Provence-Alpes-Côte d’Azur (PACA). Wie interpretierst du das?
Zunächst einmal ist zu berücksichtigen, dass nur einer von drei Wahlberechtigten zur Wahl gegangen ist; d.h. zwei Drittel der Wahlberechtigten haben gestreikt. Das Ergebnis ist deshalb zwangsläufig verzerrt. Meinungsforscher sprechen aber auch von einem Rückfall in die Zensuswahl, d.h. dass nur noch die Reichen und Bessergestellten zur Wahl gehen, die ärmeren und prekären Bevölkerungsschichten sind an den Urnen nicht mehr vertreten. In den ärmeren Stadtteilen und unter Jugendlichen war die Wahlbeteiligung am niedrigsten.
Das Ergebnis kann uns deshalb in keinster Weise beruhigen. Es ist in einer gewissen Hinsicht sehr konservativ. Es bewegt sich nichts. Die Amtsinhaber haben ihre Position gehalten, gleich ob sie der konservativen Rechten (der Republikanischen Partei, LR) oder der Sozialistischen Partei angehören. Darin zeigt sich das Beharrungsvermögen der alten Welt.
Wird das schwache Ergebnis des RN zu einer Radikalisierung in seinen Reihen führen?
Der RN ist eine sehr hierarchisch strukturierte Partei, da hat die Chefin das Sagen. Aber natürlich gibt es jetzt noch mehr Raum für radikalere Töne, die Lust an der Provokation, an der Aufdeckung vermeintlicher Skandale, an Verschwörungstheorien wird zunehmen.
Diese Tendenz ist schon in den letzten Jahren aufgetreten. Im Windschatten der Wahlerfolge des RN haben sich zahlreiche militante Sektoren der extremen Rechten wie die Identitären, die selber nicht dem RN angehören, zu Aggressionen gegen Muslime ermutigt gefühlt. Die Hemmschwelle für Gewalttaten sinkt – ob das die Ohrfeige für Macron war oder die Mehlattacke auf Mélenchon oder die simulierte Erschießung einer Puppe, die einen Aktivisten seiner Partei darstellte. Die Reaktion auf der anderen Seite ist, den Ernst der Lage herunterzuspielen: Ach, das ist nicht so schlimm, das hat nicht viel zu bedeuten, das sind Verrückte.
Gleichzeitig will der RN natürlich auch zeigen, dass er regieren kann. Diese Bandbreite muss er abdecken.
Welche Schatten wirft das auf die Präsidentschaftswahlen?
Bei den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr ist mit einer solch niedrigen Wahlbeteiligung natürlich nicht zu rechnen. An den Bedingungen, die zum Aufschwung der extremen Rechten geführt haben, hat sich allerdings durch die Regionalwahlen nichts geändert.
Man soll sich nicht täuschen: Unter den wiedergewählten Amtsinhabern der Konservativen stehen einige sehr weit rechts. Valérie Pécresse (Region Paris) oder Laurent Wauquiez (Region Auvergne-Rhône-Alpes) stehen für die harte Rechte, extrem neoliberal und extrem autoritär. Sie sind von manchen Anhängern des RN nicht zu unterscheiden. Wir können also nicht sagen: Wir sind vom RN verschont geblieben.
Und es ist die Regierung Macron, die mit ihren Sicherheitsgesetzen und ihrem Gesetz gegen den «Separatismus», das den Islam zum Feind erklärt, die den Boden bereitet für Leute, die weitergehen wollen. In ihrem Windschatten gibt es dann so beunruhigende Auftritte wie in den letzten Monaten den Aufruf der Reservisten, gefolgt vom Aufruf diensttuender Soldaten und der Demonstration der Polizisten. Das Tragische an dieser Demonstration war, dass sich auch Abgeordnete der Linken, bis hin zur PCF daran beteiligt haben.
Wenn man weiß, das 74 Prozent der Polizisten für die extreme Rechte stimmen, dann kann man sich vorstellen, welche Gefahr die Ausbreitung rechtsextremer Haltungen in den Repressionsorganen darstellt, wenn deren Macht, wie es geschieht, durch einen autoritären Staat gestärkt wird. Die Lage ist äußerst gefährlich.
Hinzu kommen die äußerst schwachen Ergebnisse für die Linke insgesamt. Im Regionalparlament von PACA sitzt überhaupt kein Linker mehr. Und die extreme Linke hat gar keine politische Vertretung mehr.
