Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2021

Erneuerbarer Strom braucht Speicher – aber Batteriezellen sind schmutzig.
Kann Wasserstoff die Alternative sein?
von Klaus Meier*

In den Debatten über Klimaschutz ist heute das Thema Wasserstoff (H2) allerorten präsent. Das H2-Gas besitzt das Potenzial, viele industrielle Prozesse zu dekarbonisieren – Teile der Chemieindustrie oder auch die Stahlherstellung. Auch mit Wasserstoff angetriebene Lkw, Schiffe und kleinere Flugzeuge sind prinzipiell als klimaneutrale Lösungen möglich. Aber es gibt dafür Grenzen, die zu beachten sind. Die kapitalistische Wachstumsparty einfach mit Wasserstoff fortzusetzen, wird nicht gehen.

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Grundlagen. Wenn man Wasser mit Hilfe von Strom in einem Elektrolyseprozess zerlegt, entsteht dabei Wasserstoff. Er wird als «grün» bezeichnet, wenn man dafür Wind- und Solarstrom einsetzt. Dieser Prozess ist aber mit hohen Energieverlusten verbunden. Etwa 30 Prozent des eingesetzten Stroms gehen verloren.
Danach muss das entstandene Wasserstoffgas für den Transport und die Verteilung unter hohem Druck zusammengepresst und verflüssigt werden. Auch dafür gehen wieder rund 20 Prozent Energie verloren.
Die hohen Energieverluste sind das große Problem der Wasserstoffnutzung. Ohne die fossilen Brennstoffe verfügt die Menschheit über kein unendliches energetisches Füllhorn mehr. Die erneuerbaren Energien liegen, anders als Kohle, Öl oder Erdgas, nicht in einfach abzubauenden großen Lagerstätten vor. Sondern sie müssen mit hohem technischem Aufwand durch Solaranlagen und Windkraftwerke kleinteilig eingesammelt werden.
Wir müssen daher mit Energie und insbesondere mit dem nur verlustreich herstellbaren Wasserstoff sehr sparsam umgehen und dürfen ihn nur gezielt einsetzen. Diese Position vertritt auch das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK). In einer Studie des PIK vermerkt ein Autor: «Wir sollten daher die wertvollen wasserstoffbasierten Brennstoffe pri­oritär für diejenigen Anwendungen einsetzen, für die sie unverzichtbar sind: die Langstreckenflüge, Teile der chemischen Produktion, Stahlerzeugung und möglicherweise einige industrielle Hochtemperaturprozesse.» Also vor allem Sektoren, die kaum direkt elektrifiziert werden können.
Aber was ist mit dem Einsatz von Wasserstoff im automobilen Pkw-Bereich? Macht das Sinn?

Wasserstoff: ein Energiefresser
Die wichtigste Technologie, um Wasserstoff im Mobilitätssektor zu nutzen, ist die Brennstoffzelle. Wenn man ihr H? zuführt, kann sie damit elektrischen Strom erzeugen. Der Strom kann dazu genutzt werden, um Fahrzeuge mit einem Elektromotor anzutreiben.
Das Verfahren hat allerdings einen kleinen Schönheitsfehler: Auch bei der Brennstoffzelle entstehen erneut Energieverluste von rund 30 Prozent. Dazu kommen noch Wandlungsverluste des erzeugten Stroms. Zusammen mit den Verlusten durch die vorherige Elektrolyse und die Verflüssigung des Wasserstoffs kommt ein automobiler Brennstoffzellenantrieb auf energetische Gesamtverluste von bis zu 70 Prozent. Das heißt, von dem elektrischen Strom, den man vorne reinsteckt, kann man am Ende des Prozesses nur wenig über 30 Prozent nutzen.
Würden wir alle heutigen Pkw in Deutschland mit Brennstoffzellen antreiben, bräuchten wir dafür 553 Terawattstunden (TWh) Strom. Das wäre mehr als der gesamte hierzulande erzeugte Strom, denn der lag 2019 bei 519 TWh. Zum Vergleich: Würden alle heutigen Pkw mit Batteriebetrieb ausgerüstet, läge deren Energieverbrauch für die gleiche Fahrleistung bei «nur» 126 TWh. Das wäre auch noch sehr viel, aber dennoch nur 23 Prozent von dem, was ein Brennstoffzellen-Pkw verbraucht.

Fürs Auto untauglich
In dieser Rechnung ist bisher nur der Verbrauch der Autos im Betrieb berücksichtigt, nicht der Energieaufwand für die Herstellung der Fahrzeuge, der Batterien und der Brennstoffzellen. Auch der Verbrauch knapper Ressourcen (Lithium, Kobalt, Kupfer, Platin, seltene Erden und Halbleitermaterialien) ist in der Betrachtung nicht eingeschlossen. Dazu kommt, dass auch elektrische Batteriefahrzeuge auf Öl angewiesen sind, denn Autos bestehen zu 15–20 Gewichtsprozenten aus Kunststoffen (die gesamte Innenausstattung und die Reifen). Nach dem Lebensende eines Autos wird alles verbrannt und es werden Treibhausgase freigesetzt.
Angesichts einer prognostizierten Zunahme der weltweiten Autozahl bis 2050 auf über 3 Milliarden kann das nicht mehr vernachlässigt werden.
Wird dies alles berücksichtigt, kann die Schlussfolgerung nur lauten: Wir müssen den überbordenden Pkw-Individualverkehr unvermeidlich aufgeben.
Sicherlich werden auch in Zukunft noch Autos benötigt werden, aber deren Anzahl kann gegenüber heute massiv reduziert werden. Wir brauchen sie z.B. als Krankenwagen, kleine Lieferfahrzeuge, Handwerkerfahrzeuge oder Leihwagen. Für ländliche Gemeinden, die vom öffentlichen Verkehr abgeschnitten sind, brauchen wir auch Kleinbusse und Pkw, damit die dort Wohnenden flexibel zu ihren Arbeitsstellen, zum Einkaufen oder in ein größeres ärztliches Zentrum kommen.
Welcher Autotyp wäre dafür einzusetzen? Aus energetischen Gründen eher Batteriefahrzeuge als Brennstoffzellenautos.

