In Hamburg sind zwei Volksbegehren für eine stärkere Regulierung
des Immobilienmarkts geplant
von Gaston Kirsche
Derzeit werden in Hamburg parallel zwei Volksbegehren unter dem Motto «Keine Profite für Boden und Miete» vorangetrieben. Die beiden Volksbegehren wurden vom traditionellen «Mieterverein zu Hamburg» und dem alternativ geprägten Verein «Mieter helfen Mietern» initiiert.
Die erste Stufe einer Volksinitiative wurde trotz Coronapandemie bereits geschafft – im Oktober wurden jeweils einige tausend Unterschriften mehr als die benötigten 10000 bei der Hamburger Bürgerschaft eingereicht. Nun muss sich das Landesparlament mit den Forderungen befassen; bei Ablehnung durch die rotgrüne Mehrheit werden Unterschriften für zwei Volksbegehren gesammelt.
Die Begehren
Erstens soll die Stadt zukünftig keine Grundstücke mehr verkaufen, sondern nur noch in Erbpacht vergeben. Auf diese Art würde die Stadt die Hoheit über ihren Grund und Boden behalten, statt sie in die Hände von Finanzinvestoren zu legen. Beim Erbbaurecht bleibt die Stadt Eigentümerin, vergibt aber für 60 bis 99 Jahre gegen eine Pacht das Recht, dort zu bauen oder bestehende Gebäude zu nutzen.
Zweitens soll das Mietpreisniveau bei zukünftigen Neubauten auf städtischem Grund das von Sozialwohnungen nicht überschreiten, die Nettokaltmiete zu Beginn nicht höher sein als die des ersten Förderwegs im sozialen Wohnungsbau. Später soll die Miete jährlich höchstens um zwei Prozent steigen dürfen.
Die entscheidende Frage ist, ob in Hamburg genug politischer Druck aufgebaut werden kann, damit die beiden Volksbegehren von einer Mehrheit angenommen und tatsächlich umgesetzt werden. Denn die Hamburger Volksbegehren sind nicht aus einer starken sozialen Bewegung von unten entstanden, sondern weitgehend in den Büros der beiden Mietervereine. Die haben viele Mitglieder. Aber sie nutzen die Vereine zumeist als Serviceeinrichtung und Mietrechtsberatung. Eine politische, soziale Bewegung kann aber nicht nur von einzelnen Mieterinitiativen und Stadtteilgruppen getragen werden.
Im Schlepptau der Immobilienhaie
Dies wird jetzt in den Verhandlungen mit der Stadt deutlich. «Es liegt sicher im Interesse der Stadt, einen Volksentscheid zu verhindern» durch Übernahme der Forderungen, meint der Vorsitzende des Mietervereins Chychla im Interview mit der Taz: «Nach meinem Kenntnisstand hat man derzeit das Gefühl, mit der Stadt auf Augenhöhe zu verhandeln und dabei auch wirklich ernst genommen zu werden. Das sind ja auch keine Forderungen, die nicht erfüllbar wären.» Dabei bezieht er sich darauf, dass im Koalitionsvertrag zwischen Grünen und SPD steht, man wolle eine Umkehr in der Bodenpolitik – Erbbaurecht statt Verkauf.
Aus dem Blick gerät ihm dabei, dass Koalitionsverträge eher Wahlversprechen protokollieren als praktische Politik festlegen. So nimmt die Stadt Hamburg jährlich etwa 35 Millionen Euro aus dem Verkauf von Baugrundstücken ein. Der rot-grüne Senat kennt sich im Erbbaurecht sicher aus, aber er gibt den Verwertungsinteressen von Immobilienkonzernen und Finanzinvestoren gerne nach.
«Luxusmodernisierung, Eigenbedarfskündigungen und das Dahinschmelzen des Sozialwohnungsbestandes verschlimmern die Situation», kritisiert das Bündnis «Keine Profite mit Boden und Miete». «Jahrzehntelang hat der Senat städtische Flächen zu Höchstpreisen verkauft und damit die Preise in die Höhe getrieben.» Dafür gibt es auch ein informelles, aber etabliertes Gremium: Das Hamburger «Bündnis für das Wohnen». Der Senat sitzt dort seit 2011 mit den Verbänden der Wohnungswirtschaft zusammen, um für das ehrgeizige Ziel des Neubaus von 10000 Wohnungen optimale Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Auflagen an die Kapitalseite sind handzahm. Die Mietervereine sitzen zwar auch mit am Tisch – aber entscheidend ist, wer baut.
