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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2021

Jean Ziegler erklärt seiner Enkelin das kapitalistische System
von Volker Brauch

Jean Ziegler: Was ist so schlimm am Kapitalismus. Antworten auf die Fragen meiner Enkelin. München: C.Bertelsmann, 2019. 128 S., 15 Euro

Im Gespräch mit seiner Enkelin Zohra vermittelt Ziegler einen breitgefächerten Überblick darüber, was sich mit dem Begriff Kapitalismus alles verbindet. Ziegler lehrt Soziologie in Genf und an der Sorbonne. Er war bis 1999 Nationalrat im eidgenössischen Parlament und von 2003 bis 2019 Vizepräsident des Beratenden Ausschuss des UN-Menschenrechtsrats, dessen Berater er bis heute ist.
Jean Ziegler stellt den weltweiten Kapitalismus als eine kannibalistische Ordnung da, die Überfluss für eine kleine Minderheit und mörderisches Elend für die große Mehrheit der Menschheit hervorbringt. Dieses System sorgt für ein tägliches Massaker an zehntausenden Kindern durch Unterernährung, Hunger und Hungerkrankheiten, durch Epidemien, die schon lange von der Medizin besiegt wurden, durch Umweltzerstörung, Vergiftung der Böden und Meere und Vernichtung der Wälder. Dafür führt er eindeutige Belege und Beispiele an.
Grundlage für diese Entwicklung innerhalb eines Jahrzehnts (1992–2002) ist die Verdoppelung des Bruttoweltprodukts, die Verdoppelung des Welthandelsvolumens und die Verdoppelung des weltweiten Energieverbrauchs alle vier Jahre. Zu Beginn unseres Jahrhunderts erlebt die Welt zum erstenmal einen Güterüberfluss. Der Planet ächzt unter seinen Reichtümern, die verfügbaren Güter übersteigen die Grundbedürfnisse der Menschen um ein Vielfaches.
Die Aufteilung und Verfügbarkeit hierüber kommt allerdings mehr und mehr einigen wenigen zugute, die in Luxus leben und die Macht haben, während eine übergroße Mehrheit in Hunger, Mangel und Ohnmacht lebt.
Ziegler zeichnet dabei den historischen Werdegang des Kapitals als wertschöpfende Geldmenge, den Kapitalisten als Wirtschaftssubjekt und gesellschaftlichen Akteur und seine Bereicherung auf Kosten der Arbeiter nach – vom Feudalismus über die Entwicklung von Manufakturen, über das städtische Bürgertum hin zu transkontinentalen Gesellschaften und der Entstehung des Finanzkapitals.
Multinationale Monopole mit ihren Finanz- und Handelsoperationen und ihren innovativen technischen Revolutionen konzentrieren in ihren Händen eine erdrückende wirtschaftliche und politische Macht. Sie setzen sie gnadenlos auch gegen nationale Regierungen ein. Die Bilanzaktiva von Exxon Mobile sind größer als das Bruttoinlandsprodukt Österreichs, die Aktiva von General Motors größer als die von Dänemark.
Aus seiner Erfahrung als UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung (von 2000 bis 2008) gibt Jean Ziegler eine Vielzahl von Beispielen für die Ungleichheit des Zugangs zu vorhandenem Überfluss und Ressourcen, aber auch für die Okkupation des Bewusstseins durch gesteuertes egoistisches Verhalten.
Solange die reichsten 85 Milliardäre der Welt ebenso viele Vermögenswerte wie 3,5 Milliarden Personen, dem ärmsten Teil der Menschheit besitzen, gibt es weder Gerechtigkeit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit für ein auskömmliches Leben.
Das belegt Jean Ziegler mit seinem Büchlein kurz und prägnant.

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