Warum beteiligen sich linke Abgeordnete an einer Demonstration der Polizei?
Sie haben gesagt, dass ist eine gewerkschaftliche Demo, bei der es um die Arbeitsbedingungen der Polizisten geht. Aber das war ja nicht alles, was da thermatisiert wurde. Da wurden z.B. auch schnellere Urteile und höhere Strafen gefordert, die Justiz müsse stärker durchgreifen, der Umgang mit Rechtsbrüchen sei zu lax, usw. La France Insoumise, die Partei von Mélenchon, hat sich an den Demos nicht beteiligt.
Wie seid ihr in diese Lage gekommen?
Ich glaube, der Hauptgrund dafür liegt im Zusammenbruch der Linken. Auf allen Ebenen erleben wir Offensiven, etwa auf der sozialen Ebene. Hier gibt es zwar Widerstand, aber keine Erfolge – die letzten Erfolge liegen so lange zurück, dass sich kaum noch jemand daran erinnert (das war 2006, als ungeschützte Arbeitsverträge bei der Ersteinstellung eingeführt werden sollten). Seither häufen sich die Niederlagen in Kämpfen, die geführt wurden, und auch solche von Kämpfen, die nicht geführt wurden. Es gibt eine allgemeine gesellschaftliche Regression, eine Auflösung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, und auf der politischen Ebene fehlt eine glaubwürdige emanzipatorische Alternative. Da macht sich dann Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung breit, die die extreme Rechte auszuschlachten weiß.
Welches sind die Themen, die die Linke am meisten spalten?
Das ist zum einen die Islamophobie. Das ist ein klassisches Blitzableiterthema, mit dem die Regierung von ihren eigenen Defiziten ablenken kann. Der Islam ist zum Sündenbock geworden, zu der Gefahr, die uns bedroht, gegen die wir uns und unsere angeblichen Werte verteidigen müssen.
Die größte Brechstange für die Islamophobie ist der in Frankreich tief im Staatsverständnis verwurzelte Laizismus – ein vermintes Feld und ein Thema, bei dem die Linke regelmäßig einknickt. Damit macht sie sich zur Komplizin der rechten Politik. Das Thema spaltet die Arbeiterbewegung wie auch die Frauenbewegung. Zum Glück erleben wir derzeit einen Aufschwung von Protesten junger Frauen, die sich ganz klar gegen rassistische und islamophobe Politik wenden.
Gibt es neue Mobilisierungen, neue soziale Kräfte, die sich in Opposition dazu entwickeln?
Die neuen Ansätze einer feministischen Bewegung sind dafür äußerst wichtig. Es gab diese Demonstration in Nizza am 5.Juni, wo 5000 Frauen aller sexuellen Orientierungen aus mehreren europäischen Ländern zusammenkamen, um gegen die Unterdrückung und die Gewalt gegen Migrant:innen zu protestieren.
Diese Proteste gegen das sog. Separatismusgesetz haben Männer und Frauen aus vielen verschiedenen Milieus zusammengeführt. Hier wird versucht, Bündnisse zu schmieden, etwa mit Gelbwesten, oder mit der Vereinigung von Bürgermeistern, die gegen den Einsatz von Polizeigewalt in den ärmeren und abgehängten Stadtteilen eintreten.
Aus dem Protest gegen die Schließung einer McDonald’s-Filiale in der Nähe von Marseille hat sich eine Initiative entwickelt, die die Filiale als Ort von solidarischer Ernährung beansprucht. Das ist alles sehr wichtig, findet aber keinen politischen Ausdruck.
Was müsste die Rolle von Antikapitalist:innen und Ökosozialist:innen sein?
Sie müssten zusammen mit diesen Aktivist:innen nach Wegen suchen, wie sie ins politische Räderwerk eingreifen können. Denn alle diese Menschen machen ja Politik, aber nicht im gegebenen institutionellen Rahmen. Deshalb bleiben all jene, die eine linke Alternative suchen, letztlich ohne eigenen politischen Ausdruck. Dieses Problem gibt es überall, es war auch schon das Problem des arabischen Frühlings. Es gibt mehr oder weniger starke Bewegungen, aber auf politischer Ebene stagniert alles bzw. gehen wir den Krebsgang. Ohne diese zusätzliche Dimension werden wir es nicht schaffen, eine Gegenhegemonie aufzubauen – dann bleibt der rechte Diskurs hegemonial.