Wer baut für wen?
Die Zahlen zum Wohnen in Hamburg bestätigen: Es wird zwar viel gebaut, aber eher für Vermögende. 956476 Wohnungen gab es 2019 in der Stadt, davon waren 24 Prozent Eigentumswohnungen, Tendenz steigend.
Knapp 56000 Wohnungen wurden gebaut, seit Olaf Scholz als frisch gewählter Bürgermeister Hamburgs vor zehn Jahren die Bauoffensive verkündete, 3200 dafür abgerissen. Die Durchschnittsmieten sind seit 2011 um gut 21 Prozent gestiegen.
368000 Haushalten mit Anspruch auf eine Sozialwohnung stehen nur 211000 Wohnungen – vor allem der Genossenschaften – auf Sozialmietniveau gegenüber, sagt Katrin Brandt im Gespräch mit der SoZ. Die Geschäftsführerin von Stattbau Hamburg Stadtentwicklungsgesellschaft mbH, die viele nicht gewinnorientierte Bauprojekte betreut, betont auch, dass die Anzahl der Wohnungen für vorrangig Wohnungssuchende – von Wohnungslosigkeit Betroffene oder Obdachlose – massiv zurückgegangen ist. Waren es 2014 noch 53350 Wohnungen, so ging der Bestand bis Ende 2020 auf 32530 Wohnungen zurück – bei gestiegenem Bedarf, etwa für Flüchtlinge, die aus Sammelunterkünften ausziehen möchten.
Der Bestand an Sozialwohnungen lag vor vierzig Jahren laut Marc Meyer vom Verein «Mieter helfen Mietern» noch bei 400000. Seit Olaf Scholz 2011 seine Bauoffensive verkündete, sank er von 95000 auf 79000. Die Hamburger Sparkasse erhob schon 2018, dass fast ein Drittel der Hamburger Miethaushalte für ihre Wohnung die Hälfte des Einkommens aufbringen müssen, bei 16 Prozent war es sogar mehr als die Hälfte.
Kaum Protest
Obwohl die beiden Mietervereine nicht müde werden, dies zu kritisieren, gibt es bisher nur punktuell und keineswegs in der ganzen Stadt Ansätze für Protest, wie etwa die Mieterinitiative Steilshoop in der gleichnamigen Großsiedlung. Dort gehören Deutschlands größtem Immobilienkonzern Vonovia 30 Prozent der Wohnungen. Die Mieterinitiative kämpft dafür, dass notwendige Instandsetzungen nicht zu Mieterhöhungen wegen vermeintlicher Modernisierung führen, und wehrt sich gegen überteuerte Abrechnungen.
Viele Großsiedlungen, die als Sozialwohnungen zur Versorgung von Mieter:innen mit geringeren Einkommen gebaut worden waren, gehören derzeit Konzernen wie Deutsche Wohnen oder Vonovia. Die Unmöglichkeit, an bezahlbare Wohnungen heranzukommen, führt, wie die Vermarktung anderer Bereiche der Daseinsvorsorge auch, zunehmend zur Verarmung gerade derer, deren Alltag bei unterdurchschnittlichen bis miserablen Einkommen materiell eh nicht abgesichert ist.
Das gesellschaftliche Kräfteverhältnis begünstigt derzeit den «freien Markt». Das führt dazu, dass auch Regierungen, die von SPD, Grünen bis hin zur PDS und ihrer Nachfolgerin DIE LINKE gebildet werden, der Bereicherung sich mästender Immobilienkonzerne kaum etwas entgegensetzen – von rühmlichen Ausnahmen wie in Berlin abgesehen.
Kontakt zum Bündnis für die Hamburger Volksbegehren: https://keineprofitemitbodenundmiete.de/.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.