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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 07/2021

Länger arbeiten, weniger Geld
von Daniel Kreutz

«Riester» ist gescheitert, Betriebsrenten – so es sie denn gibt – bringen meist nur ein kleines Zubrot. Nach den Daten des Mikrozensus liegt die Armutsquote der Rentner- und Pensionär:innen zusammen seit 2014 über dem Wert der Gesamtbevölkerung, und die Groko scheint die Lust an weiteren neoliberalen Rentenreformen verloren zu haben.

Doch die Interessenvertretungen des Kapitals, die einst Riester und die Rente ab 67 herbeiführten, waren nicht untätig, geschweige denn tot. Jetzt, angesichts der fiskalischen Folgen der Corona-Krise, wittern sie Morgenluft, erheben sich wieder rasselnd aus ihren vermeintlichen Gräbern und intonieren erneut ihr schauriges Lied vom «demografischen Wandel», der die Rente bald «unbezahlbar» mache, vom «Betrug an der jüngeren Generation», von der «Notwendigkeit», die Lebensarbeitszeit weiter zu verlängern.
Rente erst ab 68 fordert der «wissenschaftliche» Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium. Im April plädierten fünf Wirtschaftsinstitute in ihrer «Gemeinschaftsdiagnose» im Auftrag des BMWi eher für 69, modellrechnen aber auch schon mal mit 70 und mit 75. Manche übliche Verdächtige, etwa BMWi-Beirat Börsch-Supan, sind für einen automatischen Mechanismus, der Steigerungen der Lebenserwartung in Erhöhungen der Regelaltersgrenze umsetzt. So auch die EU-Kommission, die in ihrem «Grünbuch zum Thema Altern» vom Januar 2021 ihren Kurs auf länger arbeiten, mehr sparen, weniger haben bekräftigt. Michael Hüther, Chef des arbeitgeberfinanzierten Instituts der deutschen Wirtschaft, orakelte bereits 2012, beim Start der Anhebung des Rentenalters: «Wir werden über die Rente mit 69, die Rente mit 70 nicht nur reden, wir werden sie auch bekommen.»
Indes ist das Rentenalter nicht das einzige Angriffsziel. Der kommende Bundestag muss entscheiden, ob das Rentenniveau nach Ende der «Haltelinie» weiter sinkt. Die FDP fordert, 2 Prozent des Rentenversicherungsbeitrags in eine «Aktienrente» umzuleiten und so die gesetzliche (umlagefinanzierte) Rente stärker zu kürzen. Derweil eröffnete eine 2020 in Kraft getretene EU-Verordnung den Binnenmarkt für einheitlich strukturierte private Altersvorsorgeprodukte. Diese sollen bis 2030 zusätzliche 700 Milliarden an frischem Geld auf den EU-Kapitalmarkt spülen.
In den 2000er Jahren hatte die Beschwörung der demografischen Entwicklung Widerstände gegen den Rentenklau erfolgreich marginalisiert. Um dagegen zu bestehen, müssen wir der einfachen Erkenntnis zum Durchbruch verhelfen, dass die Rentenfinanzierung keine demografische, sondern eine Verteilungsfrage ist. Und dass der «Betrug an der jungen Generation» planmäßig und gezielt von denen verübt wird, die sich als deren Beschützer ausgeben, um hinter der inszenierten Nebelwand nur die primitive Gier superreicher Kapitaleigner zu bedienen.

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