Wir sind den Afghanen Reparationen schuldig
von Angela Klein
Jetzt vergießen sie Krokodilstränen über das Schicksal der Frauen unter der Herrschaft der Taliban. Man darf sie Krokodilstränen nennen, weil diese Frauen von den Falschen beweint werden. Solche, die sie für ganz andere politische Zwecke instrumentalisieren. Die in der Stunde ihrer Niederlage deutlicher denn je zeigen, wie sehr ihnen das Schicksal der afghanischen Bevölkerung am … vorbeigeht. Was ihre sog. westlichen Werte wert sind.
Während Tausende verzweifelt versuchen, ein Flugzeug zu besteigen, achten diese Leute säuberlich darauf, dass «die Richtigen» an Bord kommen – die Europäer mehr noch als die Amerikaner. Noch bevor die ersten Flugzeuge gelandet sind, wird hier geschrien: 2015 darf sich nicht wiederholen! O-Ton Dobrindt: «Keine Aufnahme von Flüchtlingen.» Die sollen gefälligst in den Nachbarstaaten Pakistan und Usbekistan unterkommen. Nicht den Eindruck erwecken, die afghanischen Probleme ließen sich in Deutschland lösen.
War das je gewollt? «Wir» haben doch nur gegen den Terror gekämpft. Aber Osama bin Laden ist schon seit zehn Jahren tot. Und er war Saudi, nicht Afghane; am Attentat vom 11.September war kein einziger Afghane beteiligt. Das saudische Königshaus wurde dafür nie zur Rechenschaft gezogen. «Wir» wollten in Afghanistan auch etwas ganz anderes: nämlich einen militärischen Stützpunkt der NATO vor der Nase von Russen und Chinesen.
Dafür hat die Bundeswehr gemordet. Sehr konservative Schätzungen sprechen von 160000 Afghanen, die im «Krieg gegen den Terror» ihre Leben gelassen haben, afghanische Schätzungen kommen auf mehrere hunderttausend. Warum weiß man die genaue Zahl nicht? Weil afghanische Menschenleben nicht zählen – deshalb wurden sie auch nicht gezählt: Die NATO hat es abgelehnt, tote Afghanen zu zählen.
Für die deutschen Afghanistan-Soldaten ist eine öffentliche Ehrung im Gespräch. Was ist mit den Verbrechen, die sie (auf Befehl) begangen haben? Kundus 2009: Die Bundeswehr bombardiert einen überwiegend zivilen Treck, mit über hundert Toten und Schwerverletzten, darunter Kinder – schon vergessen? Die Verfahren gegen Oberst Georg Klein und Verteidigungsminister Jung endeten mit Freisprüchen. Was ist mit den hunderten von Verbrechen ihrer örtlichen Verbündeten, den Warlords, die sie gedeckt haben?
2010 veröffentlichte Wikileaks darüber 76000 bis dahin geheime Dokumente – dafür sitzt Julian Assange in einem britischen Untersuchungsgefängnis und muss fürchten, an die USA ausgeliefert zu werden. Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, sagt, Assange wurde und wird von westlichen Regierungen systematisch gefoltert.
Jetzt ist nicht die Zeit, mit dem Finger auf die Taliban zu zeigen. Es ist die Zeit, mit Leuten wie Armin Laschet abzurechnen, die noch mehr Waffen und noch mehr Kriegseinsätze fordern. Es ist Zeit, Flüchtlinge aus Afghanistan vorbehaltlos aufzunehmen – das ist das mindeste, was die deutsche Regierung an Reparationen leisten kann.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.