Für Lkw gut?
Anders verhält es sich mit Lkw oder mit großen Bussen. Die Gesamtenergie, die ein Lkw pro Kilometer verbraucht, ist etwa zehnmal so hoch wie bei einem Pkw. Das Batteriegewicht bei einem derartigen Fahrzeug läge bei mehreren Tonnen. Ein 40-Tonner-Lkw würde beispielsweise 4 bis 5 Tonnen schwere Batterien benötigen. Man müsste fast schon einen Anhänger an das Fahrzeug hängen, nur um die Batterien zu transportieren.
Ein Brennstoffzellenmodul ist dagegen sehr viel platz- und gewichtsparender. Es würde bei einem 40-Tonner bei ungefähr einer Tonne Gewicht liegen. Das liegt durchaus schon in der Größenordnung heutiger Verbrennungsmotoren.
Ein weiterer Vorteil: Das Tanken würde schneller gehen, vielleicht 10 bis 15 Minuten dauern. Das Laden einer sehr großen Lithium-Ionen-Batterie würde dagegen nicht nur sehr lange dauern, man bräuchte für die erforderlichen Strommengen auch fast schon ein kleines Kraftwerk neben der Tankstelle. Zahlreiche Studien belegen, dass die Brennstoffzelle für große Lkw und Busse die bessere Option ist.
Allerdings sind Lkw wahre Energiefresser. Sie stehen heute für rund ein Drittel des Treibstoffverbrauchs. Mit Wasserstoff angetrieben, würden sie noch mehr Energie fressen.
Nicht zuletzt deswegen muss die Zahl der Lkw deutlich reduziert werden. Das kann erreicht werden durch einen wirtschaftlichen Rückbau (weniger Chemie-, Stahl- und Autoproduktion), durch die Abkehr von einer Just-in-Time-Produktion hin zu einer lokal und regional optimierten Produktion, die Industrieprodukte nicht mehr quer über alle Kontinente transportiert. Dazu muss eine Verlagerung von Mittel- und Lang­stre­cken­trans­por­te insbesondere auf die Schiene stattfinden.

Erneuerbarer Strom ist endlich
Neben dem Batterieantrieb und der Brennstoffzelle sind noch synthetische Kraftstoffe (E-Fuels) in der Diskussion. Sie können hergestellt werden, indem Wasserstoff zusammen mit kohlenstoffhaltigen biogenen Rohstoffen (Holz, Stroh, Mais usw.) zu synthetischen flüssigen Kraftstoffen weiterverarbeitet wird. Sie können in normalen Verbrennungsmotoren eingesetzt und wie heutiges Benzin an den Tankstellen gezapft werden.
Doch die Umwandlungsverluste bei der Herstellung und Nutzung von E-Fuels in einem Verbrennungsmotor sind extrem hoch. Dabei entstehen Energieverluste von 87 Prozent. Ein Auto mit Verbrennungsmotor und E-Fuels braucht für die gleiche Strecke rund fünfmal so viel erneuerbaren Strom wie ein batteriebetriebenes Elektroauto. Wollte man alle heutigen Pkw und Lkw in Deutschland mit synthetischen Treibstoffen betreiben, würde man dafür 1100 TWh erneuerbaren Strom benötigen.
Außer diesem wahnwitzig hohen Stromverbrauch bleibt zudem völlig unklar, woher die Biostoffe für die Karbonisierung des Treibstoffs kommen sollen. Trotzdem propagieren Teile der Autolobby diese Technologie für den Automobilsektor. Insbesondere BMW, Bosch und der VDA wollen die synthetischen Kraftstoffe als mögliche Alternative offenhalten.
Die E-Fuel-Befürworter sprechen dabei von «Technologieoffenheit» für die automobilen Antriebslösungen. In Wahrheit ist dies ein Kampfbegriff, hinter dem die Verbrennertechnologie versteckt wird. Denn Hersteller, die vorgeben, dass sie auf synthetische Kraftstoffe setzen, können real ihre schmutzigen Verbrenner weiter produzieren und damit das Weltklima erheblich schädigen. Schließlich winken hier weiterhin große Absatzmärkte und satte Profite.

Bei allen Bewertungen müssen wir berücksichtigen, dass wir nur begrenzt erneuerbaren Strom zur Verfügung haben. Wir brauchen ihn vor allem für warme Häuser und Warmwasser. Dazu noch für die sparsame Herstellung von Wasserstoff.
Den benötigen wir dann in einer verkleinerten Chemie- und Stahlindustrie, in einer reduzierten Lkw-Flotte und in einem deutlich kleineren Schiffs- und Flugzeugsektor. Strom und Wasserstoff hemmungslos für einen ausufernden Auto-Individualverkehr zu verpulvern, steht dagegen in krassem Gegensatz zu jeder gesellschaftlichen Verantwortung.

*Der Autor ist Ingenieur.

Teile diesen Beitrag:
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.