Im Wahlkampf war Rüstung kaum Thema – trotz stabiler Umfragemehrheiten gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr
von Wolfgang Dominik
Wieder haben 95 Prozent der Wähler:innen die Parteien gewählt, die ihnen mehr Kriege, mehr Aufrüstung und damit noch mehr Abbau von Sozialleistungen, Bildung, Renten, bezahlbarem Wohnraum, Menschen- und Völkerrechte und Grundrechte versprechen.
Krieg und Aufrüstung wurden von zu wenigen Linken im Wahlkampf angesprochen. Nur das Todenhöfer-Team warb mit großen Plakatwänden «Renten statt Raketen». Ansonsten blieb das Thema in der Tabu- und Schweigezone.
Der Staat als ideeller Gesamtkapitalist hat die Interessen der Einzelkapitale möglichst gut zu verwalten und bei der Masse der Lohnabhängigen und Prekarisierten für politische Loyalität zu sorgen. Auch durch Zuckerbrot und Peitsche. Je nach Klassenkompromiss gibt es etwas mehr Zuckerbrot oder etwas mehr Peitsche. Viel Erfreuliches ist von der nächsten Regierung nicht zu erwarten.
Die Wahlforderung von Die Partei: «Mindesthirn für alle» verhallte weitgehend ungehört. Warnungen, das Bekenntnis zur NATO bloß nicht in Frage zu stellen, machten die Runde. Kabarettsendungen dürfen noch sagen, wofür das Bekenntnis auch steht: In «Die Anstalt» vom 5.10.21 wurde das noch einmal zusammengefasst.
Was wird da bekannt?
Bekenntnis zur NATO bedeutet: für massenhafte Verbrechen und Gewaltexzesse zu sein, für viele Millionen Post-9/11-wars-Opfer zu sein, für die Zehntausende von Flüchtlingen, die von den NATO-Staaten mitproduziert werden, in den Meeren ersaufen, in den Wüsten krepieren oder in libyschen KZ-ähnlichen Lagern vegetieren – vergewaltigt, versklavt, erschlagen.
Bekenntnis zur NATO bedeutet, dass der NATO-Partner Türkei Syrien überfallen darf, die NATO-Partner Ungarn oder Polen Menschenrechte mit Füßen treten dürfen. Nach der Flucht aus Afghanistan wird auch bekannt, welche verbrecherischen «Partner» mit unseren Steuergeldern über die NATO üppig versorgt worden sind. Diktatorische, autoritäre Regime waren in der NATO stets willkommen, siehe Portugal, siehe das Obristen-Regime in Griechenland. Auch die gegenwärtig größte humanitäre Katastrophe auf der Erde, im Jemen, wird derzeit von den NATO-Staaten mit herbeigebombt.
Bekenntnis zur NATO bedeutet Bekenntnis zum 1999 in Jugoslawien völkerrechtswidrig gegen die UN-Charta und ohne UN-Mandat aus eigener Ermächtigung begonnenen Krieg.
Es bedeutet Bekenntnis zur Vasallentreue zum selbsternannten Weltsheriff USA, Bekenntnis zur nuklearen Erstschlagstrategie der NATO, zur nuklearen Teilhabe, zu den Atombomben in Büchel mit 13facher Hiroshimasprengkraft, für die jetzt für viele Milliarden Steuergelder neue Bomber gekauft werden. Nach Analysen vieler Beobachter:innen ist die Kriegsgefahr größer als je zuvor. Der Sekundenzeiger der Doomsday Clock rückt immer weiter vor.
…und die Friedensbewegung?
Die Friedensbewegung wurde mehrmals gespalten, das war schon in den 50er und 60er Jahren so. Mit dem ersten Krieg gegen den u.a. von Hans Magnus Enzensberger und Wolf Biermann zum zweiten Hitler ernannten Saddam Hussein wurden aus Pazifisten über Nacht Bellizisten. Krieg wurde zur humanitären Operation, zur Frieden schaffenden Mission befördert. Dass allein dieser Krieg rund 500000 irakischen Kindern das Leben gekostet hat, sei als Kollateralschaden, excess deaths, hinzunehmen. Die US-amerikanische Außenministerin Madeleine Albright fand das jedenfalls nicht weiter bedauerlich.
Beim Krieg der NATO gegen Jugoslawien kreierten Teile der Grünen und der SPD ein dritten Hitler, Slobodan Milosevic. Wieder liefen Teile der Friedensbewegung zu den Militaristen und Bombern um Josef (Joschka) Fischer über, der inzwischen den Krieg sogar als Verhinderung eines neuen Auschwitz propagierte. Dass Auschwitz-Überlebende heftigst dagegen protestierten, störte nicht.
Eine dritte Spaltung der Friedensbewegung geschah mit dem 11.September 2001 und dem bald darauf folgenden Krieg gegen Afghanistan. Jetzt wurde Deutschland am Hindukusch verteidigt und musste mithelfen, Mädchen und Frauen zu befreien? In Afghanistan! Nicht in Saudi-Arabien, den Golfstaaten, der Türkei…
Den gemeinsamen Nenner finden
Der parlamentarische Arm der Friedensbewegung war für viele von uns die Partei Die LINKE. Doch Die LINKE bot in den Wochen vor den Wahlen einen z.T. erschreckenden vorauseilenden Gehorsam gegenüber potenziellen Koalitionspartnern in einer rot-rot-grünen-Regierung. Raus aus der NATO? Muss nicht sein!
Rosa Luxemburg, Wolfgang Abendroth, Johannes Agnoli u.a. haben den Domestizierungsprozess von Parteien im bürgerlichen Parlamentarismus so beschrieben: Um an Posten zu kommen, kappt «man» die Verbindungen zu außerparlamentarischen Bewegungen und gibt eigene «rote Haltelinien» auf. Die Friedensbewegung kann nur hoffen, dass sie im Parlament wenigstens mit Teilen der LINKE-Fraktion ein Standbein bekommt.
Aber selbstverständlich machen wir auch ohne parlamentarische Unterstützung weiter: mit den gegenwärtigen Protesten gegen die Atomkriegsübung Steadfast Noon; dem Kampf gegen die Atombomben in Büchel; dem anlaufende Protest gegen die als Cyber-Sicherheit firmierende NATO-Agentur NCIA in Bochum; den Protesten gegen die US-Waffenlager in Dülmen; dem Aktionstag gegen Heckler & Koch… Diese Proteste werden zwar durch Corona noch etwas gedämpft, sie geben aber zur Hoffnung Anlass.
Fridays for Future entdecken zunehmend das Militär als Klimakiller Nr.1. Teile der Seebrücke erkennen die Bedeutung von Waffenexporten. Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) hat die gleichen Forderungen wie die Friedensbewegung. Gewerkschaften kritisieren die Rüstungspolitik.
Egal wie die nächste Bundesregierung aussieht: In ihr sitzen nur solche, die am Bekenntnis zur NATO nicht zweifeln und die zumeist auch robust, militärisch gegen China und Russland vorgehen wollen. «Flagge zeigen» nannte es die Kriegsministerin.
Für uns aber gilt: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.
Der Autor ist aktiv in der antifaschistischen und Friedensbewegung, Mitglied der DFG/VK und der VVN-BdA.
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