Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2021

Eindrücke von den ersten Tagen des Streiks
von Violetta Bock

Als wir uns frühmorgens am Mittwoch, dem 11.August, dem weißen Pavillon etwas abseits des Haupteingangs nähern, spürt man noch die Unsicherheit. Es ist der erste Streiktag der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Monatelang war das Thema in den Medien, und der GDL-Vorsitzende stand im Zentrum. Vier Wochen wurde abgestimmt, 95 Prozent der Beteiligten machten ihr Kreuz für den Arbeitskampf. Nun ist es an den Kolleginnen und Kollegen ihr Gesicht zu zeigen.

Ich bin an diesem Tag von Kassel nach Köln unterwegs. An beiden Orten merkt man morgens noch die Anspannung und Unsicherheit. Als wir uns der Gruppe in den gelb-grünen Westen nähern, um unsere Solidarität auszudrücken, ist die erste Reaktion: «Da seid ihr aber welche der wenigen.» Kein Wunder bei der Berichterstattung der letzten Monate. Auf der Pressekonferenz tags zuvor in Frankfurt gingen die Fragen der großen Sender und Zeitungen alle in eine ähnliche Richtung: Wie könne man nur jetzt zum Streik aufrufen? Egal, wie oft Klaus Weselsky erklärt, dass es keine gute Zeit zum Streiken gibt und andere Bahnbetriebe längst einen ähnlichen Abschluss unterschrieben haben.
Es erfordert Mut, dann vor dem Bahnhof zu stehen, nicht wissend, wie die Bahnreisenden reagieren. «Streiken ist auch anstrengend, aber anders kommen wir nicht weiter. Die Bahn ist stur.» Man merkt, wie wohltuend eine solidarisch ausgesprochene Bestärkung wirkt.
Ist morgens in Köln noch eine ähnliche Zurückhaltung zu spüren, weil die Streikenden nicht wissen, ob herankommende Bahnreisende gleich schimpfen oder sie bestärken, bietet sich nachmittags bei der Rückfahrt schon ein anderes Bild. Man merkt förmlich, wie das Selbstbewusstsein in den letzten Stunden gestiegen ist. Der Tag ist gut verlaufen.
Es gab Neueintritte, und schon längst sind es nicht nur Lokführer:innen, die sich hier versammeln, sondern Beschäftigte aus den verschiedenen Bereichen vom Bordbistro bis zur Werkstatt. In den Gesprächen erklären sie ihre Motivation. Auch auf sie hat der Streik Auswirkungen, etwa wenn es darum geht, wie sie zu den Streikposten kommen. Auch von ihnen sind manche von der Hochwasserkatastrophe betroffen. Auch sie haben eineinhalb Jahre Pandemie hinter sich.
Doch das Verhalten der DB AG im Tarifkonflikt zeige, wie gering die Wertschätzung für die Beschäftigten sei, und dass der Streik notwendig ist. Natürlich gebe es manche Bahnreisende, die verärgert sind, doch es gebe auch Solidarität.
In München wurde bereits vor Monaten auf Initiative der Münchner Gewerkschaftslinken/Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (MGL/VKG) ein Streiksolidaritätskomitee ins Leben gerufen. Dadurch konnten im Vorfeld Vorbehalte gegen GDL ausgeräumt, Kontakte zu den Ortsgruppen der GDL geknüpft und für den 12.8. eine gemeinsame Aktion organisiert werden. So gelang es, am Donnerstag vor dem Hauptbahnhof eine kleine Kundgebung auf die Beine zu stellen, auf der Gewerkschafter:innen von GDL, IG Metall, Ver.di bis hin zu Einzelnen von der EVG, Sozialist:innen von ISO über DKP bis GAM und auch Klimaaktivist:innen gemeinsam Lieder sangen, in Redebeiträgen den Streik gesamtgesellschaftlich einbetteten und die Notwendigkeit der Solidarität bekräftigten.
Der Arbeitskampf der GDL geht weiter. Im Unterschied zu so manch anderer Tarifrunde des letzten Jahres, in der es vor Ort teils schwierig war, Kontakte aufzubauen, wird Solidarität mit großer Dankbarkeit entgegengenommen. Die Streikposten vor den Bahnhöfen bieten einen niedrigschwelligen Zugang: Man kann sich in den verschiedensten Städten direkt anschließen und mit der Streikzeitung auf Bahnreisende zuzugehen. In Städten wie Berlin wurden bereits gute Erfahrungen gesammelt und auch aus der Klimabewegung, wie etwa von der Leipziger «Students for Future Gruppe», werden Solidaritätserklärungen geschickt.

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