Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2021

Der Kanzlerkandidat der Union steht für Umweltzerstörung statt ­Klimaschutz, Polizeistaat statt Grundrechte
von Gerhard Klas

«Wir regieren NRW so, wie ich es mir auch im Bund vorstellen würde», erklärte der amtierende NRW-Ministerpräsident Ende des vergangenen Jahres gegenüber der Wirtschaftswoche. Das ist eine offene Kampfansage des CDU-Kanzlerkandidaten, denn Umweltschutz und Grundrechte stehen in NRW auf der Abschussliste, auch wenn sich Laschet im Wahlkampf gerne als Umweltfreund und während der Pandemiemaßnahmen zeitweise als Verfechter der Grundrechte aufführte.

«Armin, der Lügner» – seit der Flutkatastrophe ist das in NRW häufig zu hören. Denn Laschet hatte da behauptet, sein Bundesland sei Vorreiter in Sachen Klimaschutz. Tatsächlich hat die Landesregierung das NRW-Klimaschutzgesetz erst drei Wochen vor der Flutkatastrophe verabschiedet – in Anlehnung an das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes und das daraufhin novellierte Bundesklimagesetz.
Die Landesregierung hält nach wie vor am viel zu späten Kohleausstieg 2038 fest. Und tritt auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien ganz im Interesse von RWE kräftig auf die Bremse: Für Windräder ist im neuen Gesetz ein Mindestabstand von 1000 Metern zu Wohnsiedlungen festgelegt. Viel zu niedrig, um das selbstgesteckte Ziel der Landesregierung von 10500 Megawatt Windkraft bis 2030 zu erreichen – im dicht besiedelten Bundesland können damit noch Flächen ausgewiesen werden. Es wird sogar einen Rückbau von Windanlagen geben: Müssen alte Windräder erneuert werden, gilt auch für sie der neue Mindestabstand. Schon heute ist NRW Schlusslicht beim Ausbau erneuerbarer Energien.
Vor dem Hintergrund der Flutkatastrophe besonders relevant: Im Landesentwicklungsplan 2019 haben CDU und FDP die Obergrenze für den Flächenverbrauch abgeschafft. Bis dahin durften täglich nicht mehr als fünf Hektar Fläche versiegelt werden, etwa sieben Fussballfelder. Das reichte der Landesregierung nicht. Seitdem werden im Schnitt wieder zehn Hektar Land für Gewerbeflächen, Straßen- und Wohnungsbau verbraucht – Tag für Tag.
Als Laschet sich am Tag nach der Flutkatastrophe wieder mal als Klimaschützer präsentiere wollte, ließ die WDR-Moderatorin Susanne Wieseler nicht locker und hakte nach. Das brachte Laschet aus der Fassung: «Ich bin Ministerpräsident, kein Aktivist … Nur weil jetzt ein solcher Tag ist, ändert man nicht die Politik.»
Die Interessen der Bauindustrie, der Energie- und Chemiekonzerne stehen bei der NRW-Landesregierung an erster Stelle, das wurde auch nach der Explosion der Sondermüllverbrennungsanlage in Leverkusen Ende Juli deutlich, in der die Abfälle des Chemieriesen Bayer entsorgt werden. Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz hatte nur vier Proben entnommen, keinen öffentlichen Einblick in die Daten erlaubt und Entwarnung für die Anwohner:innen gegeben. Anders Greenpeace: Dessen Mitarbeiter:innen nahmen mehrere Dutzend Proben und warnten vor dem hochgiftigen und krebserregenden Dioxin, das sie darin fanden.

Gezielt gegen die linken «Störer»
Wer gegen diese Politik demonstrieren will, könnte sich künftig strafbar machen. Bis zu zwei Jahren Gefängnis für einen gewerkschaftlichen Spontanstreik, für die Teilnahme an einer Demonstration gegen Braunkohleabbau oder gegen Neonazis – das könnte in Nordrhein-Westfalen Realität werden. Das neue NRW-Versammlungsgesetz, noch weitaus schärfer als das bayerische Versammlungsgesetz, enthält erhebliche Einschränkungen dieses Grundrechts; es soll Ende des Jahres verabschiedet werden (siehe «Schein & Sein» auf dieser Seite).
Besonders rigide soll künftig mit Gegendemonstrationen umgegangen werden. Die AfD, wegen ihres offenen Rassismus wie keine andere Partei mit Protesten konfrontiert, forderte schon vergangenen Herbst im Landtag, das sogenannte «Störverbot» zu verschärfen und eine «grobe Störung» künftig nicht als Ordnungswidrigkeit, sondern als Straftat zu werten. Der im Januar veröffentlichte Regierungsentwurf von CDU und FDP entspricht dieser Forderung.
Wenn Gemeindepfarrer also künftig Kirchenglocken läuten lassen, AfD-Gegner in ihre Trillerpfeife blasen oder junge Antifaschistinnen einen Parteitag blockieren, setzen sie sich dem Risiko einer Strafverfolgung und letztendlich einer Haftstrafe aus. Das gilt sogar schon für ein Blockadetraining im Vorfeld eines politischen Protests.
Der Kölner Rechtsanwalt Christian Mertens, der schon viele Mandanten in politischen Strafprozessen verteidigt hat, sieht eine eindeutige Tendenz. Die Landesregierung wolle einige «Verhaltensweisen unter Strafe stellen, die von Rechten nicht begangen werden, sondern von Linken». Auch Gewerkschaften sind alarmiert. Der DGB in Nordrhein-Westfalen will eine Überarbeitung des vorliegenden Gesetzentwurfs, kritisiert neben Stör- und Militanzverbot auch die Überwachung von Großversammlungen mit Video- und Tonaufnahmen ohne jeden Anlass und die langen Anmeldefristen für Veranstaltungen und namentliche Ordnerlisten. Außerdem fehle ein «Deeskalationsgebot» für die Polizei, wie etwa im Berliner «Versammlungsfreiheitsgesetz».
Die CDU/FDP-Landesregierung setzt auf null Toleranz und Polizeistaat: Nach ihrem Amtsantritt hat sie die unter der rot-grünen Vorgängerregierung eingeführte, individuelle Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte wieder abgeschafft und vor zwei Jahren ein neues Polizeigesetz verabschiedet, das den Beamten schon jetzt mehr Möglichkeiten an die Hand gibt, u.a. bei Platzverweisen und Ingewahrsamnahmen. Eine überaus bedrohliche Entwicklung, auch angesichts der rechten Netzwerke bei der Polizei.
Die CDU mit Armin Laschet, daran gibt es keinen Zweifel, steht für einen deutlichen Rechtsruck. Daran wird auch eine Koalition mit den Grünen wenig ändern.

Teile diesen Beitrag:
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.